Wir haben den Himmel und seine Wunder, und in ihnen den Abglanz der unendlichen Allmacht des Schöpfers in seinen Wer- ken gesehen. Aber vermessen wir uns nicht, diese Werke auch schon nach ihrer ganzen Größe erkannt zu haben. Was wir sahen, so groß es auch erscheinen mag, ist doch vielleicht nur ein sehr kleiner Theil von dem, was noch keinem menschlichen Auge erreichbar war; ist nur der Vorhof des unendlichen Tempels der Natur, den noch kein Sterblicher, auch nicht mit den höchsten Mitteln der Kunst und Wissenschaft, durchdrungen hat, oder je durchdringen wird. Wer mag uns sagen, wie viele Welten noch jenseits von denen stehen, die wir, selbst durch unsere stärksten Telescope, nur mehr als schwache, däm- mernde Wolken erblicken? Es ist möglich, es ist sogar wahrscheinlich, daß wir die größten Himmelskörper noch gar nicht kennen, weil sie, wegen ihrer ungeheuern Masse, das Licht nicht mehr von ihrer Oberfläche ausströmen lassen. Vielleicht braucht dieses Licht, sei- ner entsetzlichen Geschwindigkeit ungeachtet, Jahrtausende, um von anderen Gestirnen bis zu uns zu kommen; und vielleicht konnte es von vielen derselben seit der Zeit, die unsere Erde steht, noch nicht bis zu uns gelangen. Wer weiß es, ob auch nur zu Alexan- ders oder zu Moses Zeiten dort oben alles so gewesen ist, wie wir jetzt es sehen, oder ob, nach anderen Jahrtausenden, der ganze Himmel sich mit neuen Sonnen überziehen wird, die schon längst da sind, aber noch nicht Zeit genug gehabt haben, uns ihr Licht zuzuschicken, so wie vielleicht andere Systeme eben so lange schon erloschen und in ihr Nichts zurückgekehrt sind, obgleich wir sie noch immer am Himmel glänzen sehen, bis endlich auch der letzte Strahl, den sie ausgesendet haben, zu uns gelangt. So sehen wir, wohin wir unsere Blicke wenden, Himmelskörper ohne Zahl und selbst in jenen Fernen, wohin unsere Fernröhre nicht mehr dringen, selbst dort, wo alles Licht erlischt, wo auch das schärfste Auge nichts als Nacht erblicken würde -- auch diese Räume sind höchst wahrscheinlich wieder von neuen Welten, von neuen Zeugen der Allmacht ihres Schöpfers erfüllt.
Bientot a mes regards des cieux inconnus s'ouvrent, Des regions sans fin devant moi se decouvrent;
Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Wir haben den Himmel und ſeine Wunder, und in ihnen den Abglanz der unendlichen Allmacht des Schöpfers in ſeinen Wer- ken geſehen. Aber vermeſſen wir uns nicht, dieſe Werke auch ſchon nach ihrer ganzen Größe erkannt zu haben. Was wir ſahen, ſo groß es auch erſcheinen mag, iſt doch vielleicht nur ein ſehr kleiner Theil von dem, was noch keinem menſchlichen Auge erreichbar war; iſt nur der Vorhof des unendlichen Tempels der Natur, den noch kein Sterblicher, auch nicht mit den höchſten Mitteln der Kunſt und Wiſſenſchaft, durchdrungen hat, oder je durchdringen wird. Wer mag uns ſagen, wie viele Welten noch jenſeits von denen ſtehen, die wir, ſelbſt durch unſere ſtärkſten Teleſcope, nur mehr als ſchwache, däm- mernde Wolken erblicken? Es iſt möglich, es iſt ſogar wahrſcheinlich, daß wir die größten Himmelskörper noch gar nicht kennen, weil ſie, wegen ihrer ungeheuern Maſſe, das Licht nicht mehr von ihrer Oberfläche ausſtrömen laſſen. Vielleicht braucht dieſes Licht, ſei- ner entſetzlichen Geſchwindigkeit ungeachtet, Jahrtauſende, um von anderen Geſtirnen bis zu uns zu kommen; und vielleicht konnte es von vielen derſelben ſeit der Zeit, die unſere Erde ſteht, noch nicht bis zu uns gelangen. Wer weiß es, ob auch nur zu Alexan- ders oder zu Moſes Zeiten dort oben alles ſo geweſen iſt, wie wir jetzt es ſehen, oder ob, nach anderen Jahrtauſenden, der ganze Himmel ſich mit neuen Sonnen überziehen wird, die ſchon längſt da ſind, aber noch nicht Zeit genug gehabt haben, uns ihr Licht zuzuſchicken, ſo wie vielleicht andere Syſteme eben ſo lange ſchon erloſchen und in ihr Nichts zurückgekehrt ſind, obgleich wir ſie noch immer am Himmel glänzen ſehen, bis endlich auch der letzte Strahl, den ſie ausgeſendet haben, zu uns gelangt. So ſehen wir, wohin wir unſere Blicke wenden, Himmelskörper ohne Zahl und ſelbſt in jenen Fernen, wohin unſere Fernröhre nicht mehr dringen, ſelbſt dort, wo alles Licht erliſcht, wo auch das ſchärfſte Auge nichts als Nacht erblicken würde — auch dieſe Räume ſind höchſt wahrſcheinlich wieder von neuen Welten, von neuen Zeugen der Allmacht ihres Schöpfers erfüllt.
Bientôt à mes regards des cieux inconnus s’ouvrent, Des régions sans fin devant moi se découvrent;
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Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Wir haben den Himmel und ſeine Wunder, und in ihnen den
Abglanz der unendlichen Allmacht des Schöpfers in ſeinen Wer-
ken geſehen. Aber vermeſſen wir uns nicht, dieſe Werke auch ſchon
nach ihrer ganzen Größe erkannt zu haben. Was wir ſahen, ſo
groß es auch erſcheinen mag, iſt doch vielleicht nur ein ſehr kleiner
Theil von dem, was noch keinem menſchlichen Auge erreichbar war;
iſt nur der Vorhof des unendlichen Tempels der Natur, den noch
kein Sterblicher, auch nicht mit den höchſten Mitteln der Kunſt und
Wiſſenſchaft, durchdrungen hat, oder je durchdringen wird. Wer mag
uns ſagen, wie viele Welten noch jenſeits von denen ſtehen, die wir,
ſelbſt durch unſere ſtärkſten Teleſcope, nur mehr als ſchwache, däm-
mernde Wolken erblicken? Es iſt möglich, es iſt ſogar wahrſcheinlich,
daß wir die größten Himmelskörper noch gar nicht kennen, weil ſie,
wegen ihrer ungeheuern Maſſe, das Licht nicht mehr von ihrer
Oberfläche ausſtrömen laſſen. Vielleicht braucht dieſes Licht, ſei-
ner entſetzlichen Geſchwindigkeit ungeachtet, Jahrtauſende, um von
anderen Geſtirnen bis zu uns zu kommen; und vielleicht konnte
es von vielen derſelben ſeit der Zeit, die unſere Erde ſteht, noch
nicht bis zu uns gelangen. Wer weiß es, ob auch nur zu Alexan-
ders oder zu Moſes Zeiten dort oben alles ſo geweſen iſt, wie wir
jetzt es ſehen, oder ob, nach anderen Jahrtauſenden, der ganze
Himmel ſich mit neuen Sonnen überziehen wird, die ſchon längſt
da ſind, aber noch nicht Zeit genug gehabt haben, uns ihr Licht
zuzuſchicken, ſo wie vielleicht andere Syſteme eben ſo lange ſchon
erloſchen und in ihr Nichts zurückgekehrt ſind, obgleich wir ſie
noch immer am Himmel glänzen ſehen, bis endlich auch der letzte
Strahl, den ſie ausgeſendet haben, zu uns gelangt. So ſehen wir,
wohin wir unſere Blicke wenden, Himmelskörper ohne Zahl und ſelbſt
in jenen Fernen, wohin unſere Fernröhre nicht mehr dringen,
ſelbſt dort, wo alles Licht erliſcht, wo auch das ſchärfſte Auge
nichts als Nacht erblicken würde — auch dieſe Räume ſind höchſt
wahrſcheinlich wieder von neuen Welten, von neuen Zeugen der
Allmacht ihres Schöpfers erfüllt.
Bientôt à mes regards des cieux inconnus s’ouvrent,
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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