dem großen Kampfe, Er errang den Sieg, und was auch Jene geleistet haben mögen, ihm gebührt der Lorbeer. Ein volles Jahr- hundert ist verflossen seit der Zeit, da er unter uns gewandelt hat, und noch steht er da, unerreicht und unerreichbar, ein Riese unter den Pigmäen, und sein Haupt mit dem Strahlenkranze der Unsterblichkeit umwunden.
§. 22. (Unterschied der Welt- und Literatur-Geschichte.) Die sogenannte Weltgeschichte, worunter wir gewöhnlich die der Regenten und der von ihnen geführten Kriege verstehen, ist in mehr als einer Beziehung sehr verschieden von der Geschichte der menschlichen Kultur. In jener gehen die großen Epochen der- selben gewöhnlich nur von Einem Menschen aus, und sie sind nur zu oft von den heftigsten Erschütterungen begleitet. Plötzlich erhebt sich, nicht selten aus dem Staube der Unbekanntschaft, der Friedensstörer, und seiner Zeit und ihren Vorurtheilen, allen göttlichen und menschlichen Gesetzen trotzend, selbst den Kampf mit den Elementen und den Geistern des Schicksals nicht scheuend -- verbreitet er sich mit seinen Heeren über ganze Länder und Welttheile, und tritt das Glück der Völker unter seine Füße, um auf den Trümmern desselben seiner Dynastie einen Thron und sich selbst, am Ende seiner Thaten, die Verwünschung der Nachwelt, und auf einer wüsten Insel im Weltmeere, ein enges Grab zu erobern.
Nicht so in dem großen Reiche der Wissenschaften, deren Wachsthum nur langsam, und die blutlosen Fehden der Gelehrten etwa ausgenommen, immer friedlich vor sich geht, und wo nur selten oder nie der Einzelne, ohne Hülfe der Anderen, eine neue Epoche begründen kann. Die meisten großen Conceptionen, deren unsere Kulturgeschichte erwähnt, sind nur scheinbar von einem einzigen Manne ausgegangen. Denn nicht nur die eigentliche Ausführung, die immer fremder Hände bedarf, sondern die erste Idee selbst entsprang gewöhnlich nur aus verwandten Ansichten mehrerer vorhergegangener Geister. In der That findet man, daß beinahe jede große Revolution in dem Gebiete der Kultur von einer Art allgemeiner geistiger Fermentation eingeleitet worden ist, die beinahe alle bessere Köpfe des Jahrhunderts, wie durch einen höhern Instinct getrieben, auf denselben Gegenstand gerichtet hat. Anfangs klein und unbemerkbar nimmt das Ge-
Allgemeine Schwere.
dem großen Kampfe, Er errang den Sieg, und was auch Jene geleiſtet haben mögen, ihm gebührt der Lorbeer. Ein volles Jahr- hundert iſt verfloſſen ſeit der Zeit, da er unter uns gewandelt hat, und noch ſteht er da, unerreicht und unerreichbar, ein Rieſe unter den Pigmäen, und ſein Haupt mit dem Strahlenkranze der Unſterblichkeit umwunden.
§. 22. (Unterſchied der Welt- und Literatur-Geſchichte.) Die ſogenannte Weltgeſchichte, worunter wir gewöhnlich die der Regenten und der von ihnen geführten Kriege verſtehen, iſt in mehr als einer Beziehung ſehr verſchieden von der Geſchichte der menſchlichen Kultur. In jener gehen die großen Epochen der- ſelben gewöhnlich nur von Einem Menſchen aus, und ſie ſind nur zu oft von den heftigſten Erſchütterungen begleitet. Plötzlich erhebt ſich, nicht ſelten aus dem Staube der Unbekanntſchaft, der Friedensſtörer, und ſeiner Zeit und ihren Vorurtheilen, allen göttlichen und menſchlichen Geſetzen trotzend, ſelbſt den Kampf mit den Elementen und den Geiſtern des Schickſals nicht ſcheuend — verbreitet er ſich mit ſeinen Heeren über ganze Länder und Welttheile, und tritt das Glück der Völker unter ſeine Füße, um auf den Trümmern deſſelben ſeiner Dynaſtie einen Thron und ſich ſelbſt, am Ende ſeiner Thaten, die Verwünſchung der Nachwelt, und auf einer wüſten Inſel im Weltmeere, ein enges Grab zu erobern.
Nicht ſo in dem großen Reiche der Wiſſenſchaften, deren Wachsthum nur langſam, und die blutloſen Fehden der Gelehrten etwa ausgenommen, immer friedlich vor ſich geht, und wo nur ſelten oder nie der Einzelne, ohne Hülfe der Anderen, eine neue Epoche begründen kann. Die meiſten großen Conceptionen, deren unſere Kulturgeſchichte erwähnt, ſind nur ſcheinbar von einem einzigen Manne ausgegangen. Denn nicht nur die eigentliche Ausführung, die immer fremder Hände bedarf, ſondern die erſte Idee ſelbſt entſprang gewöhnlich nur aus verwandten Anſichten mehrerer vorhergegangener Geiſter. In der That findet man, daß beinahe jede große Revolution in dem Gebiete der Kultur von einer Art allgemeiner geiſtiger Fermentation eingeleitet worden iſt, die beinahe alle beſſere Köpfe des Jahrhunderts, wie durch einen höhern Inſtinct getrieben, auf denſelben Gegenſtand gerichtet hat. Anfangs klein und unbemerkbar nimmt das Ge-
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[30/0042]
Allgemeine Schwere.
dem großen Kampfe, Er errang den Sieg, und was auch Jene
geleiſtet haben mögen, ihm gebührt der Lorbeer. Ein volles Jahr-
hundert iſt verfloſſen ſeit der Zeit, da er unter uns gewandelt
hat, und noch ſteht er da, unerreicht und unerreichbar, ein Rieſe
unter den Pigmäen, und ſein Haupt mit dem Strahlenkranze der
Unſterblichkeit umwunden.
§. 22. (Unterſchied der Welt- und Literatur-Geſchichte.) Die
ſogenannte Weltgeſchichte, worunter wir gewöhnlich die der
Regenten und der von ihnen geführten Kriege verſtehen, iſt in
mehr als einer Beziehung ſehr verſchieden von der Geſchichte der
menſchlichen Kultur. In jener gehen die großen Epochen der-
ſelben gewöhnlich nur von Einem Menſchen aus, und ſie ſind
nur zu oft von den heftigſten Erſchütterungen begleitet. Plötzlich
erhebt ſich, nicht ſelten aus dem Staube der Unbekanntſchaft, der
Friedensſtörer, und ſeiner Zeit und ihren Vorurtheilen, allen
göttlichen und menſchlichen Geſetzen trotzend, ſelbſt den Kampf
mit den Elementen und den Geiſtern des Schickſals nicht ſcheuend
— verbreitet er ſich mit ſeinen Heeren über ganze Länder und
Welttheile, und tritt das Glück der Völker unter ſeine Füße, um auf
den Trümmern deſſelben ſeiner Dynaſtie einen Thron und ſich ſelbſt,
am Ende ſeiner Thaten, die Verwünſchung der Nachwelt, und
auf einer wüſten Inſel im Weltmeere, ein enges Grab zu erobern.
Nicht ſo in dem großen Reiche der Wiſſenſchaften, deren
Wachsthum nur langſam, und die blutloſen Fehden der Gelehrten
etwa ausgenommen, immer friedlich vor ſich geht, und wo nur
ſelten oder nie der Einzelne, ohne Hülfe der Anderen, eine neue
Epoche begründen kann. Die meiſten großen Conceptionen, deren
unſere Kulturgeſchichte erwähnt, ſind nur ſcheinbar von einem
einzigen Manne ausgegangen. Denn nicht nur die eigentliche
Ausführung, die immer fremder Hände bedarf, ſondern die erſte
Idee ſelbſt entſprang gewöhnlich nur aus verwandten Anſichten
mehrerer vorhergegangener Geiſter. In der That findet man,
daß beinahe jede große Revolution in dem Gebiete der Kultur
von einer Art allgemeiner geiſtiger Fermentation eingeleitet
worden iſt, die beinahe alle beſſere Köpfe des Jahrhunderts, wie
durch einen höhern Inſtinct getrieben, auf denſelben Gegenſtand
gerichtet hat. Anfangs klein und unbemerkbar nimmt das Ge-
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/42>, abgerufen am 21.11.2024.
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