Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.Beschreibung und Gebrauch der astronom. Instrumente. ganzen Kopfe, sondern nur in einem Theile, in einem bestimmtenWinkel desselben suchen dürften, etwa wie man eine in einem Kasten verlegte Schrift nur in gewissen Fächern desselben sucht, wo sie, einer innern Ahnung gemäß, liegen muß. Eindrücke der frühesten Jugend erhalten sich oft noch bis in das späte Alter, während die der männlichen Jahre schon längst entschwunden sind. Wir behalten die Dinge, die wir am Abend eines Tags gehört oder gelernt haben, am sichersten, und vergessen im Gegen- theile jene am leichtesten, die wir etwa aus einem Buche un- mittelbar vor dem Einschlafen erhalten haben. Verwickelte Unter- suchungen, wenn man sie einige Tage ruhen läßt und sich absicht- lich von ihnen entfernt, treten dann gewöhnlich mit frischer Klar- heit aus ihrem Dunkel hervor. -- Wir bewundern mit Recht das ungewöhnlich starke Gedächtniß einiger Menschen. Aber wenn man bedenkt, welche unübersehbare Masse von Dingen auch das gewöhnlichste Gedächtniß eines jeden Menschen in sich aufnimmt, so müssen wir erstaunen, daß so viele Gegenstände in einem so kleinen Raume ohne Verwirrung Platz haben können. Einem Sänger in unsern Opern z. B. muß heute jede Sylbe seiner Rolle, ihr Ton, ihr Zeitmaaß und die sie begleitende Gebehrde, klar und lebhaft vorschweben und die folgende Rolle des morgenden Tages muß wieder allen jenen gestrigen Vorrath in den dunklen Hin- tergrund zurückdrängen, um einem neuen, unübersehbaren Heere von Erinnerungen seine Stelle abzutreten. Alle diese endlosen Reihen liegen zu gleicher Zeit in dem Gedächtnisse des Sängers und können, nach Willkühr, wie die Register einer Orgel, her- vorgezogen oder zurückgestellt werden. §. 67. (Gewohnheiten.) Diese und viele andere Operationen Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente. ganzen Kopfe, ſondern nur in einem Theile, in einem beſtimmtenWinkel deſſelben ſuchen dürften, etwa wie man eine in einem Kaſten verlegte Schrift nur in gewiſſen Fächern deſſelben ſucht, wo ſie, einer innern Ahnung gemäß, liegen muß. Eindrücke der früheſten Jugend erhalten ſich oft noch bis in das ſpäte Alter, während die der männlichen Jahre ſchon längſt entſchwunden ſind. Wir behalten die Dinge, die wir am Abend eines Tags gehört oder gelernt haben, am ſicherſten, und vergeſſen im Gegen- theile jene am leichteſten, die wir etwa aus einem Buche un- mittelbar vor dem Einſchlafen erhalten haben. Verwickelte Unter- ſuchungen, wenn man ſie einige Tage ruhen läßt und ſich abſicht- lich von ihnen entfernt, treten dann gewöhnlich mit friſcher Klar- heit aus ihrem Dunkel hervor. — Wir bewundern mit Recht das ungewöhnlich ſtarke Gedächtniß einiger Menſchen. Aber wenn man bedenkt, welche unüberſehbare Maſſe von Dingen auch das gewöhnlichſte Gedächtniß eines jeden Menſchen in ſich aufnimmt, ſo müſſen wir erſtaunen, daß ſo viele Gegenſtände in einem ſo kleinen Raume ohne Verwirrung Platz haben können. Einem Sänger in unſern Opern z. B. muß heute jede Sylbe ſeiner Rolle, ihr Ton, ihr Zeitmaaß und die ſie begleitende Gebehrde, klar und lebhaft vorſchweben und die folgende Rolle des morgenden Tages muß wieder allen jenen geſtrigen Vorrath in den dunklen Hin- tergrund zurückdrängen, um einem neuen, unüberſehbaren Heere von Erinnerungen ſeine Stelle abzutreten. Alle dieſe endloſen Reihen liegen zu gleicher Zeit in dem Gedächtniſſe des Sängers und können, nach Willkühr, wie die Regiſter einer Orgel, her- vorgezogen oder zurückgeſtellt werden. §. 67. (Gewohnheiten.) Dieſe und viele andere Operationen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0427" n="415"/><fw place="top" type="header">Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.</fw><lb/> ganzen Kopfe, ſondern nur in einem Theile, in einem beſtimmten<lb/> Winkel deſſelben ſuchen dürften, etwa wie man eine in einem<lb/> Kaſten verlegte Schrift nur in gewiſſen Fächern deſſelben ſucht,<lb/> wo ſie, einer innern Ahnung gemäß, liegen muß. Eindrücke der<lb/> früheſten Jugend erhalten ſich oft noch bis in das ſpäte Alter,<lb/> während die der männlichen Jahre ſchon längſt entſchwunden<lb/> ſind. 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Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ganzen Kopfe, ſondern nur in einem Theile, in einem beſtimmten
Winkel deſſelben ſuchen dürften, etwa wie man eine in einem
Kaſten verlegte Schrift nur in gewiſſen Fächern deſſelben ſucht,
wo ſie, einer innern Ahnung gemäß, liegen muß. Eindrücke der
früheſten Jugend erhalten ſich oft noch bis in das ſpäte Alter,
während die der männlichen Jahre ſchon längſt entſchwunden
ſind. Wir behalten die Dinge, die wir am Abend eines Tags
gehört oder gelernt haben, am ſicherſten, und vergeſſen im Gegen-
theile jene am leichteſten, die wir etwa aus einem Buche un-
mittelbar vor dem Einſchlafen erhalten haben. Verwickelte Unter-
ſuchungen, wenn man ſie einige Tage ruhen läßt und ſich abſicht-
lich von ihnen entfernt, treten dann gewöhnlich mit friſcher Klar-
heit aus ihrem Dunkel hervor. — Wir bewundern mit Recht das
ungewöhnlich ſtarke Gedächtniß einiger Menſchen. Aber wenn
man bedenkt, welche unüberſehbare Maſſe von Dingen auch das
gewöhnlichſte Gedächtniß eines jeden Menſchen in ſich aufnimmt,
ſo müſſen wir erſtaunen, daß ſo viele Gegenſtände in einem ſo
kleinen Raume ohne Verwirrung Platz haben können. Einem
Sänger in unſern Opern z. B. muß heute jede Sylbe ſeiner Rolle,
ihr Ton, ihr Zeitmaaß und die ſie begleitende Gebehrde, klar und
lebhaft vorſchweben und die folgende Rolle des morgenden Tages
muß wieder allen jenen geſtrigen Vorrath in den dunklen Hin-
tergrund zurückdrängen, um einem neuen, unüberſehbaren Heere
von Erinnerungen ſeine Stelle abzutreten. Alle dieſe endloſen
Reihen liegen zu gleicher Zeit in dem Gedächtniſſe des Sängers
und können, nach Willkühr, wie die Regiſter einer Orgel, her-
vorgezogen oder zurückgeſtellt werden.
§. 67. (Gewohnheiten.) Dieſe und viele andere Operationen
unſeres inneren Sinnes werden, wie wir Alle erfahren, durch
Wiederholung ſtärker und geläufiger. Dieſe Wiederholungen,
wir mögen ſie nun ſelbſt vornehmen oder bloß an Andern häufig
genug bemerken, bilden alsdann unſere Gewohnheiten und auf
dieſen endlich beruht ein großer Theil unſerer Gebräuche und ſelbſt
unſerer Sitten. Nur aus dieſer Gewohnheit läßt es ſich erklä-
ren, warum ſo oft, was bei dem einen Volke für gut und ſchick-
lich gehalten wird, bei dem anderen ſchlecht und ſelbſt abſcheulich
erſcheint. Die Gladiatorenſpiele der alten Römer und die Men-
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