Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Schwere.
Erde fällt? Wir sehen ihn nicht fallen, und wenn er auch in der
That fallen sollte, so haben wir kein Mittel, die Größe dieses
Falls zu messen. Alles, was wir von seiner Bewegung wissen,
ist, daß der Bogen, den er in jeder Sekunde um die Erde be-
schreibt, 2721,59 oder auch 3134,6 Fuß beträgt, je nachdem wir
den Halbmesser der Erde nach Newton oder nach Picard anneh-
men. Was soll aber aus diesem Bogen für den Fall des Mondes
zur Erde folgen?

§. 30. (Wirkung dieser Attraction der Erde auf ruhende und
auf bewegte Körper.) Um die letzte Frage zu beantworten, müssen
wir in unserer Untersuchung wieder einige Schritte zurückgehen.

Wenn der Mond durch irgend eine mächtige Hand festge-
halten, und dann plötzlich ausgelassen würde, so müßte er ohne
Zweifel in einer geraden Linie zur Erde fallen, und sich ihr, wie
wir gesehen haben, in der ersten Sekunde um 0,00414 Fuß nähern,
ganz aus demselben Grunde, wegen welchem der Stein auf der
Oberfläche der Erde in derselben Zeit durch 15 Fuß fällt, wenn
die Hand, die ihn hält, sich wendet, und dadurch den Stein sei-
ner bisherigen Unterstützung beraubt. Allein jene unsichtbare
Hand, die vielleicht auch vor Zeiten den Mond festgehalten hat,
kann sich nicht bloß gewendet haben, als sie den Mond sich selbst
oder vielmehr der Wirkung der Erde überließ, sondern sie muß
ihn, als sie ihn seinem ferneren Schicksale überlassen wollte, mehr
als nur ausgelassen, sie muß ihn aus der Hand geworfen
haben, und die Richtung dieses Wurfes muß, nicht auf die Erde
zu, sondern seitwärts gegangen seyn, weil sonst der Mond wieder
in einer geraden Linie zur Erde herabgefallen wäre, was er doch
nicht gethan hat, da er vielmehr, wie wir sehen, einen Kreis um
die Erde beschreibt.

Die Existenz dieser Bahn, die uns vor Augen liegt, führt
uns daher auf zwei Voraussetzungen, ohne welche jene Bahn sich
nicht als möglich denken läßt. Der Mond muß nämlich von
zwei verschiedenen Kräften in Bewegung gesetzt werden, von einer
ersten ursprünglichen, von einer Wurfkraft, und von der im
Mittelpunkte seiner Bahn ruhenden Centralkraft oder von der
Anziehungskraft der Erde. Jene ist eine nur im ersten Augen-
blicke wirkende Kraft, gleich der eines Stoßes, diese aber eine

Allgemeine Schwere.
Erde fällt? Wir ſehen ihn nicht fallen, und wenn er auch in der
That fallen ſollte, ſo haben wir kein Mittel, die Größe dieſes
Falls zu meſſen. Alles, was wir von ſeiner Bewegung wiſſen,
iſt, daß der Bogen, den er in jeder Sekunde um die Erde be-
ſchreibt, 2721,59 oder auch 3134,6 Fuß beträgt, je nachdem wir
den Halbmeſſer der Erde nach Newton oder nach Picard anneh-
men. Was ſoll aber aus dieſem Bogen für den Fall des Mondes
zur Erde folgen?

§. 30. (Wirkung dieſer Attraction der Erde auf ruhende und
auf bewegte Körper.) Um die letzte Frage zu beantworten, müſſen
wir in unſerer Unterſuchung wieder einige Schritte zurückgehen.

Wenn der Mond durch irgend eine mächtige Hand feſtge-
halten, und dann plötzlich ausgelaſſen würde, ſo müßte er ohne
Zweifel in einer geraden Linie zur Erde fallen, und ſich ihr, wie
wir geſehen haben, in der erſten Sekunde um 0,00414 Fuß nähern,
ganz aus demſelben Grunde, wegen welchem der Stein auf der
Oberfläche der Erde in derſelben Zeit durch 15 Fuß fällt, wenn
die Hand, die ihn hält, ſich wendet, und dadurch den Stein ſei-
ner bisherigen Unterſtützung beraubt. Allein jene unſichtbare
Hand, die vielleicht auch vor Zeiten den Mond feſtgehalten hat,
kann ſich nicht bloß gewendet haben, als ſie den Mond ſich ſelbſt
oder vielmehr der Wirkung der Erde überließ, ſondern ſie muß
ihn, als ſie ihn ſeinem ferneren Schickſale überlaſſen wollte, mehr
als nur ausgelaſſen, ſie muß ihn aus der Hand geworfen
haben, und die Richtung dieſes Wurfes muß, nicht auf die Erde
zu, ſondern ſeitwärts gegangen ſeyn, weil ſonſt der Mond wieder
in einer geraden Linie zur Erde herabgefallen wäre, was er doch
nicht gethan hat, da er vielmehr, wie wir ſehen, einen Kreis um
die Erde beſchreibt.

Die Exiſtenz dieſer Bahn, die uns vor Augen liegt, führt
uns daher auf zwei Vorausſetzungen, ohne welche jene Bahn ſich
nicht als möglich denken läßt. Der Mond muß nämlich von
zwei verſchiedenen Kräften in Bewegung geſetzt werden, von einer
erſten urſprünglichen, von einer Wurfkraft, und von der im
Mittelpunkte ſeiner Bahn ruhenden Centralkraft oder von der
Anziehungskraft der Erde. Jene iſt eine nur im erſten Augen-
blicke wirkende Kraft, gleich der eines Stoßes, dieſe aber eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0056" n="44"/><fw place="top" type="header">Allgemeine Schwere.</fw><lb/>
Erde fällt? Wir &#x017F;ehen ihn nicht fallen, und wenn er auch in der<lb/>
That fallen &#x017F;ollte, &#x017F;o haben wir kein Mittel, die Größe die&#x017F;es<lb/>
Falls zu me&#x017F;&#x017F;en. Alles, was wir von &#x017F;einer Bewegung wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
i&#x017F;t, daß der Bogen, den er in jeder Sekunde um die Erde be-<lb/>
&#x017F;chreibt, 2721,<hi rendition="#sub">59</hi> oder auch 3134,<hi rendition="#sub">6</hi> Fuß beträgt, je nachdem wir<lb/>
den Halbme&#x017F;&#x017F;er der Erde nach Newton oder nach Picard anneh-<lb/>
men. Was &#x017F;oll aber aus die&#x017F;em Bogen für den <hi rendition="#g">Fall</hi> des Mondes<lb/>
zur Erde folgen?</p><lb/>
              <p>§. 30. (Wirkung die&#x017F;er Attraction der Erde auf ruhende und<lb/>
auf bewegte Körper.) Um die letzte Frage zu beantworten, mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wir in un&#x017F;erer Unter&#x017F;uchung wieder einige Schritte zurückgehen.</p><lb/>
              <p>Wenn der Mond durch irgend eine mächtige Hand fe&#x017F;tge-<lb/>
halten, und dann plötzlich ausgela&#x017F;&#x017F;en würde, &#x017F;o müßte er ohne<lb/>
Zweifel in einer geraden Linie zur Erde fallen, und &#x017F;ich ihr, wie<lb/>
wir ge&#x017F;ehen haben, in der er&#x017F;ten Sekunde um 0,<hi rendition="#sub">00414</hi> Fuß nähern,<lb/>
ganz aus dem&#x017F;elben Grunde, wegen welchem der Stein auf der<lb/>
Oberfläche der Erde in der&#x017F;elben Zeit durch 15 Fuß fällt, wenn<lb/>
die Hand, die ihn hält, &#x017F;ich wendet, und dadurch den Stein &#x017F;ei-<lb/>
ner bisherigen Unter&#x017F;tützung beraubt. Allein jene un&#x017F;ichtbare<lb/>
Hand, die vielleicht auch vor Zeiten den Mond fe&#x017F;tgehalten hat,<lb/>
kann &#x017F;ich nicht bloß gewendet haben, als &#x017F;ie den Mond &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
oder vielmehr der Wirkung der Erde überließ, &#x017F;ondern &#x017F;ie muß<lb/>
ihn, als &#x017F;ie ihn &#x017F;einem ferneren Schick&#x017F;ale überla&#x017F;&#x017F;en wollte, mehr<lb/>
als nur ausgela&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie muß ihn aus der Hand <hi rendition="#g">geworfen</hi><lb/>
haben, und die Richtung die&#x017F;es Wurfes muß, nicht auf die Erde<lb/>
zu, &#x017F;ondern &#x017F;eitwärts gegangen &#x017F;eyn, weil &#x017F;on&#x017F;t der Mond wieder<lb/>
in einer geraden Linie zur Erde herabgefallen wäre, was er doch<lb/>
nicht gethan hat, da er vielmehr, wie wir &#x017F;ehen, einen Kreis um<lb/>
die Erde be&#x017F;chreibt.</p><lb/>
              <p>Die Exi&#x017F;tenz die&#x017F;er Bahn, die uns vor Augen liegt, führt<lb/>
uns daher auf zwei Voraus&#x017F;etzungen, ohne welche jene Bahn &#x017F;ich<lb/>
nicht als möglich denken läßt. Der Mond muß nämlich von<lb/>
zwei ver&#x017F;chiedenen Kräften in Bewegung ge&#x017F;etzt werden, von einer<lb/>
er&#x017F;ten ur&#x017F;prünglichen, von einer <hi rendition="#g">Wurfkraft</hi>, und von der im<lb/>
Mittelpunkte &#x017F;einer Bahn ruhenden Centralkraft oder von der<lb/>
Anziehungskraft der Erde. Jene i&#x017F;t eine nur im er&#x017F;ten Augen-<lb/>
blicke wirkende Kraft, gleich der eines Stoßes, die&#x017F;e aber eine<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0056] Allgemeine Schwere. Erde fällt? Wir ſehen ihn nicht fallen, und wenn er auch in der That fallen ſollte, ſo haben wir kein Mittel, die Größe dieſes Falls zu meſſen. Alles, was wir von ſeiner Bewegung wiſſen, iſt, daß der Bogen, den er in jeder Sekunde um die Erde be- ſchreibt, 2721,59 oder auch 3134,6 Fuß beträgt, je nachdem wir den Halbmeſſer der Erde nach Newton oder nach Picard anneh- men. Was ſoll aber aus dieſem Bogen für den Fall des Mondes zur Erde folgen? §. 30. (Wirkung dieſer Attraction der Erde auf ruhende und auf bewegte Körper.) Um die letzte Frage zu beantworten, müſſen wir in unſerer Unterſuchung wieder einige Schritte zurückgehen. Wenn der Mond durch irgend eine mächtige Hand feſtge- halten, und dann plötzlich ausgelaſſen würde, ſo müßte er ohne Zweifel in einer geraden Linie zur Erde fallen, und ſich ihr, wie wir geſehen haben, in der erſten Sekunde um 0,00414 Fuß nähern, ganz aus demſelben Grunde, wegen welchem der Stein auf der Oberfläche der Erde in derſelben Zeit durch 15 Fuß fällt, wenn die Hand, die ihn hält, ſich wendet, und dadurch den Stein ſei- ner bisherigen Unterſtützung beraubt. Allein jene unſichtbare Hand, die vielleicht auch vor Zeiten den Mond feſtgehalten hat, kann ſich nicht bloß gewendet haben, als ſie den Mond ſich ſelbſt oder vielmehr der Wirkung der Erde überließ, ſondern ſie muß ihn, als ſie ihn ſeinem ferneren Schickſale überlaſſen wollte, mehr als nur ausgelaſſen, ſie muß ihn aus der Hand geworfen haben, und die Richtung dieſes Wurfes muß, nicht auf die Erde zu, ſondern ſeitwärts gegangen ſeyn, weil ſonſt der Mond wieder in einer geraden Linie zur Erde herabgefallen wäre, was er doch nicht gethan hat, da er vielmehr, wie wir ſehen, einen Kreis um die Erde beſchreibt. Die Exiſtenz dieſer Bahn, die uns vor Augen liegt, führt uns daher auf zwei Vorausſetzungen, ohne welche jene Bahn ſich nicht als möglich denken läßt. Der Mond muß nämlich von zwei verſchiedenen Kräften in Bewegung geſetzt werden, von einer erſten urſprünglichen, von einer Wurfkraft, und von der im Mittelpunkte ſeiner Bahn ruhenden Centralkraft oder von der Anziehungskraft der Erde. Jene iſt eine nur im erſten Augen- blicke wirkende Kraft, gleich der eines Stoßes, dieſe aber eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/56
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/56>, abgerufen am 27.11.2024.