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Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910.

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Unter den Dichtern der Gegenwart hat eine ganze Anzahl sich sehr absprechend über den Einfluß des Alkohols auf das poetische Schaffen geäußert.

Mit der Einwirkung des Alkohols auf die Muskelkraft verhält es sich ähnlich wie mit der auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit. Bei uns besteht zwar noch in weiten Volkskreisen, insbesondere in der Arbeiterschaft, der Glaube, daß der Alkohol die Muskelkraft steigere und deshalb die Verrichtung körperlicher Arbeit erleichtere. Bei unserer biertrinkenden Bevölkerung kommt noch die Meinung dazu, daß das Bier eine Art flüssiger Nahrung darstelle und der schwer Arbeitende beim Verzicht auf dessen Genuß der Entkräftung ausgesetzt sei.

Indes haben auch hier die wissenschaftlichen Untersuchungen wie die praktischen Erfahrungen an den verschiedensten Klassen von Individuen über allen Zweifel dargetan, daß der erwähnte Glaube ein Irrglaube ist. Der Alkohol ist nur vorübergehend imstande, die Muskelkraft zu steigern und das Ermüdungsgefühl zu beseitigen. Auf diese vorübergehende Anregung folgt eine dauernde Herabsetzung, die mit Steigerung des Ermüdungsgefühls einhergeht. Der Alkohol gleicht in seinen Wirkungen auf den Organismus der Peitsche, die vorübergehend bei dem ermüdeten Tiere einen erhöhten Kraftaufwand herbeiführt, aber nicht dem Hafer, der nachhaltig die Kraft steigert. Diese Tatsachen sind auch bereits seit längerer Zeit, wenigstens in den Kreisen des gebildeten Publikums zur Genüge bekannt und verwertet worden. Wer sich für irgend einen Sport trainiert und seine physische Leistungsfähigkeit möglichst steigern will, enthält sich alkoholischer Getränke. Sie alle wissen auch, daß man bei größeren anstrengenden Radtouren, bei schwierigen Bergbesteigungen, insbesonders Hochtouren, welche andauernde Kraftleistungen erheischen, sich des Alkohols enthalten muß, und unsere Heeresleitung hat bereits seit einigen Jahren in der Manöverzeit den Truppen den Genuß geistiger Getränke während der Märsche aus guten Gründen untersagt. Man hat auch die Erfahrung gemacht, daß die Strapazen im tropischen wie im arktischen Klima ungleich leichter von Alkoholabstinenten als von Trinkern ertragen werden.

Wenn demnach der Glaube, daß der Alkohol die körperliche Leistungsfähigkeit erhöht, auf Täuschung beruht, so steht es nicht viel besser mit der bei uns so viel verbreiteten Ansicht, daß das Bier ein für den Arbeiter unentbehrliches flüssiges Nahrungsmittel sei. Das Bier repräsentiert allerdings, was bei dem Alkohol an sich nicht der Fall ist, ein Nahrungsmittel, soferne es etwa 4% Zucker und 0,7% Eiweiß enthält. Allein der im Bier enthaltene Alkohol vermindert wie der Alkohol überhaupt die Arbeitskraft, und der Nährwert des Bieres ist im Verhältnisse zu

Unter den Dichtern der Gegenwart hat eine ganze Anzahl sich sehr absprechend über den Einfluß des Alkohols auf das poetische Schaffen geäußert.

Mit der Einwirkung des Alkohols auf die Muskelkraft verhält es sich ähnlich wie mit der auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit. Bei uns besteht zwar noch in weiten Volkskreisen, insbesondere in der Arbeiterschaft, der Glaube, daß der Alkohol die Muskelkraft steigere und deshalb die Verrichtung körperlicher Arbeit erleichtere. Bei unserer biertrinkenden Bevölkerung kommt noch die Meinung dazu, daß das Bier eine Art flüssiger Nahrung darstelle und der schwer Arbeitende beim Verzicht auf dessen Genuß der Entkräftung ausgesetzt sei.

Indes haben auch hier die wissenschaftlichen Untersuchungen wie die praktischen Erfahrungen an den verschiedensten Klassen von Individuen über allen Zweifel dargetan, daß der erwähnte Glaube ein Irrglaube ist. Der Alkohol ist nur vorübergehend imstande, die Muskelkraft zu steigern und das Ermüdungsgefühl zu beseitigen. Auf diese vorübergehende Anregung folgt eine dauernde Herabsetzung, die mit Steigerung des Ermüdungsgefühls einhergeht. Der Alkohol gleicht in seinen Wirkungen auf den Organismus der Peitsche, die vorübergehend bei dem ermüdeten Tiere einen erhöhten Kraftaufwand herbeiführt, aber nicht dem Hafer, der nachhaltig die Kraft steigert. Diese Tatsachen sind auch bereits seit längerer Zeit, wenigstens in den Kreisen des gebildeten Publikums zur Genüge bekannt und verwertet worden. Wer sich für irgend einen Sport trainiert und seine physische Leistungsfähigkeit möglichst steigern will, enthält sich alkoholischer Getränke. Sie alle wissen auch, daß man bei größeren anstrengenden Radtouren, bei schwierigen Bergbesteigungen, insbesonders Hochtouren, welche andauernde Kraftleistungen erheischen, sich des Alkohols enthalten muß, und unsere Heeresleitung hat bereits seit einigen Jahren in der Manöverzeit den Truppen den Genuß geistiger Getränke während der Märsche aus guten Gründen untersagt. Man hat auch die Erfahrung gemacht, daß die Strapazen im tropischen wie im arktischen Klima ungleich leichter von Alkoholabstinenten als von Trinkern ertragen werden.

Wenn demnach der Glaube, daß der Alkohol die körperliche Leistungsfähigkeit erhöht, auf Täuschung beruht, so steht es nicht viel besser mit der bei uns so viel verbreiteten Ansicht, daß das Bier ein für den Arbeiter unentbehrliches flüssiges Nahrungsmittel sei. Das Bier repräsentiert allerdings, was bei dem Alkohol an sich nicht der Fall ist, ein Nahrungsmittel, soferne es etwa 4% Zucker und 0,7% Eiweiß enthält. Allein der im Bier enthaltene Alkohol vermindert wie der Alkohol überhaupt die Arbeitskraft, und der Nährwert des Bieres ist im Verhältnisse zu

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        <p>Indes haben auch hier die wissenschaftlichen Untersuchungen wie die praktischen Erfahrungen an den verschiedensten Klassen von Individuen über allen Zweifel dargetan, daß der erwähnte Glaube ein Irrglaube ist. Der Alkohol ist nur vorübergehend imstande, die Muskelkraft zu steigern und das Ermüdungsgefühl zu beseitigen. Auf diese vorübergehende Anregung folgt eine dauernde Herabsetzung, die mit Steigerung des Ermüdungsgefühls einhergeht. Der Alkohol gleicht in seinen Wirkungen auf den Organismus der Peitsche, die vorübergehend bei dem ermüdeten Tiere einen erhöhten Kraftaufwand herbeiführt, aber nicht dem Hafer, der nachhaltig die Kraft steigert. Diese Tatsachen sind auch bereits seit längerer Zeit, wenigstens in den Kreisen des gebildeten Publikums zur Genüge bekannt und verwertet worden. Wer sich für irgend einen Sport trainiert und seine physische Leistungsfähigkeit möglichst steigern will, enthält sich alkoholischer Getränke. Sie alle wissen auch, daß man bei größeren anstrengenden Radtouren, bei schwierigen Bergbesteigungen, insbesonders Hochtouren, welche andauernde Kraftleistungen erheischen, sich des Alkohols enthalten muß, und unsere Heeresleitung hat bereits seit einigen Jahren in der Manöverzeit den Truppen den Genuß geistiger Getränke während der Märsche aus guten Gründen untersagt. Man hat auch die Erfahrung gemacht, daß die Strapazen im tropischen wie im arktischen Klima ungleich leichter von Alkoholabstinenten als von Trinkern ertragen werden.</p>
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[12/0014] Unter den Dichtern der Gegenwart hat eine ganze Anzahl sich sehr absprechend über den Einfluß des Alkohols auf das poetische Schaffen geäußert. Mit der Einwirkung des Alkohols auf die Muskelkraft verhält es sich ähnlich wie mit der auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit. Bei uns besteht zwar noch in weiten Volkskreisen, insbesondere in der Arbeiterschaft, der Glaube, daß der Alkohol die Muskelkraft steigere und deshalb die Verrichtung körperlicher Arbeit erleichtere. Bei unserer biertrinkenden Bevölkerung kommt noch die Meinung dazu, daß das Bier eine Art flüssiger Nahrung darstelle und der schwer Arbeitende beim Verzicht auf dessen Genuß der Entkräftung ausgesetzt sei. Indes haben auch hier die wissenschaftlichen Untersuchungen wie die praktischen Erfahrungen an den verschiedensten Klassen von Individuen über allen Zweifel dargetan, daß der erwähnte Glaube ein Irrglaube ist. Der Alkohol ist nur vorübergehend imstande, die Muskelkraft zu steigern und das Ermüdungsgefühl zu beseitigen. Auf diese vorübergehende Anregung folgt eine dauernde Herabsetzung, die mit Steigerung des Ermüdungsgefühls einhergeht. Der Alkohol gleicht in seinen Wirkungen auf den Organismus der Peitsche, die vorübergehend bei dem ermüdeten Tiere einen erhöhten Kraftaufwand herbeiführt, aber nicht dem Hafer, der nachhaltig die Kraft steigert. Diese Tatsachen sind auch bereits seit längerer Zeit, wenigstens in den Kreisen des gebildeten Publikums zur Genüge bekannt und verwertet worden. Wer sich für irgend einen Sport trainiert und seine physische Leistungsfähigkeit möglichst steigern will, enthält sich alkoholischer Getränke. Sie alle wissen auch, daß man bei größeren anstrengenden Radtouren, bei schwierigen Bergbesteigungen, insbesonders Hochtouren, welche andauernde Kraftleistungen erheischen, sich des Alkohols enthalten muß, und unsere Heeresleitung hat bereits seit einigen Jahren in der Manöverzeit den Truppen den Genuß geistiger Getränke während der Märsche aus guten Gründen untersagt. Man hat auch die Erfahrung gemacht, daß die Strapazen im tropischen wie im arktischen Klima ungleich leichter von Alkoholabstinenten als von Trinkern ertragen werden. Wenn demnach der Glaube, daß der Alkohol die körperliche Leistungsfähigkeit erhöht, auf Täuschung beruht, so steht es nicht viel besser mit der bei uns so viel verbreiteten Ansicht, daß das Bier ein für den Arbeiter unentbehrliches flüssiges Nahrungsmittel sei. Das Bier repräsentiert allerdings, was bei dem Alkohol an sich nicht der Fall ist, ein Nahrungsmittel, soferne es etwa 4% Zucker und 0,7% Eiweiß enthält. Allein der im Bier enthaltene Alkohol vermindert wie der Alkohol überhaupt die Arbeitskraft, und der Nährwert des Bieres ist im Verhältnisse zu

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Zitationshilfe: Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loewenfeld_student_1910/14>, abgerufen am 24.11.2024.