Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910.Wenn man die Stellung der deutschen Studentenschaft der Gegenwart zur Alkoholfrage besprechen will, stößt man zunächst anscheinend auf eine Schwierigkeit. Es ist, als ob man die Stellung der Deutschen überhaupt zur Alkoholfrage behandeln wollte. Wir wissen aber, daß bei unseren lieben deutschen Mitbürgern alle Abstufungen und Variationen der Ansichten vertreten sind, die überhaupt in Bezug auf die Alkoholfrage vorkommen. Von den Anhängern der absoluten Abstinenz, die am liebsten die Alkoholproduktion aus der Welt schaffen würden, bis zu Jenen, die ihren höchsten Lebensgenuß im Trinken erblicken, finden wir bei den Angehörigen der deutschen Nation alle Übergänge, und ähnlich liegen die Dinge bei der Studentenschaft. Und doch kann man nicht behaupten, daß die Studenten in Bezug auf die Alkoholfrage nichts Besonderes bieten und lediglich die verschiedenen Auffassungen der Gesamtbevölkerung vertreten. Bei näherer Betrachtung ergibt sich nämlich, daß bei einem großen Teile der deutschen Studenten, vielleicht gegenwärtig noch der Majorität derselben, eine Ansicht besteht, die in gleicher Weise nicht bei anderen Klassen der Bevölkerung ausgebildet ist, und der man deshalb eine gewisse Eigenart nicht absprechen kann. Diese Ansicht läßt sich ungefähr folgendermaßen formulieren: Das Biertrinken bildet ein Attribut des Studententums; es gehört gewissermaßen zum Wesen des Studentseins. Der richtige Student trinkt Bier, und wenn er dabei auch gelegentlich über die Schnur haut, so ist dies von gar keiner Bedeutung. Diese Ansicht, so große Verbreitung sie auch noch derzeit besitzt, ist für den nüchtern Denkenden keineswegs ohne Weiteres verständlich. Die Assoziation von Studentsein und Biertrinken ist ja in der Natur der Sache nicht begründet, so daß sie Jedermann einleuchten müßte. Wir wissen, daß bei uns die schwer arbeitenden Klassen das Biertrinken für nötig halten, weil sie den irrtümlichen Glauben hegen, daß sie hierdurch allein die für ihre Arbeit nötige Kraft erlangen können. Wir wissen auch, daß gewisse Berufsarten, z. B. die des Gastwirtes, des Weinhändlers, den Genuß geistiger Getränke sozusagen mit sich bringen. Von etwas derartigem ist bei dem Studenten Wenn man die Stellung der deutschen Studentenschaft der Gegenwart zur Alkoholfrage besprechen will, stößt man zunächst anscheinend auf eine Schwierigkeit. Es ist, als ob man die Stellung der Deutschen überhaupt zur Alkoholfrage behandeln wollte. Wir wissen aber, daß bei unseren lieben deutschen Mitbürgern alle Abstufungen und Variationen der Ansichten vertreten sind, die überhaupt in Bezug auf die Alkoholfrage vorkommen. Von den Anhängern der absoluten Abstinenz, die am liebsten die Alkoholproduktion aus der Welt schaffen würden, bis zu Jenen, die ihren höchsten Lebensgenuß im Trinken erblicken, finden wir bei den Angehörigen der deutschen Nation alle Übergänge, und ähnlich liegen die Dinge bei der Studentenschaft. Und doch kann man nicht behaupten, daß die Studenten in Bezug auf die Alkoholfrage nichts Besonderes bieten und lediglich die verschiedenen Auffassungen der Gesamtbevölkerung vertreten. Bei näherer Betrachtung ergibt sich nämlich, daß bei einem großen Teile der deutschen Studenten, vielleicht gegenwärtig noch der Majorität derselben, eine Ansicht besteht, die in gleicher Weise nicht bei anderen Klassen der Bevölkerung ausgebildet ist, und der man deshalb eine gewisse Eigenart nicht absprechen kann. Diese Ansicht läßt sich ungefähr folgendermaßen formulieren: Das Biertrinken bildet ein Attribut des Studententums; es gehört gewissermaßen zum Wesen des Studentseins. Der richtige Student trinkt Bier, und wenn er dabei auch gelegentlich über die Schnur haut, so ist dies von gar keiner Bedeutung. Diese Ansicht, so große Verbreitung sie auch noch derzeit besitzt, ist für den nüchtern Denkenden keineswegs ohne Weiteres verständlich. Die Assoziation von Studentsein und Biertrinken ist ja in der Natur der Sache nicht begründet, so daß sie Jedermann einleuchten müßte. Wir wissen, daß bei uns die schwer arbeitenden Klassen das Biertrinken für nötig halten, weil sie den irrtümlichen Glauben hegen, daß sie hierdurch allein die für ihre Arbeit nötige Kraft erlangen können. Wir wissen auch, daß gewisse Berufsarten, z. B. die des Gastwirtes, des Weinhändlers, den Genuß geistiger Getränke sozusagen mit sich bringen. 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Von den Anhängern der absoluten Abstinenz, die am liebsten die Alkoholproduktion aus der Welt schaffen würden, bis zu Jenen, die ihren höchsten Lebensgenuß im Trinken erblicken, finden wir bei den Angehörigen der deutschen Nation alle Übergänge, und ähnlich liegen die Dinge bei der Studentenschaft.</p> <p>Und doch kann man nicht behaupten, daß die Studenten in Bezug auf die Alkoholfrage nichts Besonderes bieten und lediglich die verschiedenen Auffassungen der Gesamtbevölkerung vertreten. Bei näherer Betrachtung ergibt sich nämlich, daß bei einem großen Teile der deutschen Studenten, vielleicht gegenwärtig noch der Majorität derselben, eine Ansicht besteht, die in gleicher Weise nicht bei anderen Klassen der Bevölkerung ausgebildet ist, und der man deshalb eine gewisse Eigenart nicht absprechen kann. Diese Ansicht läßt sich ungefähr folgendermaßen formulieren:</p> <p>Das Biertrinken bildet ein Attribut des Studententums; es gehört gewissermaßen zum Wesen des Studentseins. Der richtige Student trinkt Bier, und wenn er dabei auch gelegentlich über die Schnur haut, so ist dies von gar keiner Bedeutung. Diese Ansicht, so große Verbreitung sie auch noch derzeit besitzt, ist für den nüchtern Denkenden keineswegs ohne Weiteres verständlich. Die Assoziation von Studentsein und Biertrinken ist ja in der Natur der Sache nicht begründet, so daß sie Jedermann einleuchten müßte. Wir wissen, daß bei uns die schwer arbeitenden Klassen das Biertrinken für nötig halten, weil sie den irrtümlichen Glauben hegen, daß sie hierdurch allein die für ihre Arbeit nötige Kraft erlangen können. Wir wissen auch, daß gewisse Berufsarten, z. B. die des Gastwirtes, des Weinhändlers, den Genuß geistiger Getränke sozusagen mit sich bringen. Von etwas derartigem ist bei dem Studenten </p> </div> </body> </text> </TEI> [[3]/0005]
Wenn man die Stellung der deutschen Studentenschaft der Gegenwart zur Alkoholfrage besprechen will, stößt man zunächst anscheinend auf eine Schwierigkeit. Es ist, als ob man die Stellung der Deutschen überhaupt zur Alkoholfrage behandeln wollte. Wir wissen aber, daß bei unseren lieben deutschen Mitbürgern alle Abstufungen und Variationen der Ansichten vertreten sind, die überhaupt in Bezug auf die Alkoholfrage vorkommen. Von den Anhängern der absoluten Abstinenz, die am liebsten die Alkoholproduktion aus der Welt schaffen würden, bis zu Jenen, die ihren höchsten Lebensgenuß im Trinken erblicken, finden wir bei den Angehörigen der deutschen Nation alle Übergänge, und ähnlich liegen die Dinge bei der Studentenschaft.
Und doch kann man nicht behaupten, daß die Studenten in Bezug auf die Alkoholfrage nichts Besonderes bieten und lediglich die verschiedenen Auffassungen der Gesamtbevölkerung vertreten. Bei näherer Betrachtung ergibt sich nämlich, daß bei einem großen Teile der deutschen Studenten, vielleicht gegenwärtig noch der Majorität derselben, eine Ansicht besteht, die in gleicher Weise nicht bei anderen Klassen der Bevölkerung ausgebildet ist, und der man deshalb eine gewisse Eigenart nicht absprechen kann. Diese Ansicht läßt sich ungefähr folgendermaßen formulieren:
Das Biertrinken bildet ein Attribut des Studententums; es gehört gewissermaßen zum Wesen des Studentseins. Der richtige Student trinkt Bier, und wenn er dabei auch gelegentlich über die Schnur haut, so ist dies von gar keiner Bedeutung. Diese Ansicht, so große Verbreitung sie auch noch derzeit besitzt, ist für den nüchtern Denkenden keineswegs ohne Weiteres verständlich. Die Assoziation von Studentsein und Biertrinken ist ja in der Natur der Sache nicht begründet, so daß sie Jedermann einleuchten müßte. Wir wissen, daß bei uns die schwer arbeitenden Klassen das Biertrinken für nötig halten, weil sie den irrtümlichen Glauben hegen, daß sie hierdurch allein die für ihre Arbeit nötige Kraft erlangen können. Wir wissen auch, daß gewisse Berufsarten, z. B. die des Gastwirtes, des Weinhändlers, den Genuß geistiger Getränke sozusagen mit sich bringen. Von etwas derartigem ist bei dem Studenten
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