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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] Meyn entgegen geschickt/ von denen Hermun-
durern aber/ welche sie anfangs für den Auffzug
Thußneldens angesehen hätten/ angefallen und
geschlagen/ sie aber gefangen worden wäre. Der
Streit hätte fast zwey Stunden an gleicher
Wage gehangen; es wären aber zuletzt hundert
Cherusker den Marckmännern aus dem Wal-
de so unvermuthet in Rücken gefallen: daß diese
hierüber in Schrecken und bald darauf in die
Flucht gerathen. Sie wüste zwar nicht/ wer
der feindlichen Hermundurer Heerführer wä-
re; sie getröstete sich aber durch eines so grossen
Fürsten Vorbitte ein gnädiger Auge/ als an-
fangs von ihm zu erlangen; und daß man sie
als eine Fürstliche Gefangene halten würde;
weil doch auch im Kriege das Frauen-Zimmer/
wo nicht einen Vortheil zu haben/ doch ein Mit-
leiden zu erbitten verdiente. Hertzog Herrmann
ersuchte hierauf den Fürsten Jubil: daß er seine
Gefangene wol unterhalten lassen möchte; weil
es nicht nur ihre Tugend werth zu seyn schiene/
sondern auch Thußnelde die von ihr genossene
Freundschafft bey ihrer Gefangenschafft hoch
gerühmet hätte. Jubil erklärte sich darauff:
Er hätte zwar seinen Tod-Feind und Vater-
Mörder Marbod so sehr zu hassen Ursache: daß
er auch in seiner Tochter Blute die Hände zu
waschen sich berechtigt hielte; und diß im ersten
Eyver auszuüben nicht ungeneigt gewest wä-
re; weil die wieder seinen Oberherrn aus geübte
Verrätherey auch auf die Kinder das Rach-
Schwerdt abweltzte; alleine seines so grossen
Wolthäters Begehren vermöchte bey ihm alle
Empfindligkeit auch gegen den Marbod selbst
auszutilgen. Sintemahl die/ welche die Rache
der Göttlichen Gerechtigkeit heimstellten/ ihrer
Feinde Unglück auf Wucher anstehen liessen; in
dem ihr miß brauchtes Mord-Eisen so sehr/ aber
gerechter nach des Mörders/ als dieser vorher
nach fremdem Blute gedürstet hätte. Wiewol
es auch das Ansehen zu haben schiene: daß er
durch dieses herrliche Pfand seiner einigen
[Spaltenumbruch] Tochter dem Marbod ein Theil seines abge-
drungenen Landes abtrotzen könte; so wäre doch
auf diese Hoffnung wenig zu anckern; weil die
Begierde zu herrschen auch die hefftigste Kin-
der-Liebe ersteckte. Diesemnach er denn Adel-
gunden nicht besser anzugewehren wüste/ als
wenn sie der Cheruskische Hertzog von ihm für
ein Geschäncke anzunehmen würdigen wolte.
Hertzog Herrmann nahm diß zu Danck an; und
nach dem sie allerseits zurücke über den Meyn
gesetzt/ die Fürstin Thußnelde aber noch nicht
gefunden hatten/ ließ ihm Herrmann seine
Wunden verbinden/ und nicht erwehren: daß
er/ wiewol schon bey anbrechender Nacht selbst
ins Gebürge ritt; und als er nicht weiter reiten
konte/ an den Klippen hinauff kletterte/ nach
dessen Beyspiele das Gabretische Gebürge mit
unzehlbaren Fackeln und dem Geschrey der
Cherusker erfüllet ward; welche weder die Stil-
le und Finsternüs der Nacht/ noch die verborge-
nen Hölen der Berge die so sehr gewünschte
Thußnelde wolten verstecken lassen. Hertzog
Herrmann hatte mit dem Steigen und Ruffen
sich so abgemattet: daß er einem von ferne
rauschenden Wasser/ um sich darmit zu erqui-
cken/ sich nähern muste; wie ihn denn ein un-
versehens gefundener Fußsteig zu einer von lau-
ter in einander geflochtenen Wurtzeln derer dar-
über stehenden Väume artlich gemachten Höle
leitete/ in welcher aus einem gespaltenen Felsen
zwey starcke Quelle herfür schossen. Wie nun
Herrmann sich zu dem einen bückte daraus zu
trincken/ ward er mit dem einen Arme gewalt-
sam zurück gezogen; massen er denn auch sich
umwendende ein alle menschliche Grösse über-
steigendes Weibes-Bild hinter sich an den
Stein - Felß angelehnet zu Gesichte bekam.
Herrmann entsetzte sich zwar; iedoch erholte er
sich bald wieder/ und fragte: warum ihm zu trin-
cken verwehret würde? Diese antwortete: weil
der/ welcher vom Verhängnüße zum Erlöser
des schon halb dienstbaren Deutschlandes erkie-

set

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] Meyn entgegen geſchickt/ von denen Hermun-
durern aber/ welche ſie anfangs fuͤr den Auffzug
Thußneldens angeſehen haͤtten/ angefallen und
geſchlagen/ ſie aber gefangen worden waͤre. Der
Streit haͤtte faſt zwey Stunden an gleicher
Wage gehangen; es waͤren aber zuletzt hundert
Cherusker den Marckmaͤnnern aus dem Wal-
de ſo unvermuthet in Ruͤcken gefallen: daß dieſe
hieruͤber in Schrecken und bald darauf in die
Flucht gerathen. Sie wuͤſte zwar nicht/ wer
der feindlichen Hermundurer Heerfuͤhrer waͤ-
re; ſie getroͤſtete ſich aber durch eines ſo groſſen
Fuͤrſten Vorbitte ein gnaͤdiger Auge/ als an-
fangs von ihm zu erlangen; und daß man ſie
als eine Fuͤrſtliche Gefangene halten wuͤrde;
weil doch auch im Kriege das Frauen-Zimmer/
wo nicht einen Voꝛtheil zu haben/ doch ein Mit-
leiden zu erbitten verdiente. Hertzog Herrmann
erſuchte hierauf den Fuͤrſten Jubil: daß er ſeine
Gefangene wol unterhalten laſſen moͤchte; weil
es nicht nur ihre Tugend werth zu ſeyn ſchiene/
ſondern auch Thußnelde die von ihr genoſſene
Freundſchafft bey ihrer Gefangenſchafft hoch
geruͤhmet haͤtte. Jubil erklaͤrte ſich darauff:
Er haͤtte zwar ſeinen Tod-Feind und Vater-
Moͤrder Marbod ſo ſehr zu haſſen Urſache: daß
er auch in ſeiner Tochter Blute die Haͤnde zu
waſchen ſich berechtigt hielte; und diß im erſten
Eyver auszuuͤben nicht ungeneigt geweſt waͤ-
re; weil die wieder ſeinen Oberherrn aus geuͤbte
Verraͤtherey auch auf die Kinder das Rach-
Schwerdt abweltzte; alleine ſeines ſo groſſen
Wolthaͤters Begehren vermoͤchte bey ihm alle
Empfindligkeit auch gegen den Marbod ſelbſt
auszutilgen. Sintemahl die/ welche die Rache
der Goͤttlichen Gerechtigkeit heimſtellten/ ihrer
Feinde Ungluͤck auf Wucher anſtehen lieſſen; in
dem ihr miß brauchtes Mord-Eiſen ſo ſehr/ aber
gerechter nach des Moͤrders/ als dieſer vorher
nach fremdem Blute geduͤrſtet haͤtte. Wiewol
es auch das Anſehen zu haben ſchiene: daß er
durch dieſes herrliche Pfand ſeiner einigen
[Spaltenumbruch] Tochter dem Marbod ein Theil ſeines abge-
drungenen Landes abtrotzen koͤnte; ſo waͤre doch
auf dieſe Hoffnung wenig zu anckern; weil die
Begierde zu herrſchen auch die hefftigſte Kin-
der-Liebe erſteckte. Dieſemnach er denn Adel-
gunden nicht beſſer anzugewehren wuͤſte/ als
wenn ſie der Cheruskiſche Hertzog von ihm fuͤr
ein Geſchaͤncke anzunehmen wuͤrdigen wolte.
Hertzog Herrmañ nahm diß zu Danck an; und
nach dem ſie allerſeits zuruͤcke uͤber den Meyn
geſetzt/ die Fuͤrſtin Thußnelde aber noch nicht
gefunden hatten/ ließ ihm Herrmann ſeine
Wunden verbinden/ und nicht erwehren: daß
er/ wiewol ſchon bey anbrechender Nacht ſelbſt
ins Gebuͤrge ritt; und als er nicht weiter reiten
konte/ an den Klippen hinauff kletterte/ nach
deſſen Beyſpiele das Gabretiſche Gebuͤrge mit
unzehlbaren Fackeln und dem Geſchrey der
Cherusker erfuͤllet ward; welche weder die Stil-
le und Finſternuͤs der Nacht/ noch die verborge-
nen Hoͤlen der Berge die ſo ſehr gewuͤnſchte
Thußnelde wolten verſtecken laſſen. Hertzog
Herrmann hatte mit dem Steigen und Ruffen
ſich ſo abgemattet: daß er einem von ferne
rauſchenden Waſſer/ um ſich darmit zu erqui-
cken/ ſich naͤhern muſte; wie ihn denn ein un-
verſehens gefundener Fußſteig zu einer von lau-
ter in einander geflochtenen Wuꝛtzeln derer dar-
uͤber ſtehenden Vaͤume artlich gemachten Hoͤle
leitete/ in welcher aus einem geſpaltenen Felſen
zwey ſtarcke Quelle herfuͤr ſchoſſen. Wie nun
Herrmann ſich zu dem einen buͤckte daraus zu
trincken/ ward er mit dem einen Arme gewalt-
ſam zuruͤck gezogen; maſſen er denn auch ſich
umwendende ein alle menſchliche Groͤſſe uͤber-
ſteigendes Weibes-Bild hinter ſich an den
Stein - Felß angelehnet zu Geſichte bekam.
Herrmann entſetzte ſich zwar; iedoch erholte er
ſich bald wieder/ und fragte: warum ihm zu trin-
cken verwehret wuͤrde? Dieſe antwortete: weil
der/ welcher vom Verhaͤngnuͤße zum Erloͤſer
des ſchon halb dienſtbaren Deutſchlandes erkie-

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[1304[1306]/1370] Achtes Buch Meyn entgegen geſchickt/ von denen Hermun- durern aber/ welche ſie anfangs fuͤr den Auffzug Thußneldens angeſehen haͤtten/ angefallen und geſchlagen/ ſie aber gefangen worden waͤre. Der Streit haͤtte faſt zwey Stunden an gleicher Wage gehangen; es waͤren aber zuletzt hundert Cherusker den Marckmaͤnnern aus dem Wal- de ſo unvermuthet in Ruͤcken gefallen: daß dieſe hieruͤber in Schrecken und bald darauf in die Flucht gerathen. Sie wuͤſte zwar nicht/ wer der feindlichen Hermundurer Heerfuͤhrer waͤ- re; ſie getroͤſtete ſich aber durch eines ſo groſſen Fuͤrſten Vorbitte ein gnaͤdiger Auge/ als an- fangs von ihm zu erlangen; und daß man ſie als eine Fuͤrſtliche Gefangene halten wuͤrde; weil doch auch im Kriege das Frauen-Zimmer/ wo nicht einen Voꝛtheil zu haben/ doch ein Mit- leiden zu erbitten verdiente. Hertzog Herrmann erſuchte hierauf den Fuͤrſten Jubil: daß er ſeine Gefangene wol unterhalten laſſen moͤchte; weil es nicht nur ihre Tugend werth zu ſeyn ſchiene/ ſondern auch Thußnelde die von ihr genoſſene Freundſchafft bey ihrer Gefangenſchafft hoch geruͤhmet haͤtte. Jubil erklaͤrte ſich darauff: Er haͤtte zwar ſeinen Tod-Feind und Vater- Moͤrder Marbod ſo ſehr zu haſſen Urſache: daß er auch in ſeiner Tochter Blute die Haͤnde zu waſchen ſich berechtigt hielte; und diß im erſten Eyver auszuuͤben nicht ungeneigt geweſt waͤ- re; weil die wieder ſeinen Oberherrn aus geuͤbte Verraͤtherey auch auf die Kinder das Rach- Schwerdt abweltzte; alleine ſeines ſo groſſen Wolthaͤters Begehren vermoͤchte bey ihm alle Empfindligkeit auch gegen den Marbod ſelbſt auszutilgen. Sintemahl die/ welche die Rache der Goͤttlichen Gerechtigkeit heimſtellten/ ihrer Feinde Ungluͤck auf Wucher anſtehen lieſſen; in dem ihr miß brauchtes Mord-Eiſen ſo ſehr/ aber gerechter nach des Moͤrders/ als dieſer vorher nach fremdem Blute geduͤrſtet haͤtte. Wiewol es auch das Anſehen zu haben ſchiene: daß er durch dieſes herrliche Pfand ſeiner einigen Tochter dem Marbod ein Theil ſeines abge- drungenen Landes abtrotzen koͤnte; ſo waͤre doch auf dieſe Hoffnung wenig zu anckern; weil die Begierde zu herrſchen auch die hefftigſte Kin- der-Liebe erſteckte. Dieſemnach er denn Adel- gunden nicht beſſer anzugewehren wuͤſte/ als wenn ſie der Cheruskiſche Hertzog von ihm fuͤr ein Geſchaͤncke anzunehmen wuͤrdigen wolte. Hertzog Herrmañ nahm diß zu Danck an; und nach dem ſie allerſeits zuruͤcke uͤber den Meyn geſetzt/ die Fuͤrſtin Thußnelde aber noch nicht gefunden hatten/ ließ ihm Herrmann ſeine Wunden verbinden/ und nicht erwehren: daß er/ wiewol ſchon bey anbrechender Nacht ſelbſt ins Gebuͤrge ritt; und als er nicht weiter reiten konte/ an den Klippen hinauff kletterte/ nach deſſen Beyſpiele das Gabretiſche Gebuͤrge mit unzehlbaren Fackeln und dem Geſchrey der Cherusker erfuͤllet ward; welche weder die Stil- le und Finſternuͤs der Nacht/ noch die verborge- nen Hoͤlen der Berge die ſo ſehr gewuͤnſchte Thußnelde wolten verſtecken laſſen. Hertzog Herrmann hatte mit dem Steigen und Ruffen ſich ſo abgemattet: daß er einem von ferne rauſchenden Waſſer/ um ſich darmit zu erqui- cken/ ſich naͤhern muſte; wie ihn denn ein un- verſehens gefundener Fußſteig zu einer von lau- ter in einander geflochtenen Wuꝛtzeln derer dar- uͤber ſtehenden Vaͤume artlich gemachten Hoͤle leitete/ in welcher aus einem geſpaltenen Felſen zwey ſtarcke Quelle herfuͤr ſchoſſen. Wie nun Herrmann ſich zu dem einen buͤckte daraus zu trincken/ ward er mit dem einen Arme gewalt- ſam zuruͤck gezogen; maſſen er denn auch ſich umwendende ein alle menſchliche Groͤſſe uͤber- ſteigendes Weibes-Bild hinter ſich an den Stein - Felß angelehnet zu Geſichte bekam. Herrmann entſetzte ſich zwar; iedoch erholte er ſich bald wieder/ und fragte: warum ihm zu trin- cken verwehret wuͤrde? Dieſe antwortete: weil der/ welcher vom Verhaͤngnuͤße zum Erloͤſer des ſchon halb dienſtbaren Deutſchlandes erkie- ſet

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1304[1306]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1370>, abgerufen am 23.11.2024.