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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] Schiffen bedecket/ der Himmel aber von
dem hellen Lichte des Vollmonds erleuchtet.
Muräna war nicht weit vom Ufer abgefahren/
als eine von dem Berge Vesuvius auffsteigen-
de schwartze Wolcke den Monden umhüllete/
die Lufft stockfinster machte/ und einen harten
Sturm erregte; also/ daß die Schiffleute nicht
so geschwinde die Segel einziehen konten/ als
von diesem grössern Schiffe ein anders überse-
gelt und umgestürtzt ward. Bey solchem Un-
glücke vernahm der oben auff dem Bodeme des
Schiffes stehende Muräna unter andern Ge-
schrey eine klägliche Weibs-Stimme/ welche
rieff: Ach! Antonia! Dieses Wort brachte al-
sofort den Muräna in die verzweiffelte Ent-
schlüssung/ daß er in die See sprang/ der geschei-
terten Antonia beyzuspringen. Der Himmel
selbst schiene diesem rühmlichen Vorsatze die
Hand zu reichen/ als welcher sich fast selbigen
Augenblick ausleuterte; Und das Monden-
Licht ließ ihn fast alle in der See schwimmende
Menschen unterscheiden. Hiermit ergriff er
mit iedem Arme ein Frauenzimmer/ und durch
seine Geschickligkeit lendete er mit beyden an sei-
nem nunmehr nach abgeworffenen Segeln still-
stehenden Schiffe an. Die Boots-Leute half-
fen auch/ daß so wohl beyde auffgefischten Frau-
enzimmer als Muräna ins Schiff gezohenwurden.
Jene erkennte man alsobald für Octavien und
Antonien; worüber Muräna so verwirret war/
daß er nicht wuste/ ob er sich über seiner Hülffe
erfreuen/ oder/ weil beyde mehr todt als lebendig
schienen/ über solchem Hertzeleide zu tode grämen
solte. Nachdem man sie aber vorwerts legte/
wormit das Wasser ihnen aus dem Munde
wieder abschiessen konte/ ihnen auch mit Erwär-
mung und kräfftigen Labsalen beysprang/ erhol-
te sich anfangs Antonia/ und hernach auch ih-
re Mutter. Jnzwischen ländeten sie zu Puteo-
li an/ allwo dieser Zufall die Nacht mit Fleiß
verschwiegen gehalten ward/ wormit weder der
Käyser erschrecket/ noch dieser zweyer noch mat-
[Spaltenumbruch] ten Frauenzimmer nöthige Ruh verstöret wür-
de. Wie nun aber früh sich eine unglaubliche
Menge Volcks bey Einweihung des Tempels
einfand/ ward alsofort ruchtbar: wie die in
die See gestürtzte Octavia und Antonia vom
Muräna wäre errettet worden? Dahero such-
te nach vollbrachter Einsegnung der Käyser mit
der Livia beyde heim/ ließ auch den Muräna da-
hin holen/ und bezeugte gegen die Schiffbruch
leidenden über ihrer Erhaltung grosse Freude/
gegen dem Muräna aber grosse Verbindlig-
keit. Livia schertzte auch hierbey: weil Antonie
zeither einer Murene so viel Annehmligkeit er-
wiesen/ hätten die Götter sie billich durch Mu-
ränen aus dem Rachen des Todes gerissen.
Octavia/ welche allererst spät erfuhr/ wer ihrer
beyder Lebens-Erhalter gewest wäre/ wuste mit
Worten gegen ihm ihre Danckbarkeit nicht
auszudrücken/ Antonia aber muste ihre Em-
pfindligkeit mehr verstellen/ und ihre Schul-
digkeit nur durch einen und andern annehmli-
chen Blick oder Seuffzer zu verstehen geben.
Nach dem Abschiede des Käysers und der Käy-
serin nahm Muräna die Gelegenheit wahr/ An-
tonien das überkommene Schreiben des Dru-
sus/ und das seinige unvermerckt zuzustecken.
Als dieser nun aber ebenfalls zurück kehren
wolte/ stieg die liebreitzende Julia an der Pforte
des Hauses gleich vom Wagen um Antonien
zu besuchen. Diese redete den Muräna lä-
chelnde an: Es hätte die Göttin Diana/ wel-
cher Stelle sie unter der Zahl der zwölff Göt-
ter bey Einweihung des neuen Tempels und
Auffnehmung des Augustus vertreten hatte/
ihr ihm etwas zuzustellen anvertrauet; reichte
ihm hiermit einen Zettel/ darinnen er diese
Worte fand:

Nachdem es sich nicht geziemet denen Ur-
theln der Natur zu widerstreben/ welche mit ih-
rer Klugheit alle unsere Spitzfindigkeit über-
trifft; so mag ich länger nicht läugnen/ daß ich
den Muräna mehr/ als seinen Nebenbuhler/

ja/

Vierdtes Buch
[Spaltenumbruch] Schiffen bedecket/ der Himmel aber von
dem hellen Lichte des Vollmonds erleuchtet.
Muraͤna war nicht weit vom Ufer abgefahren/
als eine von dem Berge Veſuvius auffſteigen-
de ſchwartze Wolcke den Monden umhuͤllete/
die Lufft ſtockfinſter machte/ und einen harten
Sturm erregte; alſo/ daß die Schiffleute nicht
ſo geſchwinde die Segel einziehen konten/ als
von dieſem groͤſſern Schiffe ein anders uͤberſe-
gelt und umgeſtuͤrtzt ward. Bey ſolchem Un-
gluͤcke vernahm der oben auff dem Bodeme des
Schiffes ſtehende Muraͤna unter andern Ge-
ſchrey eine klaͤgliche Weibs-Stimme/ welche
rieff: Ach! Antonia! Dieſes Wort brachte al-
ſofort den Muraͤna in die verzweiffelte Ent-
ſchluͤſſung/ daß er in die See ſprang/ der geſchei-
terten Antonia beyzuſpringen. Der Himmel
ſelbſt ſchiene dieſem ruͤhmlichen Vorſatze die
Hand zu reichen/ als welcher ſich faſt ſelbigen
Augenblick ausleuterte; Und das Monden-
Licht ließ ihn faſt alle in der See ſchwimmende
Menſchen unterſcheiden. Hiermit ergriff er
mit iedem Arme ein Frauenzimmer/ und durch
ſeine Geſchickligkeit lendete er mit beyden an ſei-
nem nunmehr nach abgeworffenen Segeln ſtill-
ſtehenden Schiffe an. Die Boots-Leute half-
fen auch/ daß ſo wohl beyde auffgefiſchten Frau-
enzim̃er als Muraͤna ins Schiff gezohenwurdẽ.
Jene erkennte man alſobald fuͤr Octavien und
Antonien; woruͤber Muraͤna ſo verwirret war/
daß er nicht wuſte/ ob er ſich uͤber ſeiner Huͤlffe
erfreuen/ oder/ weil beyde mehr todt als lebendig
ſchienen/ uͤbeꝛ ſolchem Hertzeleide zu tode graͤmen
ſolte. Nachdem man ſie aber vorwerts legte/
wormit das Waſſer ihnen aus dem Munde
wieder abſchieſſen konte/ ihnen auch mit Erwaͤr-
mung und kraͤfftigen Labſalen beyſprang/ erhol-
te ſich anfangs Antonia/ und hernach auch ih-
re Mutter. Jnzwiſchen laͤndeten ſie zu Puteo-
li an/ allwo dieſer Zufall die Nacht mit Fleiß
verſchwiegen gehalten ward/ wormit weder der
Kaͤyſer erſchrecket/ noch dieſer zweyer noch mat-
[Spaltenumbruch] ten Frauenzimmer noͤthige Ruh verſtoͤret wuͤr-
de. Wie nun aber fruͤh ſich eine unglaubliche
Menge Volcks bey Einweihung des Tempels
einfand/ ward alſofort ruchtbar: wie die in
die See geſtuͤrtzte Octavia und Antonia vom
Muraͤna waͤre errettet worden? Dahero ſuch-
te nach vollbrachter Einſegnung der Kaͤyſer mit
der Livia beyde heim/ ließ auch den Muraͤna da-
hin holen/ und bezeugte gegen die Schiffbruch
leidenden uͤber ihrer Erhaltung groſſe Freude/
gegen dem Muraͤna aber groſſe Verbindlig-
keit. Livia ſchertzte auch hierbey: weil Antonie
zeither einer Murene ſo viel Annehmligkeit er-
wieſen/ haͤtten die Goͤtter ſie billich durch Mu-
raͤnen aus dem Rachen des Todes geriſſen.
Octavia/ welche allererſt ſpaͤt erfuhr/ wer ihrer
beyder Lebens-Erhalter geweſt waͤre/ wuſte mit
Worten gegen ihm ihre Danckbarkeit nicht
auszudruͤcken/ Antonia aber muſte ihre Em-
pfindligkeit mehr verſtellen/ und ihre Schul-
digkeit nur durch einen und andern annehmli-
chen Blick oder Seuffzer zu verſtehen geben.
Nach dem Abſchiede des Kaͤyſers und der Kaͤy-
ſerin nahm Muraͤna die Gelegenheit wahr/ An-
tonien das uͤberkommene Schreiben des Dru-
ſus/ und das ſeinige unvermerckt zuzuſtecken.
Als dieſer nun aber ebenfalls zuruͤck kehren
wolte/ ſtieg die liebreitzende Julia an der Pforte
des Hauſes gleich vom Wagen um Antonien
zu beſuchen. Dieſe redete den Muraͤna laͤ-
chelnde an: Es haͤtte die Goͤttin Diana/ wel-
cher Stelle ſie unter der Zahl der zwoͤlff Goͤt-
ter bey Einweihung des neuen Tempels und
Auffnehmung des Auguſtus vertreten hatte/
ihr ihm etwas zuzuſtellen anvertrauet; reichte
ihm hiermit einen Zettel/ darinnen er dieſe
Worte fand:

Nachdem es ſich nicht geziemet denen Ur-
theln der Natur zu widerſtreben/ welche mit ih-
rer Klugheit alle unſere Spitzfindigkeit uͤber-
trifft; ſo mag ich laͤnger nicht laͤugnen/ daß ich
den Muraͤna mehr/ als ſeinen Nebenbuhler/

ja/
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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/444>, abgerufen am 22.11.2024.