Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

lich, erwiderte sie, und ein großer Schmerz muß niemals bei Ihnen eingekehrt sein, wenn Sie voraussetzen, daß er sich nur in einem ununterbrochenen, menschenscheuen Trübsinn, in fortwährenden Seufzern und Geberden der Melancholie äußern könne. So lange der Schmerz noch beständig an der Miene der Düsterkeit festhält, ist er noch nicht ganz dem Innersten der Seele eingeimpft, ist es noch immer möglich, daß er plötzlich einem Trost, wenn nicht einer Freude weiche. Anders ist die Wirkung gänzlicher Hoffnungslosigkeit. Sie concentrirt nicht fortwährend alle Saiten des Innern in einem einzigen Accord, in dem Weh über ein plötzliches Unglück, sie stimmt vielmehr alle diese Saiten um vieles tiefer herab und macht sie schlaffer. Die Fähigkeiten zur Freude, zur Unterhaltung, zum Lächeln und selbst zum Lachen sind noch alle vorhanden, aber matt und gebrochen. Dem Herzen sind die Schwungfedern ausgerissen: innerhalb der Sphäre seines Schmerzes, die es von allen Seiten umgiebt, kann es noch heiter scheinen und lächeln, aber über diese Sphäre hinaus kann es sich nicht mehr erheben.

So kömmt es, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, daß ich sogar noch immer heitere Geselligkeit liebe, aber nur in zwei Arten, entweder als Gesellschaft starker und erhabener Geister, oder als Verkehr mit den Leuten, die keinen Geist haben, aber dabei auch die große Tugend besitzen, keinen Geist haben zu wollen. Einem Kreis von Weisen, Künstlern, Poeten zum

lich, erwiderte sie, und ein großer Schmerz muß niemals bei Ihnen eingekehrt sein, wenn Sie voraussetzen, daß er sich nur in einem ununterbrochenen, menschenscheuen Trübsinn, in fortwährenden Seufzern und Geberden der Melancholie äußern könne. So lange der Schmerz noch beständig an der Miene der Düsterkeit festhält, ist er noch nicht ganz dem Innersten der Seele eingeimpft, ist es noch immer möglich, daß er plötzlich einem Trost, wenn nicht einer Freude weiche. Anders ist die Wirkung gänzlicher Hoffnungslosigkeit. Sie concentrirt nicht fortwährend alle Saiten des Innern in einem einzigen Accord, in dem Weh über ein plötzliches Unglück, sie stimmt vielmehr alle diese Saiten um vieles tiefer herab und macht sie schlaffer. Die Fähigkeiten zur Freude, zur Unterhaltung, zum Lächeln und selbst zum Lachen sind noch alle vorhanden, aber matt und gebrochen. Dem Herzen sind die Schwungfedern ausgerissen: innerhalb der Sphäre seines Schmerzes, die es von allen Seiten umgiebt, kann es noch heiter scheinen und lächeln, aber über diese Sphäre hinaus kann es sich nicht mehr erheben.

So kömmt es, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, daß ich sogar noch immer heitere Geselligkeit liebe, aber nur in zwei Arten, entweder als Gesellschaft starker und erhabener Geister, oder als Verkehr mit den Leuten, die keinen Geist haben, aber dabei auch die große Tugend besitzen, keinen Geist haben zu wollen. Einem Kreis von Weisen, Künstlern, Poeten zum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="5">
        <p><pb facs="#f0036"/>
lich, erwiderte sie, und ein großer Schmerz      muß niemals bei Ihnen eingekehrt sein, wenn Sie voraussetzen, daß er sich nur in einem      ununterbrochenen, menschenscheuen Trübsinn, in fortwährenden Seufzern und Geberden der      Melancholie äußern könne. So lange der Schmerz noch beständig an der Miene der Düsterkeit      festhält, ist er noch nicht ganz dem Innersten der Seele eingeimpft, ist es noch immer möglich,      daß er plötzlich einem Trost, wenn nicht einer Freude weiche. Anders ist die Wirkung gänzlicher      Hoffnungslosigkeit. Sie concentrirt nicht fortwährend alle Saiten des Innern in einem einzigen      Accord, in dem Weh über ein plötzliches Unglück, sie stimmt vielmehr alle diese Saiten um      vieles tiefer herab und macht sie schlaffer. Die Fähigkeiten zur Freude, zur Unterhaltung, zum      Lächeln und selbst zum Lachen sind noch alle vorhanden, aber matt und gebrochen. Dem Herzen      sind die Schwungfedern ausgerissen: innerhalb der Sphäre seines Schmerzes, die es von allen      Seiten umgiebt, kann es noch heiter scheinen und lächeln, aber über diese Sphäre hinaus kann es      sich nicht mehr erheben.</p><lb/>
        <p>So kömmt es, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, daß ich sogar noch immer heitere      Geselligkeit liebe, aber nur in zwei Arten, entweder als Gesellschaft starker und erhabener      Geister, oder als Verkehr mit den Leuten, die keinen Geist haben, aber dabei auch die große      Tugend besitzen, keinen Geist haben zu wollen. Einem Kreis von Weisen, Künstlern, Poeten zum<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] lich, erwiderte sie, und ein großer Schmerz muß niemals bei Ihnen eingekehrt sein, wenn Sie voraussetzen, daß er sich nur in einem ununterbrochenen, menschenscheuen Trübsinn, in fortwährenden Seufzern und Geberden der Melancholie äußern könne. So lange der Schmerz noch beständig an der Miene der Düsterkeit festhält, ist er noch nicht ganz dem Innersten der Seele eingeimpft, ist es noch immer möglich, daß er plötzlich einem Trost, wenn nicht einer Freude weiche. Anders ist die Wirkung gänzlicher Hoffnungslosigkeit. Sie concentrirt nicht fortwährend alle Saiten des Innern in einem einzigen Accord, in dem Weh über ein plötzliches Unglück, sie stimmt vielmehr alle diese Saiten um vieles tiefer herab und macht sie schlaffer. Die Fähigkeiten zur Freude, zur Unterhaltung, zum Lächeln und selbst zum Lachen sind noch alle vorhanden, aber matt und gebrochen. Dem Herzen sind die Schwungfedern ausgerissen: innerhalb der Sphäre seines Schmerzes, die es von allen Seiten umgiebt, kann es noch heiter scheinen und lächeln, aber über diese Sphäre hinaus kann es sich nicht mehr erheben. So kömmt es, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, daß ich sogar noch immer heitere Geselligkeit liebe, aber nur in zwei Arten, entweder als Gesellschaft starker und erhabener Geister, oder als Verkehr mit den Leuten, die keinen Geist haben, aber dabei auch die große Tugend besitzen, keinen Geist haben zu wollen. Einem Kreis von Weisen, Künstlern, Poeten zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/36
Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/36>, abgerufen am 03.12.2024.