Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite

Labsal in Trübsal.
Mutter ihrem eigenwilligen Kind biß es nichts mehr vermag und sich
aufs Weinen begiebt, und mit sehnlichen Thränen auf der lieben
Mutter Hülff wartet; Manche haben die Sache so gewaltig ange-
griffen, daß ihnen der Kopf hätte mögen zerspringen, biß sie endlich
mit Wehemuth des Hertzens in ihr Nichts versuncken, Christo die
Ehre gegeben, sich gantz von sich selbst ab-zu GOtt gewendt, auf
sein Heyl gewartet; mithin was das liebreiche Mutter Hertz Christi
vermöge, zu ihrer sehr grosser Freude erfahren haben; also, also ler-
net zuletzt der unverständige, eigensinnige, hochmüthige Sünder die
so seelige Theologiam passivam, das ist, daß er GOTT in sich wür-
cken lasse, und auf diesem Weg allein kommt er zum Ziel.

um zu er-
kennen zu
geben wie
gut es die
haben, so
an JEsu
bleiben.

§. 8. Es ist leicht zu erachten, daß ein Kind einen weitern Weg
mache, so es getragen wird und nicht selbst gehen muß, dann es
wandlet auf seiner Mutter Beinen, doch thuts es nicht, biß es so
müd, daß es nicht mehr mag, und sich nur stoßt und fallt, also daß
es von erst gut Lehr-Geld geben muß, ehe es gewitziget wird und
JEsum recht zu gebrauchen weißt, wozu er uns von GOtt gemacht
ist. Gleicher weise lernt eine Seel erst nach vieler Erfahrung, vie-
lem Strauchlen, Still-Stehen, Zuruck-Sehen und Gehen, vie-
lem eignen Rennen, Lauffen, wie gut es die haben, so stets bey JE-
su bleiben, an seinen Brüsten ihre Lust und Wachsthum haben, an
JEsu wie Kletten hangen, kleben, nicht lang voraus lauffen oder
beyseits ausweichen: O ein gar wichtige Lection ists zu JEsu gehen
und in ihm bleiben, welche in unseren Tagen schlecht practiciert wird,
darum auch wenig Frucht vorhanden und die so man siehet, was da
ist von Buß, Selbst-Verläugnung, Gedult, Demuth, Heiligkeit,
Sanfftmuth, beständiger Anbettung im Heiligthum, Vereinigung
und Gemeinschafft mit GOtt, Nachfolg JEsu des Gecreutzigten etc.
das ist eingeschmurret, ungeschmackt, wurmäßig, daß sie wenig nutz
und dienlich sind in GOttes Haußhaltung. Und das alles darum,
weil dem fladerhafften Geist Zeit und Weile zu lang wird bey JE-
su, auf seinen heiligen Geist zu warten, wie die Lilien und Sonnen-
Blum auf den Glantz und Thau des Himmels, weßwegen keine an-
muthigere Music einer Seel (die bißhero zu keinem Göttlichen Wan-
del und Leben es hat bringen können, sondern Wechslungs-weise
himmlisches und irrdisches in ihr geherrscht) nimmermehr seyn kan,
als zu hören und zu vernehmen, JEsus sey vorhanden, ihre Sa-

che

Labſal in Truͤbſal.
Mutter ihrem eigenwilligen Kind biß es nichts mehr vermag und ſich
aufs Weinen begiebt, und mit ſehnlichen Thraͤnen auf der lieben
Mutter Huͤlff wartet; Manche haben die Sache ſo gewaltig ange-
griffen, daß ihnen der Kopf haͤtte moͤgen zerſpringen, biß ſie endlich
mit Wehemuth des Hertzens in ihr Nichts verſuncken, Chriſto die
Ehre gegeben, ſich gantz von ſich ſelbſt ab-zu GOtt gewendt, auf
ſein Heyl gewartet; mithin was das liebreiche Mutter Hertz Chriſti
vermoͤge, zu ihrer ſehr groſſer Freude erfahren haben; alſo, alſo ler-
net zuletzt der unverſtaͤndige, eigenſinnige, hochmuͤthige Suͤnder die
ſo ſeelige Theologiam paſſivam, das iſt, daß er GOTT in ſich wuͤr-
cken laſſe, und auf dieſem Weg allein kommt er zum Ziel.

um zu er-
kennen zu
geben wie
gut es die
haben, ſo
an JEſu
bleiben.

§. 8. Es iſt leicht zu erachten, daß ein Kind einen weitern Weg
mache, ſo es getragen wird und nicht ſelbſt gehen muß, dann es
wandlet auf ſeiner Mutter Beinen, doch thuts es nicht, biß es ſo
muͤd, daß es nicht mehr mag, und ſich nur ſtoßt und fallt, alſo daß
es von erſt gut Lehr-Geld geben muß, ehe es gewitziget wird und
JEſum recht zu gebrauchen weißt, wozu er uns von GOtt gemacht
iſt. Gleicher weiſe lernt eine Seel erſt nach vieler Erfahrung, vie-
lem Strauchlen, Still-Stehen, Zuruck-Sehen und Gehen, vie-
lem eignen Rennen, Lauffen, wie gut es die haben, ſo ſtets bey JE-
ſu bleiben, an ſeinen Bruͤſten ihre Luſt und Wachsthum haben, an
JEſu wie Kletten hangen, kleben, nicht lang voraus lauffen oder
beyſeits ausweichen: O ein gar wichtige Lection iſts zu JEſu gehen
und in ihm bleiben, welche in unſeren Tagen ſchlecht practiciert wird,
darum auch wenig Frucht vorhanden und die ſo man ſiehet, was da
iſt von Buß, Selbſt-Verlaͤugnung, Gedult, Demuth, Heiligkeit,
Sanfftmuth, beſtaͤndiger Anbettung im Heiligthum, Vereinigung
und Gemeinſchafft mit GOtt, Nachfolg JEſu des Gecreutzigten ꝛc.
das iſt eingeſchmurret, ungeſchmackt, wurmaͤßig, daß ſie wenig nutz
und dienlich ſind in GOttes Haußhaltung. Und das alles darum,
weil dem fladerhafften Geiſt Zeit und Weile zu lang wird bey JE-
ſu, auf ſeinen heiligen Geiſt zu warten, wie die Lilien und Sonnen-
Blum auf den Glantz und Thau des Himmels, weßwegen keine an-
muthigere Muſic einer Seel (die bißhero zu keinem Goͤttlichen Wan-
del und Leben es hat bringen koͤnnen, ſondern Wechslungs-weiſe
himmliſches und irrdiſches in ihr geherrſcht) nimmermehr ſeyn kan,
als zu hoͤren und zu vernehmen, JEſus ſey vorhanden, ihre Sa-

che
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f1192" n="1096"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Lab&#x017F;al in Tru&#x0364;b&#x017F;al.</hi></fw><lb/>
Mutter ihrem eigenwilligen Kind biß es nichts mehr vermag und &#x017F;ich<lb/>
aufs Weinen begiebt, und mit &#x017F;ehnlichen Thra&#x0364;nen auf der lieben<lb/>
Mutter Hu&#x0364;lff wartet; Manche haben die Sache &#x017F;o gewaltig ange-<lb/>
griffen, daß ihnen der Kopf ha&#x0364;tte mo&#x0364;gen zer&#x017F;pringen, biß &#x017F;ie endlich<lb/>
mit Wehemuth des Hertzens in ihr Nichts ver&#x017F;uncken, Chri&#x017F;to die<lb/>
Ehre gegeben, &#x017F;ich gantz von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ab-zu GOtt gewendt, auf<lb/>
&#x017F;ein Heyl gewartet; mithin was das liebreiche Mutter Hertz Chri&#x017F;ti<lb/>
vermo&#x0364;ge, zu ihrer &#x017F;ehr gro&#x017F;&#x017F;er Freude erfahren haben; al&#x017F;o, al&#x017F;o ler-<lb/>
net zuletzt der unver&#x017F;ta&#x0364;ndige, eigen&#x017F;innige, hochmu&#x0364;thige Su&#x0364;nder die<lb/>
&#x017F;o &#x017F;eelige <hi rendition="#aq">Theologiam pa&#x017F;&#x017F;ivam,</hi> das i&#x017F;t, daß er GOTT in &#x017F;ich wu&#x0364;r-<lb/>
cken la&#x017F;&#x017F;e, und auf die&#x017F;em Weg allein kommt er zum Ziel.</p><lb/>
          <note place="left">um zu er-<lb/>
kennen zu<lb/>
geben wie<lb/>
gut es die<lb/>
haben, &#x017F;o<lb/>
an JE&#x017F;u<lb/>
bleiben.</note>
          <p><hi rendition="#i">§.</hi> 8. Es i&#x017F;t leicht zu erachten, daß ein Kind einen weitern Weg<lb/>
mache, &#x017F;o es getragen wird und nicht &#x017F;elb&#x017F;t gehen muß, dann es<lb/>
wandlet auf &#x017F;einer Mutter Beinen, doch thuts es nicht, biß es &#x017F;o<lb/>
mu&#x0364;d, daß es nicht mehr mag, und &#x017F;ich nur &#x017F;toßt und fallt, al&#x017F;o daß<lb/>
es von er&#x017F;t gut Lehr-Geld geben muß, ehe es gewitziget wird und<lb/>
JE&#x017F;um recht zu gebrauchen weißt, wozu er uns von GOtt gemacht<lb/>
i&#x017F;t. Gleicher wei&#x017F;e lernt eine Seel er&#x017F;t nach vieler Erfahrung, vie-<lb/>
lem Strauchlen, Still-Stehen, Zuruck-Sehen und Gehen, vie-<lb/>
lem eignen Rennen, Lauffen, wie gut es die haben, &#x017F;o &#x017F;tets bey JE-<lb/>
&#x017F;u bleiben, an &#x017F;einen Bru&#x0364;&#x017F;ten ihre Lu&#x017F;t und Wachsthum haben, an<lb/>
JE&#x017F;u wie Kletten hangen, kleben, nicht lang voraus lauffen oder<lb/>
bey&#x017F;eits ausweichen: O ein gar wichtige Lection i&#x017F;ts zu JE&#x017F;u gehen<lb/>
und in ihm bleiben, welche in un&#x017F;eren Tagen &#x017F;chlecht practiciert wird,<lb/>
darum auch wenig Frucht vorhanden und die &#x017F;o man &#x017F;iehet, was da<lb/>
i&#x017F;t von Buß, Selb&#x017F;t-Verla&#x0364;ugnung, Gedult, Demuth, Heiligkeit,<lb/>
Sanfftmuth, be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Anbettung im Heiligthum, Vereinigung<lb/>
und Gemein&#x017F;chafft mit GOtt, Nachfolg JE&#x017F;u des Gecreutzigten &#xA75B;c.<lb/>
das i&#x017F;t einge&#x017F;chmurret, unge&#x017F;chmackt, wurma&#x0364;ßig, daß &#x017F;ie wenig nutz<lb/>
und dienlich &#x017F;ind in GOttes Haußhaltung. Und das alles darum,<lb/>
weil dem fladerhafften Gei&#x017F;t Zeit und Weile zu lang wird bey JE-<lb/>
&#x017F;u, auf &#x017F;einen heiligen Gei&#x017F;t zu warten, wie die Lilien und Sonnen-<lb/>
Blum auf den Glantz und Thau des Himmels, weßwegen keine an-<lb/>
muthigere Mu&#x017F;ic einer Seel (die bißhero zu keinem Go&#x0364;ttlichen Wan-<lb/>
del und Leben es hat bringen ko&#x0364;nnen, &#x017F;ondern Wechslungs-wei&#x017F;e<lb/>
himmli&#x017F;ches und irrdi&#x017F;ches in ihr geherr&#x017F;cht) nimmermehr &#x017F;eyn kan,<lb/>
als zu ho&#x0364;ren und zu vernehmen, JE&#x017F;us &#x017F;ey vorhanden, ihre Sa-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">che</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1096/1192] Labſal in Truͤbſal. Mutter ihrem eigenwilligen Kind biß es nichts mehr vermag und ſich aufs Weinen begiebt, und mit ſehnlichen Thraͤnen auf der lieben Mutter Huͤlff wartet; Manche haben die Sache ſo gewaltig ange- griffen, daß ihnen der Kopf haͤtte moͤgen zerſpringen, biß ſie endlich mit Wehemuth des Hertzens in ihr Nichts verſuncken, Chriſto die Ehre gegeben, ſich gantz von ſich ſelbſt ab-zu GOtt gewendt, auf ſein Heyl gewartet; mithin was das liebreiche Mutter Hertz Chriſti vermoͤge, zu ihrer ſehr groſſer Freude erfahren haben; alſo, alſo ler- net zuletzt der unverſtaͤndige, eigenſinnige, hochmuͤthige Suͤnder die ſo ſeelige Theologiam paſſivam, das iſt, daß er GOTT in ſich wuͤr- cken laſſe, und auf dieſem Weg allein kommt er zum Ziel. §. 8. Es iſt leicht zu erachten, daß ein Kind einen weitern Weg mache, ſo es getragen wird und nicht ſelbſt gehen muß, dann es wandlet auf ſeiner Mutter Beinen, doch thuts es nicht, biß es ſo muͤd, daß es nicht mehr mag, und ſich nur ſtoßt und fallt, alſo daß es von erſt gut Lehr-Geld geben muß, ehe es gewitziget wird und JEſum recht zu gebrauchen weißt, wozu er uns von GOtt gemacht iſt. Gleicher weiſe lernt eine Seel erſt nach vieler Erfahrung, vie- lem Strauchlen, Still-Stehen, Zuruck-Sehen und Gehen, vie- lem eignen Rennen, Lauffen, wie gut es die haben, ſo ſtets bey JE- ſu bleiben, an ſeinen Bruͤſten ihre Luſt und Wachsthum haben, an JEſu wie Kletten hangen, kleben, nicht lang voraus lauffen oder beyſeits ausweichen: O ein gar wichtige Lection iſts zu JEſu gehen und in ihm bleiben, welche in unſeren Tagen ſchlecht practiciert wird, darum auch wenig Frucht vorhanden und die ſo man ſiehet, was da iſt von Buß, Selbſt-Verlaͤugnung, Gedult, Demuth, Heiligkeit, Sanfftmuth, beſtaͤndiger Anbettung im Heiligthum, Vereinigung und Gemeinſchafft mit GOtt, Nachfolg JEſu des Gecreutzigten ꝛc. das iſt eingeſchmurret, ungeſchmackt, wurmaͤßig, daß ſie wenig nutz und dienlich ſind in GOttes Haußhaltung. Und das alles darum, weil dem fladerhafften Geiſt Zeit und Weile zu lang wird bey JE- ſu, auf ſeinen heiligen Geiſt zu warten, wie die Lilien und Sonnen- Blum auf den Glantz und Thau des Himmels, weßwegen keine an- muthigere Muſic einer Seel (die bißhero zu keinem Goͤttlichen Wan- del und Leben es hat bringen koͤnnen, ſondern Wechslungs-weiſe himmliſches und irrdiſches in ihr geherrſcht) nimmermehr ſeyn kan, als zu hoͤren und zu vernehmen, JEſus ſey vorhanden, ihre Sa- che

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/1192
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 1096. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/1192>, abgerufen am 27.07.2024.