den andern hängen, da wol wenige von ihnen etwas vom Sinn, Geist, Krafft und Göttlichen Gemüths-Gestalt der H. Aposteln und Propheten an sich haben dörfften; Eben so machens etwelche Schuler eines bey manchem ernsthafften Christen sehr beliebten Mannes, sie bilden sich in dessen Red-Arten, und schme- cken wenig von der Seligkeit, die er bey seiner süssen Ruhe in Christo genossen. Also schämet man sich der Gnaden-Gaab, so der Heil. Geist aus seiner milden erbarmenden Gütigkeit, nach seiner unendlichen Weißheit, beschehret, und stol- tziret lieber mit fremder Zierd; wie jene thörichte Atzel, die eine Zeitlang mit geborgten Federn prangete, bald aber, da jeder Vogel das seine wieder nahm, zum Schauspiel nacket dargestellt ward, allen, die sie sahen, zum Hohn-Ge- lächter: Die danckbare Demuth ist gar was schönes. Der Mandelbaum trittet mit seinen eigenen Blättern ans Liecht, obschon sie an safftig-grünender Schö- ne dem Maulbeerbaum nicht beykommen. Ach daß wir umkehrten und wurden wie die Kinder, so kämen mehrere Wunder der unausforschlichen Weißheit und Reichthums GOttes an den Tag, auch wurd der Friede ungestöhrter blü- hen in seinen feinen und kleinen, zum alleinigen, reinen Lob der Herrlichkeit seiner Gnade: Es weißt je der Schöpffer am besten, was vor eine Gaabe einem jeden wol anstehet; der HErr des Paradieses siehets, mit was Blättern und Früchten Er eine jede seiner Pflantzen zieren soll. Dancke, lobe, preise, liebe deinen GOtt, soltestu auch das schlechteste Mirten-Sträuchlein seyn; ists denn nicht Ehre genug, einem so guten, herrlichen GOtt anzugehören? Jst doch der geringste Thäter und verachteste Nachfolger Christi grösser in GOttes Augen als der beruhmteste Scribent, im Fall sich dieser in etwas anders rühmen solte als im Creutz und Schmach des HErren JEsu. Wer nicht sich selbs und all sein Thun für nichts achtet, kan mit JEsu nie eins werden. Das holde Kindlein ligt im Stall und hanget am Creutz, du aber wirst wegen deiner Gaa- ben von vielen bewundert wie der hohen Bergen Spitzen, darauf ein Acker ste- het von etwelchen wenigen leeren Halmen oder nur gläntzender Schnee. Jch predigte zur Zeit in einer grossen Welt-bekannten Stadt an einem Dienstag, es ver- sammlete sich eine Menge Volcks, so viel nur eine gewaltige Kirch fassen konte; es geschahe Wirckung, eine allgemeine Rührung und Erweckung, und war viel Redens: Nachmittag führte man mich in die Kunst-Kammer, da sahe ich ein Bild, wie JEsus gegeißelt ward, lebendig vorgestellt von dem kunstreichen Hol- bein; welcher Anblick mein Hertz in so tieffe Schaam und Traurigkeit und Miß- fallen an mir selbs setzte, daß mich vor Schaam wol hundert Klaffter tieff in die Erd hätte mögen verstecken, ja auch selben Tag nichts mehr redte: Dann ich dachte, wie bistu schnöder Sünden-Wurm doch so ungleich dem Hochge- lobten GOttes Sohn! Das gehet nicht recht zu; Dein theurester, unschuldig-
ster
Vorrede
den andern haͤngen, da wol wenige von ihnen etwas vom Sinn, Geiſt, Krafft und Goͤttlichen Gemuͤths-Geſtalt der H. Apoſteln und Propheten an ſich haben doͤrfften; Eben ſo machens etwelche Schuler eines bey manchem ernſthafften Chriſten ſehr beliebten Mannes, ſie bilden ſich in deſſen Red-Arten, und ſchme- cken wenig von der Seligkeit, die er bey ſeiner ſuͤſſen Ruhe in Chriſto genoſſen. Alſo ſchaͤmet man ſich der Gnaden-Gaab, ſo der Heil. Geiſt aus ſeiner milden erbarmenden Guͤtigkeit, nach ſeiner unendlichen Weißheit, beſchehret, und ſtol- tziret lieber mit fremder Zierd; wie jene thoͤrichte Atzel, die eine Zeitlang mit geborgten Federn prangete, bald aber, da jeder Vogel das ſeine wieder nahm, zum Schauſpiel nacket dargeſtellt ward, allen, die ſie ſahen, zum Hohn-Ge- laͤchter: Die danckbare Demuth iſt gar was ſchoͤnes. Der Mandelbaum trittet mit ſeinen eigenen Blaͤttern ans Liecht, obſchon ſie an ſafftig-gruͤnender Schoͤ- ne dem Maulbeerbaum nicht beykommen. Ach daß wir umkehrten und wurden wie die Kinder, ſo kaͤmen mehrere Wunder der unausforſchlichen Weißheit und Reichthums GOttes an den Tag, auch wurd der Friede ungeſtoͤhrter bluͤ- hen in ſeinen feinen und kleinen, zum alleinigen, reinen Lob der Herrlichkeit ſeiner Gnade: Es weißt je der Schoͤpffer am beſten, was vor eine Gaabe einem jeden wol anſtehet; der HErr des Paradieſes ſiehets, mit was Blaͤttern und Fruͤchten Er eine jede ſeiner Pflantzen zieren ſoll. Dancke, lobe, preiſe, liebe deinen GOtt, ſolteſtu auch das ſchlechteſte Mirten-Straͤuchlein ſeyn; iſts denn nicht Ehre genug, einem ſo guten, herrlichen GOtt anzugehoͤren? Jſt doch der geringſte Thaͤter und verachteſte Nachfolger Chriſti groͤſſer in GOttes Augen als der beruhmteſte Scribent, im Fall ſich dieſer in etwas anders ruͤhmen ſolte als im Creutz und Schmach des HErren JEſu. Wer nicht ſich ſelbs und all ſein Thun fuͤr nichts achtet, kan mit JEſu nie eins werden. Das holde Kindlein ligt im Stall und hanget am Creutz, du aber wirſt wegen deiner Gaa- ben von vielen bewundert wie der hohen Bergen Spitzen, darauf ein Acker ſte- het von etwelchen wenigen leeren Halmen oder nur glaͤntzender Schnee. Jch predigte zur Zeit in einer groſſen Welt-bekannten Stadt an einem Dienſtag, es ver- ſammlete ſich eine Menge Volcks, ſo viel nur eine gewaltige Kirch faſſen konte; es geſchahe Wirckung, eine allgemeine Ruͤhrung und Erweckung, und war viel Redens: Nachmittag fuͤhrte man mich in die Kunſt-Kammer, da ſahe ich ein Bild, wie JEſus gegeißelt ward, lebendig vorgeſtellt von dem kunſtreichen Hol- bein; welcher Anblick mein Hertz in ſo tieffe Schaam und Traurigkeit und Miß- fallen an mir ſelbs ſetzte, daß mich vor Schaam wol hundert Klaffter tieff in die Erd haͤtte moͤgen verſtecken, ja auch ſelben Tag nichts mehr redte: Dann ich dachte, wie biſtu ſchnoͤder Suͤnden-Wurm doch ſo ungleich dem Hochge- lobten GOttes Sohn! Das gehet nicht recht zu; Dein theureſter, unſchuldig-
ſter
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Vorrede</hi></fw><lb/>
den andern haͤngen, da wol wenige von ihnen etwas vom Sinn, Geiſt, Krafft<lb/>
und Goͤttlichen Gemuͤths-Geſtalt der H. Apoſteln und Propheten an ſich haben<lb/>
doͤrfften; Eben ſo machens etwelche Schuler eines bey manchem ernſthafften<lb/>
Chriſten ſehr beliebten Mannes, ſie bilden ſich in deſſen Red-Arten, und ſchme-<lb/>
cken wenig von der Seligkeit, die er bey ſeiner ſuͤſſen Ruhe in Chriſto genoſſen.<lb/>
Alſo ſchaͤmet man ſich der Gnaden-Gaab, ſo der Heil. Geiſt aus ſeiner milden<lb/>
erbarmenden Guͤtigkeit, nach ſeiner unendlichen Weißheit, beſchehret, und ſtol-<lb/>
tziret lieber mit fremder Zierd; wie jene thoͤrichte Atzel, die eine Zeitlang mit<lb/>
geborgten Federn prangete, bald aber, da jeder Vogel das ſeine wieder nahm,<lb/>
zum Schauſpiel nacket dargeſtellt ward, allen, die ſie ſahen, zum Hohn-Ge-<lb/>
laͤchter: Die danckbare Demuth iſt gar was ſchoͤnes. Der Mandelbaum trittet<lb/>
mit ſeinen eigenen Blaͤttern ans Liecht, obſchon ſie an ſafftig-gruͤnender Schoͤ-<lb/>
ne dem Maulbeerbaum nicht beykommen. Ach daß wir umkehrten und wurden<lb/>
wie die Kinder, ſo kaͤmen mehrere Wunder der unausforſchlichen Weißheit<lb/>
und Reichthums GOttes an den Tag, auch wurd der Friede ungeſtoͤhrter bluͤ-<lb/>
hen in ſeinen feinen und kleinen, zum alleinigen, reinen Lob der Herrlichkeit<lb/>ſeiner Gnade: Es weißt je der Schoͤpffer am beſten, was vor eine Gaabe einem<lb/>
jeden wol anſtehet; der HErr des Paradieſes ſiehets, mit was Blaͤttern und<lb/>
Fruͤchten Er eine jede ſeiner Pflantzen zieren ſoll. Dancke, lobe, preiſe, liebe<lb/>
deinen GOtt, ſolteſtu auch das ſchlechteſte Mirten-Straͤuchlein ſeyn; iſts<lb/>
denn nicht Ehre genug, einem ſo guten, herrlichen GOtt anzugehoͤren? Jſt<lb/>
doch der geringſte Thaͤter und verachteſte Nachfolger Chriſti groͤſſer in GOttes<lb/>
Augen als der beruhmteſte Scribent, im Fall ſich dieſer in etwas anders ruͤhmen<lb/>ſolte als im Creutz und Schmach des HErren JEſu. Wer nicht ſich ſelbs und<lb/>
all ſein Thun fuͤr nichts achtet, kan mit JEſu nie eins werden. Das holde<lb/>
Kindlein ligt im Stall und hanget am Creutz, du aber wirſt wegen deiner Gaa-<lb/>
ben von vielen bewundert wie der hohen Bergen Spitzen, darauf ein Acker ſte-<lb/>
het von etwelchen wenigen leeren Halmen oder nur glaͤntzender Schnee. Jch<lb/>
predigte zur Zeit in einer groſſen Welt-bekannten Stadt an einem Dienſtag, es ver-<lb/>ſammlete ſich eine Menge Volcks, ſo viel nur eine gewaltige Kirch faſſen konte;<lb/>
es geſchahe Wirckung, eine allgemeine Ruͤhrung und Erweckung, und war viel<lb/>
Redens: Nachmittag fuͤhrte man mich in die Kunſt-Kammer, da ſahe ich ein<lb/>
Bild, wie JEſus gegeißelt ward, lebendig vorgeſtellt von dem kunſtreichen Hol-<lb/>
bein; welcher Anblick mein Hertz in ſo tieffe Schaam und Traurigkeit und Miß-<lb/>
fallen an mir ſelbs ſetzte, daß mich vor Schaam wol hundert Klaffter tieff in<lb/>
die Erd haͤtte moͤgen verſtecken, ja auch ſelben Tag nichts mehr redte: Dann<lb/>
ich dachte, wie biſtu ſchnoͤder Suͤnden-Wurm doch ſo ungleich dem Hochge-<lb/>
lobten GOttes Sohn! Das gehet nicht recht zu; Dein theureſter, unſchuldig-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſter</fw><lb/></p></div></front></text></TEI>
[0042]
Vorrede
den andern haͤngen, da wol wenige von ihnen etwas vom Sinn, Geiſt, Krafft
und Goͤttlichen Gemuͤths-Geſtalt der H. Apoſteln und Propheten an ſich haben
doͤrfften; Eben ſo machens etwelche Schuler eines bey manchem ernſthafften
Chriſten ſehr beliebten Mannes, ſie bilden ſich in deſſen Red-Arten, und ſchme-
cken wenig von der Seligkeit, die er bey ſeiner ſuͤſſen Ruhe in Chriſto genoſſen.
Alſo ſchaͤmet man ſich der Gnaden-Gaab, ſo der Heil. Geiſt aus ſeiner milden
erbarmenden Guͤtigkeit, nach ſeiner unendlichen Weißheit, beſchehret, und ſtol-
tziret lieber mit fremder Zierd; wie jene thoͤrichte Atzel, die eine Zeitlang mit
geborgten Federn prangete, bald aber, da jeder Vogel das ſeine wieder nahm,
zum Schauſpiel nacket dargeſtellt ward, allen, die ſie ſahen, zum Hohn-Ge-
laͤchter: Die danckbare Demuth iſt gar was ſchoͤnes. Der Mandelbaum trittet
mit ſeinen eigenen Blaͤttern ans Liecht, obſchon ſie an ſafftig-gruͤnender Schoͤ-
ne dem Maulbeerbaum nicht beykommen. Ach daß wir umkehrten und wurden
wie die Kinder, ſo kaͤmen mehrere Wunder der unausforſchlichen Weißheit
und Reichthums GOttes an den Tag, auch wurd der Friede ungeſtoͤhrter bluͤ-
hen in ſeinen feinen und kleinen, zum alleinigen, reinen Lob der Herrlichkeit
ſeiner Gnade: Es weißt je der Schoͤpffer am beſten, was vor eine Gaabe einem
jeden wol anſtehet; der HErr des Paradieſes ſiehets, mit was Blaͤttern und
Fruͤchten Er eine jede ſeiner Pflantzen zieren ſoll. Dancke, lobe, preiſe, liebe
deinen GOtt, ſolteſtu auch das ſchlechteſte Mirten-Straͤuchlein ſeyn; iſts
denn nicht Ehre genug, einem ſo guten, herrlichen GOtt anzugehoͤren? Jſt
doch der geringſte Thaͤter und verachteſte Nachfolger Chriſti groͤſſer in GOttes
Augen als der beruhmteſte Scribent, im Fall ſich dieſer in etwas anders ruͤhmen
ſolte als im Creutz und Schmach des HErren JEſu. Wer nicht ſich ſelbs und
all ſein Thun fuͤr nichts achtet, kan mit JEſu nie eins werden. Das holde
Kindlein ligt im Stall und hanget am Creutz, du aber wirſt wegen deiner Gaa-
ben von vielen bewundert wie der hohen Bergen Spitzen, darauf ein Acker ſte-
het von etwelchen wenigen leeren Halmen oder nur glaͤntzender Schnee. Jch
predigte zur Zeit in einer groſſen Welt-bekannten Stadt an einem Dienſtag, es ver-
ſammlete ſich eine Menge Volcks, ſo viel nur eine gewaltige Kirch faſſen konte;
es geſchahe Wirckung, eine allgemeine Ruͤhrung und Erweckung, und war viel
Redens: Nachmittag fuͤhrte man mich in die Kunſt-Kammer, da ſahe ich ein
Bild, wie JEſus gegeißelt ward, lebendig vorgeſtellt von dem kunſtreichen Hol-
bein; welcher Anblick mein Hertz in ſo tieffe Schaam und Traurigkeit und Miß-
fallen an mir ſelbs ſetzte, daß mich vor Schaam wol hundert Klaffter tieff in
die Erd haͤtte moͤgen verſtecken, ja auch ſelben Tag nichts mehr redte: Dann
ich dachte, wie biſtu ſchnoͤder Suͤnden-Wurm doch ſo ungleich dem Hochge-
lobten GOttes Sohn! Das gehet nicht recht zu; Dein theureſter, unſchuldig-
ſter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/42>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.