§. 2. (1.) Mit den Wercken: Er fieng an zu trauren und zu zagen;mit Wer- cken. in dem Grund-Text stehen die Wort lupas[fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]as ka[fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt] ademonei~n, welche so viel sagen wollen: als von der Forcht einer obschwebenden Gefahr also hefftig gequälet werden, daß man gleich als entseelet aus sich selbst kommt, und nicht weißt, was man macht, daß man vor Trau- rigkeit bey niemand bleiben kan, sondern sich auf die Weite von aller Menschen Gesellschafft wegbegeben muß.
§. 3. (a) Er fieng an zu trauren. Betrachte allhier (1.) worüberTheils durch Trauren über die Sünde, JEsus traure/ sintemahlen noch keine Feind vorhanden gewesen, sondern nur seine liebe Jünger; Ach es ware gewißlich nicht Schmach, Schaden, Verlust, noch viel weniger seine bevorstehende greuliche und schmertzhaffte Hinrichtung, als worinnen er ja viel geringer und zaghafftiger gewesen wäre, als so viel tausend Märtyrer, welche mit freudigem Jauchtzen und Lob-Gesängen dem allergrausamsten Tod entgegen gegangen: O nein, es ware gar nichts, weder im Himmel noch auf Erden, das ihme Betrübnuß verursachet, als nur die Sünd, und deren leidige Früchte; diese allein waren das Gifft, wel- ches seine Augen weinend, und sein Hertz zitterend machte.
§. 4. So soll uns auch ja billich nichts betrüben, weder Mangeldieses auch zu thun ha- ben wir Ursach über Ur- sach. an Geld, noch Abgang an Ehr, noch blühendes Glück der Wider- wärtigen, noch Gebrechen an Ruhm, Schönheit, Leibes-Stärcke, Gelehrte, Welt-List, noch einiger Abzug anderer ausserordentlichen Gaben und Gnaden, sondern allein die Verkehrtheit unsers Her- tzens, die schmächliche Blindheit am Reich GOttes; die jämmerli- che Armuth an denen Gaben und Früchten des H. Geistes; daß die Seel so wenig rechts von GOtt und Christo kennet, und gründlich verstehet, daß das Hertz dem allergütig- und wahrhafftigsten GOtt so wenig trauet und glaubet; so wenig Seeligkeit von seiner Güte und Wahrheit lebendig hoffet; Jhne so laulecht liebet; Jhme so schlecht dancket, lobet und preiset; im Creutz so ungedultig und klein- müthig; darneben gar kaltsinnig, störrig, empfindlich, unleidenlich gegen dem Neben-Menschen, deme sein Gutes beneydet, und sein Unglück heimlich gönnet; die edle Lehr des Seeligmachers so gar nicht ausübet; nemlich, keinen rachgierigen Gedancken gegen die Feind zu hegen, sondern ihnen vielmehr von Hertzens-Grund alles das Beste anwünschen, zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohlseyn al- les beytragen, und sich redlich freuen, wann ihnen von GOtt- und
Menschen
liegende Wein-Trauben.
§. 2. (1.) Mit den Wercken: Er fieng an zu trauren und zu zagen;mit Wer- cken. in dem Grund-Text ſtehen die Wort λυπᾶσ[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]ας ϰα[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt] αδημονει῀ν, welche ſo viel ſagen wollen: als von der Forcht einer obſchwebenden Gefahr alſo hefftig gequaͤlet werden, daß man gleich als entſeelet aus ſich ſelbſt kommt, und nicht weißt, was man macht, daß man vor Trau- rigkeit bey niemand bleiben kan, ſondern ſich auf die Weite von aller Menſchen Geſellſchafft wegbegeben muß.
§. 3. (α) Er fieng an zu trauren. Betrachte allhier (1.) woruͤberTheils durch Trauren uͤber die Suͤnde, JEſus traure/ ſintemahlen noch keine Feind vorhanden geweſen, ſondern nur ſeine liebe Juͤnger; Ach es ware gewißlich nicht Schmach, Schaden, Verluſt, noch viel weniger ſeine bevorſtehende greuliche und ſchmertzhaffte Hinrichtung, als worinnen er ja viel geringer und zaghafftiger geweſen waͤre, als ſo viel tauſend Maͤrtyrer, welche mit freudigem Jauchtzen und Lob-Geſaͤngen dem allergrauſamſten Tod entgegen gegangen: O nein, es ware gar nichts, weder im Himmel noch auf Erden, das ihme Betruͤbnuß verurſachet, als nur die Suͤnd, und deren leidige Fruͤchte; dieſe allein waren das Gifft, wel- ches ſeine Augen weinend, und ſein Hertz zitterend machte.
§. 4. So ſoll uns auch ja billich nichts betruͤben, weder Mangeldieſes auch zu thun ha- ben wir Urſach uͤber Ur- ſach. an Geld, noch Abgang an Ehr, noch bluͤhendes Gluͤck der Wider- waͤrtigen, noch Gebrechen an Ruhm, Schoͤnheit, Leibes-Staͤrcke, Gelehrte, Welt-Liſt, noch einiger Abzug anderer auſſerordentlichen Gaben und Gnaden, ſondern allein die Verkehrtheit unſers Her- tzens, die ſchmaͤchliche Blindheit am Reich GOttes; die jaͤmmerli- che Armuth an denen Gaben und Fruͤchten des H. Geiſtes; daß die Seel ſo wenig rechts von GOtt und Chriſto kennet, und gruͤndlich verſtehet, daß das Hertz dem allerguͤtig- und wahrhafftigſten GOtt ſo wenig trauet und glaubet; ſo wenig Seeligkeit von ſeiner Guͤte und Wahrheit lebendig hoffet; Jhne ſo laulecht liebet; Jhme ſo ſchlecht dancket, lobet und preiſet; im Creutz ſo ungedultig und klein- muͤthig; darneben gar kaltſinnig, ſtoͤrrig, empfindlich, unleidenlich gegen dem Neben-Menſchen, deme ſein Gutes beneydet, und ſein Ungluͤck heimlich goͤnnet; die edle Lehr des Seeligmachers ſo gar nicht ausuͤbet; nemlich, keinen rachgierigen Gedancken gegen die Feind zu hegen, ſondern ihnen vielmehr von Hertzens-Grund alles das Beſte anwuͤnſchen, zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohlſeyn al- les beytragen, und ſich redlich freuen, wann ihnen von GOtt- und
Menſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0511"n="415"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">liegende Wein-Trauben.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#i">§.</hi> 2. (1.) Mit den Wercken: <hirendition="#fr">Er fieng an zu trauren und zu zagen;</hi><noteplace="right">mit Wer-<lb/>
cken.</note><lb/>
in dem Grund-Text ſtehen die Wort λυπᾶσ<foreignxml:lang="gre"><gapreason="fm"unit="chars"/></foreign>αςϰα<foreignxml:lang="gre"><gapreason="fm"unit="chars"/></foreign>αδημονει῀ν, welche ſo<lb/>
viel ſagen wollen: als von der Forcht einer obſchwebenden Gefahr<lb/>
alſo hefftig gequaͤlet werden, daß man gleich als entſeelet aus ſich<lb/>ſelbſt kommt, und nicht weißt, was man macht, daß man vor Trau-<lb/>
rigkeit bey niemand bleiben kan, ſondern ſich auf die Weite von aller<lb/>
Menſchen Geſellſchafft wegbegeben muß.</p><lb/><p>§. 3. (α) <hirendition="#fr">Er fieng an zu trauren.</hi> Betrachte allhier (1.) woruͤber<noteplace="right">Theils<lb/>
durch<lb/>
Trauren<lb/>
uͤber die<lb/>
Suͤnde,</note><lb/>
JEſus <hirendition="#fr">traure/</hi>ſintemahlen noch keine Feind vorhanden geweſen,<lb/>ſondern nur ſeine liebe Juͤnger; Ach es ware gewißlich nicht Schmach,<lb/>
Schaden, Verluſt, noch viel weniger ſeine bevorſtehende greuliche<lb/>
und ſchmertzhaffte Hinrichtung, als worinnen er ja viel geringer und<lb/>
zaghafftiger geweſen waͤre, als ſo viel tauſend Maͤrtyrer, welche mit<lb/>
freudigem Jauchtzen und Lob-Geſaͤngen dem allergrauſamſten Tod<lb/>
entgegen gegangen: O nein, es ware gar nichts, weder im Himmel<lb/>
noch auf Erden, das ihme Betruͤbnuß verurſachet, als nur die<lb/>
Suͤnd, und deren leidige Fruͤchte; dieſe allein waren das Gifft, wel-<lb/>
ches ſeine Augen weinend, und ſein Hertz zitterend machte.</p><lb/><p>§. 4. So ſoll uns auch ja billich nichts betruͤben, weder Mangel<noteplace="right">dieſes<lb/>
auch zu<lb/>
thun ha-<lb/>
ben wir<lb/>
Urſach<lb/>
uͤber Ur-<lb/>ſach.</note><lb/>
an Geld, noch Abgang an Ehr, noch bluͤhendes Gluͤck der Wider-<lb/>
waͤrtigen, noch Gebrechen an Ruhm, Schoͤnheit, Leibes-Staͤrcke,<lb/>
Gelehrte, Welt-Liſt, noch einiger Abzug anderer auſſerordentlichen<lb/>
Gaben und Gnaden, ſondern allein die Verkehrtheit unſers Her-<lb/>
tzens, die ſchmaͤchliche Blindheit am Reich GOttes; die jaͤmmerli-<lb/>
che Armuth an denen Gaben und Fruͤchten des H. Geiſtes; daß die<lb/>
Seel ſo wenig rechts von GOtt und Chriſto kennet, und gruͤndlich<lb/>
verſtehet, daß das Hertz dem allerguͤtig- und wahrhafftigſten GOtt<lb/>ſo wenig trauet und glaubet; ſo wenig Seeligkeit von ſeiner Guͤte<lb/>
und Wahrheit lebendig hoffet; Jhne ſo laulecht liebet; Jhme ſo<lb/>ſchlecht dancket, lobet und preiſet; im Creutz ſo ungedultig und klein-<lb/>
muͤthig; darneben gar kaltſinnig, ſtoͤrrig, empfindlich, unleidenlich<lb/>
gegen dem Neben-Menſchen, deme ſein Gutes beneydet, und ſein<lb/>
Ungluͤck heimlich goͤnnet; die edle Lehr des Seeligmachers ſo gar<lb/>
nicht ausuͤbet; nemlich, keinen rachgierigen Gedancken gegen die<lb/>
Feind zu hegen, ſondern ihnen vielmehr von Hertzens-Grund alles<lb/>
das Beſte anwuͤnſchen, zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohlſeyn al-<lb/>
les beytragen, und ſich redlich freuen, wann ihnen von GOtt- und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Menſchen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[415/0511]
liegende Wein-Trauben.
§. 2. (1.) Mit den Wercken: Er fieng an zu trauren und zu zagen;
in dem Grund-Text ſtehen die Wort λυπᾶσ_ ας ϰα_ αδημονει῀ν, welche ſo
viel ſagen wollen: als von der Forcht einer obſchwebenden Gefahr
alſo hefftig gequaͤlet werden, daß man gleich als entſeelet aus ſich
ſelbſt kommt, und nicht weißt, was man macht, daß man vor Trau-
rigkeit bey niemand bleiben kan, ſondern ſich auf die Weite von aller
Menſchen Geſellſchafft wegbegeben muß.
mit Wer-
cken.
§. 3. (α) Er fieng an zu trauren. Betrachte allhier (1.) woruͤber
JEſus traure/ ſintemahlen noch keine Feind vorhanden geweſen,
ſondern nur ſeine liebe Juͤnger; Ach es ware gewißlich nicht Schmach,
Schaden, Verluſt, noch viel weniger ſeine bevorſtehende greuliche
und ſchmertzhaffte Hinrichtung, als worinnen er ja viel geringer und
zaghafftiger geweſen waͤre, als ſo viel tauſend Maͤrtyrer, welche mit
freudigem Jauchtzen und Lob-Geſaͤngen dem allergrauſamſten Tod
entgegen gegangen: O nein, es ware gar nichts, weder im Himmel
noch auf Erden, das ihme Betruͤbnuß verurſachet, als nur die
Suͤnd, und deren leidige Fruͤchte; dieſe allein waren das Gifft, wel-
ches ſeine Augen weinend, und ſein Hertz zitterend machte.
Theils
durch
Trauren
uͤber die
Suͤnde,
§. 4. So ſoll uns auch ja billich nichts betruͤben, weder Mangel
an Geld, noch Abgang an Ehr, noch bluͤhendes Gluͤck der Wider-
waͤrtigen, noch Gebrechen an Ruhm, Schoͤnheit, Leibes-Staͤrcke,
Gelehrte, Welt-Liſt, noch einiger Abzug anderer auſſerordentlichen
Gaben und Gnaden, ſondern allein die Verkehrtheit unſers Her-
tzens, die ſchmaͤchliche Blindheit am Reich GOttes; die jaͤmmerli-
che Armuth an denen Gaben und Fruͤchten des H. Geiſtes; daß die
Seel ſo wenig rechts von GOtt und Chriſto kennet, und gruͤndlich
verſtehet, daß das Hertz dem allerguͤtig- und wahrhafftigſten GOtt
ſo wenig trauet und glaubet; ſo wenig Seeligkeit von ſeiner Guͤte
und Wahrheit lebendig hoffet; Jhne ſo laulecht liebet; Jhme ſo
ſchlecht dancket, lobet und preiſet; im Creutz ſo ungedultig und klein-
muͤthig; darneben gar kaltſinnig, ſtoͤrrig, empfindlich, unleidenlich
gegen dem Neben-Menſchen, deme ſein Gutes beneydet, und ſein
Ungluͤck heimlich goͤnnet; die edle Lehr des Seeligmachers ſo gar
nicht ausuͤbet; nemlich, keinen rachgierigen Gedancken gegen die
Feind zu hegen, ſondern ihnen vielmehr von Hertzens-Grund alles
das Beſte anwuͤnſchen, zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohlſeyn al-
les beytragen, und ſich redlich freuen, wann ihnen von GOtt- und
Menſchen
dieſes
auch zu
thun ha-
ben wir
Urſach
uͤber Ur-
ſach.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/511>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.