Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite

Der unter den Stech-Disteln
"großmüthigem Mitleiden beweinten sie ihren betrübten und elen-
"den Zustand, daß auch die Heydnische Welt darüber erstaunete,
"und nun bereit ware diejenige vor Engel anzusehen, welche sie kurtz
"zuvor vor Teufel gehalten hatte.

"Jtem, zanckte ein Nachbar mit dem anderen, daß sie darüber
"in Streit und Feindschafft geriethen, so wurden sie so lang von
"denen Gebetts-Versammlungen ausgeschlossen, biß sie sich hertzlich
"miteinander wieder vereiniget hatten; diß wurde dazumahl vor ein
"grosse und schwehre Straff gehalten, und den Leuten war so wehe
"bey dieser Absönderung, daß die Forcht vor derselbigen ihnen allen
"Grimm vertriebe, und sie sich lieber Unrecht thun, als zu solcher
"Kirchen-Zucht kommen liessen. Wann sie geschlagen wurden,
"schlugen sie nicht wieder, betrog sie jemand, so betrogen sie nicht
"wieder; eine unrechtmäßige Verläumdung nahmen sie vor ein
"Stück der Marter an, und ertrugen sie deßhalben gantz ge-
"lassen".

Solle ei-
nem Lust
machen ih-
nen in der
Liebe der
Feinden
gleich zu
kommen.

§. 6. Mein lieber Leser! Macht dir das nicht Lust auch ein solcher
und einer von diesen alten rechtschaffenen Christen zu werden? So
must du dann auch wie sie dich deß Todes Christi fleißig erinneren,
und sein Creutz viel köstlicher achten als die schönsten Edel-Gestein;
Pein, Marter, Schand und Verachtung must du deinem Hertzen
angenehm, gemein und bekannt machen, und die Trübsalen des ge-
genwärtigen Lebens betrachten als Hebammen, welche deine neue
Geburt beförderen als die besten Gefährten deines Glaubens und
die treueste Säugammen deiner Hoffnung. Jch ware auf eine Zeit
in meinem Hertzen sehr bewegt über der Bildnuß eines andächtigen
Manns, zu welchem eine Stimm vom Himmel kame, sprechende:
Johannes quid vis pro laboribus? Was willt du, daß ich dir
thun soll? Worauf er geantwortet; Domine pati & contemni pro-
pter te;
nichts HERR! Als daß ich um deinetwillen leiden könne
und verschmähet werde.

Veracht, verlassen stehn, viel Leiden in der Zeit,
Nichts haben, können, seyn, sey meine Herrlichkeit!

Niemahls ist die Seele näher bey denen grundlosen Reichthüm-
mern der Göttlichen Verheissungen, als im Leiden, da gehet sie in

den

Der unter den Stech-Diſteln
„großmuͤthigem Mitleiden beweinten ſie ihren betruͤbten und elen-
„den Zuſtand, daß auch die Heydniſche Welt daruͤber erſtaunete,
„und nun bereit ware diejenige vor Engel anzuſehen, welche ſie kurtz
„zuvor vor Teufel gehalten hatte.

„Jtem, zanckte ein Nachbar mit dem anderen, daß ſie daruͤber
„in Streit und Feindſchafft geriethen, ſo wurden ſie ſo lang von
„denen Gebetts-Verſammlungen ausgeſchloſſen, biß ſie ſich hertzlich
„miteinander wieder vereiniget hatten; diß wurde dazumahl vor ein
„groſſe und ſchwehre Straff gehalten, und den Leuten war ſo wehe
„bey dieſer Abſoͤnderung, daß die Forcht vor derſelbigen ihnen allen
„Grimm vertriebe, und ſie ſich lieber Unrecht thun, als zu ſolcher
„Kirchen-Zucht kommen lieſſen. Wann ſie geſchlagen wurden,
„ſchlugen ſie nicht wieder, betrog ſie jemand, ſo betrogen ſie nicht
„wieder; eine unrechtmaͤßige Verlaͤumdung nahmen ſie vor ein
„Stuͤck der Marter an, und ertrugen ſie deßhalben gantz ge-
„laſſen„.

Solle ei-
nem Luſt
machen ih-
nen in der
Liebe der
Feinden
gleich zu
kommen.

§. 6. Mein lieber Leſer! Macht dir das nicht Luſt auch ein ſolcher
und einer von dieſen alten rechtſchaffenen Chriſten zu werden? So
muſt du dann auch wie ſie dich deß Todes Chriſti fleißig erinneren,
und ſein Creutz viel koͤſtlicher achten als die ſchoͤnſten Edel-Geſtein;
Pein, Marter, Schand und Verachtung muſt du deinem Hertzen
angenehm, gemein und bekannt machen, und die Truͤbſalen des ge-
genwaͤrtigen Lebens betrachten als Hebammen, welche deine neue
Geburt befoͤrderen als die beſten Gefaͤhrten deines Glaubens und
die treueſte Saͤugammen deiner Hoffnung. Jch ware auf eine Zeit
in meinem Hertzen ſehr bewegt uͤber der Bildnuß eines andaͤchtigen
Manns, zu welchem eine Stimm vom Himmel kame, ſprechende:
Johannes quid vis pro laboribus? Was willt du, daß ich dir
thun ſoll? Worauf er geantwortet; Domine pati & contemni pro-
pter te;
nichts HERR! Als daß ich um deinetwillen leiden koͤnne
und verſchmaͤhet werde.

Veracht, verlaſſen ſtehn, viel Leiden in der Zeit,
Nichts haben, koͤnnen, ſeyn, ſey meine Herrlichkeit!

Niemahls iſt die Seele naͤher bey denen grundloſen Reichthuͤm-
mern der Goͤttlichen Verheiſſungen, als im Leiden, da gehet ſie in

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0824" n="728"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der unter den Stech-Di&#x017F;teln</hi></fw><lb/>
&#x201E;großmu&#x0364;thigem Mitleiden beweinten &#x017F;ie ihren betru&#x0364;bten und elen-<lb/>
&#x201E;den Zu&#x017F;tand, daß auch die Heydni&#x017F;che Welt daru&#x0364;ber er&#x017F;taunete,<lb/>
&#x201E;und nun bereit ware diejenige vor Engel anzu&#x017F;ehen, welche &#x017F;ie kurtz<lb/>
&#x201E;zuvor vor Teufel gehalten hatte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Jtem, zanckte ein Nachbar mit dem anderen, daß &#x017F;ie daru&#x0364;ber<lb/>
&#x201E;in Streit und Feind&#x017F;chafft geriethen, &#x017F;o wurden &#x017F;ie &#x017F;o lang von<lb/>
&#x201E;denen Gebetts-Ver&#x017F;ammlungen ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, biß &#x017F;ie &#x017F;ich hertzlich<lb/>
&#x201E;miteinander wieder vereiniget hatten; diß wurde dazumahl vor ein<lb/>
&#x201E;gro&#x017F;&#x017F;e und &#x017F;chwehre Straff gehalten, und den Leuten war &#x017F;o wehe<lb/>
&#x201E;bey die&#x017F;er Ab&#x017F;o&#x0364;nderung, daß die Forcht vor der&#x017F;elbigen ihnen allen<lb/>
&#x201E;Grimm vertriebe, und &#x017F;ie &#x017F;ich lieber Unrecht thun, als zu &#x017F;olcher<lb/>
&#x201E;Kirchen-Zucht kommen lie&#x017F;&#x017F;en. Wann &#x017F;ie ge&#x017F;chlagen wurden,<lb/>
&#x201E;&#x017F;chlugen &#x017F;ie nicht wieder, betrog &#x017F;ie jemand, &#x017F;o betrogen &#x017F;ie nicht<lb/>
&#x201E;wieder; eine unrechtma&#x0364;ßige Verla&#x0364;umdung nahmen &#x017F;ie vor ein<lb/>
&#x201E;Stu&#x0364;ck der Marter an, und ertrugen &#x017F;ie deßhalben gantz ge-<lb/>
&#x201E;la&#x017F;&#x017F;en&#x201E;.</p><lb/>
          <note place="left">Solle ei-<lb/>
nem Lu&#x017F;t<lb/>
machen ih-<lb/>
nen in der<lb/>
Liebe der<lb/>
Feinden<lb/>
gleich zu<lb/>
kommen.</note>
          <p>§. 6. Mein lieber Le&#x017F;er! Macht dir das nicht Lu&#x017F;t auch ein &#x017F;olcher<lb/>
und einer von die&#x017F;en alten recht&#x017F;chaffenen Chri&#x017F;ten zu werden? So<lb/>
mu&#x017F;t du dann auch wie &#x017F;ie dich deß Todes Chri&#x017F;ti fleißig erinneren,<lb/>
und &#x017F;ein Creutz viel ko&#x0364;&#x017F;tlicher achten als die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Edel-Ge&#x017F;tein;<lb/>
Pein, Marter, Schand und Verachtung mu&#x017F;t du deinem Hertzen<lb/>
angenehm, gemein und bekannt machen, und die Tru&#x0364;b&#x017F;alen des ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtigen Lebens betrachten als Hebammen, welche deine neue<lb/>
Geburt befo&#x0364;rderen als die be&#x017F;ten Gefa&#x0364;hrten deines Glaubens und<lb/>
die treue&#x017F;te Sa&#x0364;ugammen deiner Hoffnung. Jch ware auf eine Zeit<lb/>
in meinem Hertzen &#x017F;ehr bewegt u&#x0364;ber der Bildnuß eines anda&#x0364;chtigen<lb/>
Manns, zu welchem eine Stimm vom Himmel kame, &#x017F;prechende:<lb/>
Johannes <hi rendition="#aq">quid vis pro laboribus?</hi> Was willt du, daß ich dir<lb/>
thun &#x017F;oll? Worauf er geantwortet; <hi rendition="#aq">Domine pati &amp; contemni pro-<lb/>
pter te;</hi> nichts HERR! Als daß ich um deinetwillen leiden ko&#x0364;nne<lb/>
und ver&#x017F;chma&#x0364;het werde.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Veracht, verla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tehn, viel Leiden in der Zeit,</l><lb/>
            <l>Nichts haben, ko&#x0364;nnen, &#x017F;eyn, &#x017F;ey meine Herrlichkeit!</l>
          </lg><lb/>
          <p>Niemahls i&#x017F;t die Seele na&#x0364;her bey denen grundlo&#x017F;en Reichthu&#x0364;m-<lb/>
mern der Go&#x0364;ttlichen Verhei&#x017F;&#x017F;ungen, als im Leiden, da gehet &#x017F;ie in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[728/0824] Der unter den Stech-Diſteln „großmuͤthigem Mitleiden beweinten ſie ihren betruͤbten und elen- „den Zuſtand, daß auch die Heydniſche Welt daruͤber erſtaunete, „und nun bereit ware diejenige vor Engel anzuſehen, welche ſie kurtz „zuvor vor Teufel gehalten hatte. „Jtem, zanckte ein Nachbar mit dem anderen, daß ſie daruͤber „in Streit und Feindſchafft geriethen, ſo wurden ſie ſo lang von „denen Gebetts-Verſammlungen ausgeſchloſſen, biß ſie ſich hertzlich „miteinander wieder vereiniget hatten; diß wurde dazumahl vor ein „groſſe und ſchwehre Straff gehalten, und den Leuten war ſo wehe „bey dieſer Abſoͤnderung, daß die Forcht vor derſelbigen ihnen allen „Grimm vertriebe, und ſie ſich lieber Unrecht thun, als zu ſolcher „Kirchen-Zucht kommen lieſſen. Wann ſie geſchlagen wurden, „ſchlugen ſie nicht wieder, betrog ſie jemand, ſo betrogen ſie nicht „wieder; eine unrechtmaͤßige Verlaͤumdung nahmen ſie vor ein „Stuͤck der Marter an, und ertrugen ſie deßhalben gantz ge- „laſſen„. §. 6. Mein lieber Leſer! Macht dir das nicht Luſt auch ein ſolcher und einer von dieſen alten rechtſchaffenen Chriſten zu werden? So muſt du dann auch wie ſie dich deß Todes Chriſti fleißig erinneren, und ſein Creutz viel koͤſtlicher achten als die ſchoͤnſten Edel-Geſtein; Pein, Marter, Schand und Verachtung muſt du deinem Hertzen angenehm, gemein und bekannt machen, und die Truͤbſalen des ge- genwaͤrtigen Lebens betrachten als Hebammen, welche deine neue Geburt befoͤrderen als die beſten Gefaͤhrten deines Glaubens und die treueſte Saͤugammen deiner Hoffnung. Jch ware auf eine Zeit in meinem Hertzen ſehr bewegt uͤber der Bildnuß eines andaͤchtigen Manns, zu welchem eine Stimm vom Himmel kame, ſprechende: Johannes quid vis pro laboribus? Was willt du, daß ich dir thun ſoll? Worauf er geantwortet; Domine pati & contemni pro- pter te; nichts HERR! Als daß ich um deinetwillen leiden koͤnne und verſchmaͤhet werde. Veracht, verlaſſen ſtehn, viel Leiden in der Zeit, Nichts haben, koͤnnen, ſeyn, ſey meine Herrlichkeit! Niemahls iſt die Seele naͤher bey denen grundloſen Reichthuͤm- mern der Goͤttlichen Verheiſſungen, als im Leiden, da gehet ſie in den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/824
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/824>, abgerufen am 01.07.2024.