wird GOTT nicht schauen, sondern wird zuletzt verlassen und ver- worffen ewiglich.
sondern erfordert anhalten- de Arbeit.
§. 2. Mancher meint, wann er etwann einen Gnaden-Strahl empfunden, oder bey Anhör- und Lesung einer Göttlichen Wahrheit in Thränen zerschmoltzen, und eine Krafft der himmlischen Welt ge- schmecket, nun sey geschehen, was geschehen solle, nun seye er gerechtfer- tiget, erleuchtet, versiglet, und des ewigen Lebens gewiß, nun ha- be er die Perl auf der Hand; Aber weit gefehlt! Du must nicht so geringe Gedancken haben von dieser Perl, sie übersteiget unsere Sin- nen und Einbildung unendlich: GOTT muß es offt und auf man- cherley Weise mit uns versuchen, ehe wir empfänglich sind seiner unaussprechlichen Gab; Das Füncklein mag wohl hundert mahl in einen feuchten Zundel des Welt-sichtigen verführten Hertzens fal- len, ehe es anhebt zu brennen; Wie viel ungeschicktes begehen wir, ehe die Sonne den dicken Nebel unser Unwissenheit aufgezogen und vertrieben, es nimmt Zeit und Weil, ehe der Perlen-Baum ge- wachsen, und dessen Früchte reiff geworden; Viele Millionen mahl müssen die Füsse aufrichtiger Begierden zum hurtigen Fortschreiten angestrenget werden, ehe sie die Gräntzen des Himmelreichs errei- chen, da muß der mühseelige Wandersmann unterweilen mildiglich weinen, ehe er gefunden, was er sucht, und wieder kommt mit Jauchtzen: Wie die Wolle keine Farb annimmt, sie werde dann zuvor in Alaun und Weinstein gebeitzt, also lasset sich das menschli- che Hertz mit CHRJSTJ Blut nicht färben, es werde dann mit viel Creutz, Angst und Schmertzen geröstet; Darum muß sich der Buhler um diese Perl über keine Widerwärtigkeit beschwären und wann er einschlipfft oder stolpert, gleich wieder munter aufstehen, und nicht mehr hinter sich gedencken, sonst verdirbt er wie andere unnütze Menschen.
Darum muß man zur Sa- che thun und sich in der Gna- den-Zeit
§. 3. Darum mercke wohl auf alles, mein lieber Freund! Dei- ne Sach ist nicht so gar richtig, es ist dir nur eine Fahrt zu thun er- laubt, verderbest du den Handel, so kanst du es nicht etwann auf ein andermahl verbesseren, du hast nur ein Leben, und dasselbe wol- len abtheilen ist gefährlich, und bey nahe allen mißlungen, du kanst
nur
Betrachtungen
wird GOTT nicht ſchauen, ſondern wird zuletzt verlaſſen und ver- worffen ewiglich.
ſondern erfordert anhalten- de Arbeit.
§. 2. Mancher meint, wann er etwann einen Gnaden-Strahl empfunden, oder bey Anhoͤr- und Leſung einer Goͤttlichen Wahrheit in Thraͤnen zerſchmoltzen, und eine Krafft der himmliſchen Welt ge- ſchmecket, nun ſey geſchehen, was geſchehen ſolle, nun ſeye er gerechtfer- tiget, erleuchtet, verſiglet, und des ewigen Lebens gewiß, nun ha- be er die Perl auf der Hand; Aber weit gefehlt! Du muſt nicht ſo geringe Gedancken haben von dieſer Perl, ſie uͤberſteiget unſere Sin- nen und Einbildung unendlich: GOTT muß es offt und auf man- cherley Weiſe mit uns verſuchen, ehe wir empfaͤnglich ſind ſeiner unausſprechlichen Gab; Das Fuͤncklein mag wohl hundert mahl in einen feuchten Zundel des Welt-ſichtigen verfuͤhrten Hertzens fal- len, ehe es anhebt zu brennen; Wie viel ungeſchicktes begehen wir, ehe die Sonne den dicken Nebel unſer Unwiſſenheit aufgezogen und vertrieben, es nimmt Zeit und Weil, ehe der Perlen-Baum ge- wachſen, und deſſen Fruͤchte reiff geworden; Viele Millionen mahl muͤſſen die Fuͤſſe aufrichtiger Begierden zum hurtigen Fortſchreiten angeſtrenget werden, ehe ſie die Graͤntzen des Himmelreichs errei- chen, da muß der muͤhſeelige Wandersmann unterweilen mildiglich weinen, ehe er gefunden, was er ſucht, und wieder kommt mit Jauchtzen: Wie die Wolle keine Farb annimmt, ſie werde dann zuvor in Alaun und Weinſtein gebeitzt, alſo laſſet ſich das menſchli- che Hertz mit CHRJSTJ Blut nicht faͤrben, es werde dann mit viel Creutz, Angſt und Schmertzen geroͤſtet; Darum muß ſich der Buhler um dieſe Perl uͤber keine Widerwaͤrtigkeit beſchwaͤren und wann er einſchlipfft oder ſtolpert, gleich wieder munter aufſtehen, und nicht mehr hinter ſich gedencken, ſonſt verdirbt er wie andere unnuͤtze Menſchen.
Darum muß man zur Sa- che thun und ſich in der Gna- den-Zeit
§. 3. Darum mercke wohl auf alles, mein lieber Freund! Dei- ne Sach iſt nicht ſo gar richtig, es iſt dir nur eine Fahrt zu thun er- laubt, verderbeſt du den Handel, ſo kanſt du es nicht etwann auf ein andermahl verbeſſeren, du haſt nur ein Leben, und daſſelbe wol- len abtheilen iſt gefaͤhrlich, und bey nahe allen mißlungen, du kanſt
nur
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Betrachtungen
wird GOTT nicht ſchauen, ſondern wird zuletzt verlaſſen und ver-
worffen ewiglich.
§. 2. Mancher meint, wann er etwann einen Gnaden-Strahl
empfunden, oder bey Anhoͤr- und Leſung einer Goͤttlichen Wahrheit
in Thraͤnen zerſchmoltzen, und eine Krafft der himmliſchen Welt ge-
ſchmecket, nun ſey geſchehen, was geſchehen ſolle, nun ſeye er gerechtfer-
tiget, erleuchtet, verſiglet, und des ewigen Lebens gewiß, nun ha-
be er die Perl auf der Hand; Aber weit gefehlt! Du muſt nicht ſo
geringe Gedancken haben von dieſer Perl, ſie uͤberſteiget unſere Sin-
nen und Einbildung unendlich: GOTT muß es offt und auf man-
cherley Weiſe mit uns verſuchen, ehe wir empfaͤnglich ſind ſeiner
unausſprechlichen Gab; Das Fuͤncklein mag wohl hundert mahl
in einen feuchten Zundel des Welt-ſichtigen verfuͤhrten Hertzens fal-
len, ehe es anhebt zu brennen; Wie viel ungeſchicktes begehen wir,
ehe die Sonne den dicken Nebel unſer Unwiſſenheit aufgezogen und
vertrieben, es nimmt Zeit und Weil, ehe der Perlen-Baum ge-
wachſen, und deſſen Fruͤchte reiff geworden; Viele Millionen mahl
muͤſſen die Fuͤſſe aufrichtiger Begierden zum hurtigen Fortſchreiten
angeſtrenget werden, ehe ſie die Graͤntzen des Himmelreichs errei-
chen, da muß der muͤhſeelige Wandersmann unterweilen mildiglich
weinen, ehe er gefunden, was er ſucht, und wieder kommt mit
Jauchtzen: Wie die Wolle keine Farb annimmt, ſie werde dann
zuvor in Alaun und Weinſtein gebeitzt, alſo laſſet ſich das menſchli-
che Hertz mit CHRJSTJ Blut nicht faͤrben, es werde dann mit
viel Creutz, Angſt und Schmertzen geroͤſtet; Darum muß ſich der
Buhler um dieſe Perl uͤber keine Widerwaͤrtigkeit beſchwaͤren und
wann er einſchlipfft oder ſtolpert, gleich wieder munter aufſtehen,
und nicht mehr hinter ſich gedencken, ſonſt verdirbt er wie andere
unnuͤtze Menſchen.
§. 3. Darum mercke wohl auf alles, mein lieber Freund! Dei-
ne Sach iſt nicht ſo gar richtig, es iſt dir nur eine Fahrt zu thun er-
laubt, verderbeſt du den Handel, ſo kanſt du es nicht etwann auf
ein andermahl verbeſſeren, du haſt nur ein Leben, und daſſelbe wol-
len abtheilen iſt gefaͤhrlich, und bey nahe allen mißlungen, du kanſt
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 890. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/986>, abgerufen am 22.11.2024.
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