tigkeit in eben so gefährliche Versu- chungen fallen lassen.
Ach ja, mein Kind! wann du über des Näch- sten Sünde dich nicht betrübest, ja nicht von Her- tzen darüber erschrickest, so ists ein trauriges Zei- chen, du habest keine christliche Ader, und keinen Funcken Liebe zu deinem Nächsten in dir; in wel- chem Zustand du gar zu nahe bey der Hölle wärest, und dich vor dem König der Liebe, der über Je- rusalem weinete, nichts so Verdammniß-würdig machte, als diese deine Schaden-frohe Lieblosig- keit. Oder siehest du gern, daß die Leute lachen, wann du in das Koth fallest, ein Arm oder ein Bein brichst? Ey soltest du dann eine Freude über den ungeheuren Schaden haben, den dein Nächster durch einen Fehl-Tritt an der Seele be- käme? Die Menschen möchten gern sichere Merck-Maale von ihrer Bekehrung wissen, sie suchen aber solche gemeiniglich in der Ablegung grober Lastern, in süssen Empfindungen, in Lesen, Singen, Beten, und dergleichen aussern Ubun- bungen, in Anhänglichkeit an feinen, frommen Leuten, im Almosen-geben, u. s. w. Wiewohl nun diese Aeusserlichkeiten einen besondern Schein der Frömmigkeit haben, so kan doch die arme See- le bey dem allen in dem abscheulichen Pful der Ei- gen-Liebe verscharret und begraben liegen, und sich wenig anfechten lassen, ob andere in Sachen des Himmelreichs herrlicher wachsen oder nicht, es seye dann Sache, daß sie einigen Ruhm oder Schande darvon tragen. Hingegen ist die redli- che Liebe zum Nächsten eines der unbetrüg-
lichsten
der Verfuͤhrung der Jugend.
tigkeit in eben ſo gefaͤhrliche Verſu- chungen fallen laſſen.
Ach ja, mein Kind! wann du uͤber des Naͤch- ſten Suͤnde dich nicht betruͤbeſt, ja nicht von Her- tzen daruͤber erſchrickeſt, ſo iſts ein trauriges Zei- chen, du habeſt keine chriſtliche Ader, und keinen Funcken Liebe zu deinem Naͤchſten in dir; in wel- chem Zuſtand du gar zu nahe bey der Hoͤlle waͤreſt, und dich vor dem Koͤnig der Liebe, der uͤber Je- ruſalem weinete, nichts ſo Verdammniß-wuͤrdig machte, als dieſe deine Schaden-frohe Liebloſig- keit. Oder ſieheſt du gern, daß die Leute lachen, wann du in das Koth falleſt, ein Arm oder ein Bein brichſt? Ey ſolteſt du dann eine Freude uͤber den ungeheuren Schaden haben, den dein Naͤchſter durch einen Fehl-Tritt an der Seele be- kaͤme? Die Menſchen moͤchten gern ſichere Merck-Maale von ihrer Bekehrung wiſſen, ſie ſuchen aber ſolche gemeiniglich in der Ablegung grober Laſtern, in ſuͤſſen Empfindungen, in Leſen, Singen, Beten, und dergleichen auſſern Ubun- bungen, in Anhaͤnglichkeit an feinen, frommen Leuten, im Almoſen-geben, u. ſ. w. Wiewohl nun dieſe Aeuſſerlichkeiten einen beſondern Schein der Froͤmmigkeit haben, ſo kan doch die arme See- le bey dem allen in dem abſcheulichen Pful der Ei- gen-Liebe verſcharret und begraben liegen, und ſich wenig anfechten laſſen, ob andere in Sachen des Himmelreichs herrlicher wachſen oder nicht, es ſeye dann Sache, daß ſie einigen Ruhm oder Schande darvon tragen. Hingegen iſt die redli- che Liebe zum Naͤchſten eines der unbetruͤg-
lichſten
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der Verfuͤhrung der Jugend.
tigkeit in eben ſo gefaͤhrliche Verſu-
chungen fallen laſſen.
Ach ja, mein Kind! wann du uͤber des Naͤch-
ſten Suͤnde dich nicht betruͤbeſt, ja nicht von Her-
tzen daruͤber erſchrickeſt, ſo iſts ein trauriges Zei-
chen, du habeſt keine chriſtliche Ader, und keinen
Funcken Liebe zu deinem Naͤchſten in dir; in wel-
chem Zuſtand du gar zu nahe bey der Hoͤlle waͤreſt,
und dich vor dem Koͤnig der Liebe, der uͤber Je-
ruſalem weinete, nichts ſo Verdammniß-wuͤrdig
machte, als dieſe deine Schaden-frohe Liebloſig-
keit. Oder ſieheſt du gern, daß die Leute lachen,
wann du in das Koth falleſt, ein Arm oder ein
Bein brichſt? Ey ſolteſt du dann eine Freude
uͤber den ungeheuren Schaden haben, den dein
Naͤchſter durch einen Fehl-Tritt an der Seele be-
kaͤme? Die Menſchen moͤchten gern ſichere
Merck-Maale von ihrer Bekehrung wiſſen,
ſie ſuchen aber ſolche gemeiniglich in der Ablegung
grober Laſtern, in ſuͤſſen Empfindungen, in Leſen,
Singen, Beten, und dergleichen auſſern Ubun-
bungen, in Anhaͤnglichkeit an feinen, frommen
Leuten, im Almoſen-geben, u. ſ. w. Wiewohl
nun dieſe Aeuſſerlichkeiten einen beſondern Schein
der Froͤmmigkeit haben, ſo kan doch die arme See-
le bey dem allen in dem abſcheulichen Pful der Ei-
gen-Liebe verſcharret und begraben liegen, und
ſich wenig anfechten laſſen, ob andere in Sachen
des Himmelreichs herrlicher wachſen oder nicht, es
ſeye dann Sache, daß ſie einigen Ruhm oder
Schande darvon tragen. Hingegen iſt die redli-
che Liebe zum Naͤchſten eines der unbetruͤg-
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Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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