Bist du, liebes Kind, ein Mägdlein, ey was thätest, unterliessest und littest du nicht, einen jun- gen, schönen, mächtigen, reichen, weisen, tugend sa- men Cron-Printzen zu deinem Bräutigam zu be- kommen? Wie befleißt sich nicht ein Knabe, um von den untern in die obern Schulen befördert, und im Examen der geschickteste erfunden zu wer- den? Solle er eine Rede an der Solennität hal- ten, wie schwebet es ihm nicht im Sinn, daß er an solchem Tag wohl bestehe? Wer in geistli- chen oder weltlichen Aemtern hoch ans Brett kom- men will, der greifft sich an, bricht den Schlaf, verläugnet lustige Kurtzweil, liegt seiner Sache ob, und erkauffet die Zeit dazu: Wer das Baret in der Stadt Bern begehret, dem fähret der Tag der Regiments-Besetzung im Hirn herum, und er rich- tet auch seine Sachen darnach ein; ja man hat Exempel, daß einige, denen es fehl geschlagen, vor Verdruß und Unmuth das Grimmen im Bauch gekriegt, andere sonsten kranck geworden, und wie- derum andere vor Schrecken ohnmächtig zu Boden gesuncken. Wann ein grosser Herr zweyen Knech- ten ein gleiches Tagwerck übergäbe, und sie vorhin warnete, daß sie minütlich seiner Ankunfft gewär- tig seyn sollen, mit dem Anhang, daß er dem, wel- chen er in fleißiger Arbeit antreffen werde, eine Herrschafft oder Hertzogthum verehren, denselben aber, den er schläffrig und träg ertappen sollte, auf den Schind-Acker schleppen und wie ein Aas hin- werffen lassen wollte: Wie emsig und wachsam würden nicht diese Knechte seyn? Ey wie solltest du dann nicht, mein Kind, in steter Sorge stehen,
wie
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Der Beſchluß.
Biſt du, liebes Kind, ein Maͤgdlein, ey was thaͤteſt, unterlieſſeſt und litteſt du nicht, einen jun- gen, ſchoͤnen, maͤchtigen, reichen, weiſen, tugend ſa- men Cron-Printzen zu deinem Braͤutigam zu be- kommen? Wie befleißt ſich nicht ein Knabe, um von den untern in die obern Schulen befoͤrdert, und im Examen der geſchickteſte erfunden zu wer- den? Solle er eine Rede an der Solennitaͤt hal- ten, wie ſchwebet es ihm nicht im Sinn, daß er an ſolchem Tag wohl beſtehe? Wer in geiſtli- chen oder weltlichen Aemtern hoch ans Brett kom- men will, der greifft ſich an, bricht den Schlaf, verlaͤugnet luſtige Kurtzweil, liegt ſeiner Sache ob, und erkauffet die Zeit dazu: Wer das Baret in der Stadt Bern begehret, dem faͤhret der Tag der Regiments-Beſetzung im Hirn herum, und er rich- tet auch ſeine Sachen darnach ein; ja man hat Exempel, daß einige, denen es fehl geſchlagen, vor Verdruß und Unmuth das Grimmen im Bauch gekriegt, andere ſonſten kranck geworden, und wie- derum andere vor Schrecken ohnmaͤchtig zu Boden geſuncken. Wann ein groſſer Herr zweyen Knech- ten ein gleiches Tagwerck uͤbergaͤbe, und ſie vorhin warnete, daß ſie minuͤtlich ſeiner Ankunfft gewaͤr- tig ſeyn ſollen, mit dem Anhang, daß er dem, wel- chen er in fleißiger Arbeit antreffen werde, eine Herrſchafft oder Hertzogthum verehren, denſelben aber, den er ſchlaͤffrig und traͤg ertappen ſollte, auf den Schind-Acker ſchleppen und wie ein Aas hin- werffen laſſen wollte: Wie emſig und wachſam wuͤrden nicht dieſe Knechte ſeyn? Ey wie ſollteſt du dann nicht, mein Kind, in ſteter Sorge ſtehen,
wie
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Der Beſchluß.
Biſt du, liebes Kind, ein Maͤgdlein, ey was
thaͤteſt, unterlieſſeſt und litteſt du nicht, einen jun-
gen, ſchoͤnen, maͤchtigen, reichen, weiſen, tugend ſa-
men Cron-Printzen zu deinem Braͤutigam zu be-
kommen? Wie befleißt ſich nicht ein Knabe, um
von den untern in die obern Schulen befoͤrdert,
und im Examen der geſchickteſte erfunden zu wer-
den? Solle er eine Rede an der Solennitaͤt hal-
ten, wie ſchwebet es ihm nicht im Sinn, daß er
an ſolchem Tag wohl beſtehe? Wer in geiſtli-
chen oder weltlichen Aemtern hoch ans Brett kom-
men will, der greifft ſich an, bricht den Schlaf,
verlaͤugnet luſtige Kurtzweil, liegt ſeiner Sache ob,
und erkauffet die Zeit dazu: Wer das Baret in
der Stadt Bern begehret, dem faͤhret der Tag der
Regiments-Beſetzung im Hirn herum, und er rich-
tet auch ſeine Sachen darnach ein; ja man hat
Exempel, daß einige, denen es fehl geſchlagen,
vor Verdruß und Unmuth das Grimmen im Bauch
gekriegt, andere ſonſten kranck geworden, und wie-
derum andere vor Schrecken ohnmaͤchtig zu Boden
geſuncken. Wann ein groſſer Herr zweyen Knech-
ten ein gleiches Tagwerck uͤbergaͤbe, und ſie vorhin
warnete, daß ſie minuͤtlich ſeiner Ankunfft gewaͤr-
tig ſeyn ſollen, mit dem Anhang, daß er dem, wel-
chen er in fleißiger Arbeit antreffen werde, eine
Herrſchafft oder Hertzogthum verehren, denſelben
aber, den er ſchlaͤffrig und traͤg ertappen ſollte, auf
den Schind-Acker ſchleppen und wie ein Aas hin-
werffen laſſen wollte: Wie emſig und wachſam
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Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/427>, abgerufen am 22.11.2024.
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