Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

über die gebräunte Stirn und durch das dichte Blondhaar, ehe er das Ende der Brücke und mit ihr die Bäuerin erreichte.

Aber war es erst gewesen, als wolle er die Lippen öffnen, um sie anzureden, so mußte er sich sehr rasch eines Anderen besonnen haben, denn schon im nächsten Augenblicke schritt er stumm und mit abgewandtem Kopfe an ihr vorüber. Da er seine Augen beim Vorübergehen so hartnäckig seitwärts in die Felder richtete, als gälte es, die Aehren an den Halmen und die Körner in den Aehren einer genauen Zahlung zu unterwarfen, so gewann die Rose-Marie Zeit, einen halb erstaunten, halb neugierigen Blick, entgegen ihrem Vorsatz von vorhin, auf ihn zu richten.

Das trotz der sommerlichen Bräunung bleiche Gesicht, die wirren Haare, die düstern Augen, -- Alles das konnte ihr nicht wohl entgehen, ebensowenig eine gewisse Haltungslosigkeit, die an dem jungen, wohlgebauten Manne, der sich auch in Herrenkleidern stattlich ausgenommen haben würde, etwas Neues, durchaus Fremdes war, aber -- alle Himmel! hätte sie fast laut gerufen, war da nicht ein Knopf abgerissen, gerade vorn an der seinen Manchesterjacke, welche über seiner Schulter hing? Wie will er vor den Herrn bestehn? dachte sie bestürzt, und unwillkürlich fuhr sie mit der Hand ans Mieder, wo sie immer Zwirn und Nadel für solche Fälle bei sich zu tragen pflegte, doch, als ob sie hier auf ein Nadelkissen voll glühender Spitzen gestoßen wäre, zog sie

über die gebräunte Stirn und durch das dichte Blondhaar, ehe er das Ende der Brücke und mit ihr die Bäuerin erreichte.

Aber war es erst gewesen, als wolle er die Lippen öffnen, um sie anzureden, so mußte er sich sehr rasch eines Anderen besonnen haben, denn schon im nächsten Augenblicke schritt er stumm und mit abgewandtem Kopfe an ihr vorüber. Da er seine Augen beim Vorübergehen so hartnäckig seitwärts in die Felder richtete, als gälte es, die Aehren an den Halmen und die Körner in den Aehren einer genauen Zahlung zu unterwarfen, so gewann die Rose-Marie Zeit, einen halb erstaunten, halb neugierigen Blick, entgegen ihrem Vorsatz von vorhin, auf ihn zu richten.

Das trotz der sommerlichen Bräunung bleiche Gesicht, die wirren Haare, die düstern Augen, — Alles das konnte ihr nicht wohl entgehen, ebensowenig eine gewisse Haltungslosigkeit, die an dem jungen, wohlgebauten Manne, der sich auch in Herrenkleidern stattlich ausgenommen haben würde, etwas Neues, durchaus Fremdes war, aber — alle Himmel! hätte sie fast laut gerufen, war da nicht ein Knopf abgerissen, gerade vorn an der seinen Manchesterjacke, welche über seiner Schulter hing? Wie will er vor den Herrn bestehn? dachte sie bestürzt, und unwillkürlich fuhr sie mit der Hand ans Mieder, wo sie immer Zwirn und Nadel für solche Fälle bei sich zu tragen pflegte, doch, als ob sie hier auf ein Nadelkissen voll glühender Spitzen gestoßen wäre, zog sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="0">
        <p><pb facs="#f0013"/>
über die gebräunte      Stirn und durch das dichte Blondhaar, ehe er das Ende der Brücke und mit ihr die Bäuerin      erreichte.</p><lb/>
        <p>Aber war es erst gewesen, als wolle er die Lippen öffnen, um sie anzureden, so mußte er sich      sehr rasch eines Anderen besonnen haben, denn schon im nächsten Augenblicke schritt er stumm      und mit abgewandtem Kopfe an ihr vorüber. Da er seine Augen beim Vorübergehen so hartnäckig      seitwärts in die Felder richtete, als gälte es, die Aehren an den Halmen und die Körner in den      Aehren einer genauen Zahlung zu unterwarfen, so gewann die Rose-Marie Zeit, einen halb      erstaunten, halb neugierigen Blick, entgegen ihrem Vorsatz von vorhin, auf ihn zu richten.</p><lb/>
        <p>Das trotz der sommerlichen Bräunung bleiche Gesicht, die wirren Haare, die düstern Augen, &#x2014;      Alles das konnte ihr nicht wohl entgehen, ebensowenig eine gewisse Haltungslosigkeit, die an      dem jungen, wohlgebauten Manne, der sich auch in Herrenkleidern stattlich ausgenommen haben      würde, etwas Neues, durchaus Fremdes war, aber &#x2014; alle Himmel! hätte sie fast laut gerufen, war      da nicht ein Knopf abgerissen, gerade vorn an der seinen Manchesterjacke, welche über seiner      Schulter hing? Wie will er vor den Herrn bestehn? dachte sie bestürzt, und unwillkürlich fuhr      sie mit der Hand ans Mieder, wo sie immer Zwirn und Nadel für solche Fälle bei sich zu tragen      pflegte, doch, als ob sie hier auf ein Nadelkissen voll glühender Spitzen gestoßen wäre, zog      sie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] über die gebräunte Stirn und durch das dichte Blondhaar, ehe er das Ende der Brücke und mit ihr die Bäuerin erreichte. Aber war es erst gewesen, als wolle er die Lippen öffnen, um sie anzureden, so mußte er sich sehr rasch eines Anderen besonnen haben, denn schon im nächsten Augenblicke schritt er stumm und mit abgewandtem Kopfe an ihr vorüber. Da er seine Augen beim Vorübergehen so hartnäckig seitwärts in die Felder richtete, als gälte es, die Aehren an den Halmen und die Körner in den Aehren einer genauen Zahlung zu unterwarfen, so gewann die Rose-Marie Zeit, einen halb erstaunten, halb neugierigen Blick, entgegen ihrem Vorsatz von vorhin, auf ihn zu richten. Das trotz der sommerlichen Bräunung bleiche Gesicht, die wirren Haare, die düstern Augen, — Alles das konnte ihr nicht wohl entgehen, ebensowenig eine gewisse Haltungslosigkeit, die an dem jungen, wohlgebauten Manne, der sich auch in Herrenkleidern stattlich ausgenommen haben würde, etwas Neues, durchaus Fremdes war, aber — alle Himmel! hätte sie fast laut gerufen, war da nicht ein Knopf abgerissen, gerade vorn an der seinen Manchesterjacke, welche über seiner Schulter hing? Wie will er vor den Herrn bestehn? dachte sie bestürzt, und unwillkürlich fuhr sie mit der Hand ans Mieder, wo sie immer Zwirn und Nadel für solche Fälle bei sich zu tragen pflegte, doch, als ob sie hier auf ein Nadelkissen voll glühender Spitzen gestoßen wäre, zog sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/13
Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/13>, abgerufen am 21.11.2024.