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Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ganzen Nacktheit ihrer falschen Seele da. Dennoch, so groß die Schuld, athmete sie erleichtert auf, denn eine größere Last, die der Lüge, war von ihr abgefallen. Mit grausamer Luft nahm sie auch den letzten Vorwurf von Johannes, um ihn zu ihrer eigenen Sündenlast zu legen; es dünkte ihr so süß, für ihn zu tragen, und in allem Jammer war sie glücklich, ihn so rein, so hoch über sich zu sehen.

Seine Augen standen vor ihr da, diese tiefen, treuen, heute so traurigen Augen, und sie wußte nun mit einmal, daß sie mit ihr gegangen waren auf den Fahrweg, durch den Wald, bis hierher; daß nicht die schwüle Luft, nicht der schwere Himmel, nicht Sturm und Wetter es gewesen, die ihr das Herz zusammendrückten, bis es aufgeschrieen und sich entladen hatte von der fremden, lange getragenen Last; es waren seine Augen gewesen, die sie bei jenem einen, flüchtigen Blicke auf den Vorübergehenden in sich aufgesogen hatte mit der ganzen Leidenschaft ihres Wesens. Und nun wichen sie nicht mehr von ihr; sie lachten und sie zürnten, wie sie sonst gethan, und beides dünkte ihr gleich schön, ja wenn sie zürnten, war es fast noch schöner. Wie hatte sie in dieses Auge sehen und sich so lange verstocken können gegen ihn? Es hatte nie gelogen -- nie. Auch seine Stimme hörte sie, bald in Liebesworten, bald im Zorne, und sie hätte fort und fort nur lauschen mögen. Jedes Wort, mit dem sie ihn gereizt, fiel ihr glühend auf die Seele zurück, während Alles, was er ihr entgegnet hatte, sie mit einer stolzen Lust erfüllte. Die Art, wie er erst stumm den Kopf geschüttelt, der Blick, den er ihr zugeworfen

ganzen Nacktheit ihrer falschen Seele da. Dennoch, so groß die Schuld, athmete sie erleichtert auf, denn eine größere Last, die der Lüge, war von ihr abgefallen. Mit grausamer Luft nahm sie auch den letzten Vorwurf von Johannes, um ihn zu ihrer eigenen Sündenlast zu legen; es dünkte ihr so süß, für ihn zu tragen, und in allem Jammer war sie glücklich, ihn so rein, so hoch über sich zu sehen.

Seine Augen standen vor ihr da, diese tiefen, treuen, heute so traurigen Augen, und sie wußte nun mit einmal, daß sie mit ihr gegangen waren auf den Fahrweg, durch den Wald, bis hierher; daß nicht die schwüle Luft, nicht der schwere Himmel, nicht Sturm und Wetter es gewesen, die ihr das Herz zusammendrückten, bis es aufgeschrieen und sich entladen hatte von der fremden, lange getragenen Last; es waren seine Augen gewesen, die sie bei jenem einen, flüchtigen Blicke auf den Vorübergehenden in sich aufgesogen hatte mit der ganzen Leidenschaft ihres Wesens. Und nun wichen sie nicht mehr von ihr; sie lachten und sie zürnten, wie sie sonst gethan, und beides dünkte ihr gleich schön, ja wenn sie zürnten, war es fast noch schöner. Wie hatte sie in dieses Auge sehen und sich so lange verstocken können gegen ihn? Es hatte nie gelogen — nie. Auch seine Stimme hörte sie, bald in Liebesworten, bald im Zorne, und sie hätte fort und fort nur lauschen mögen. Jedes Wort, mit dem sie ihn gereizt, fiel ihr glühend auf die Seele zurück, während Alles, was er ihr entgegnet hatte, sie mit einer stolzen Lust erfüllte. Die Art, wie er erst stumm den Kopf geschüttelt, der Blick, den er ihr zugeworfen

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[0043] ganzen Nacktheit ihrer falschen Seele da. Dennoch, so groß die Schuld, athmete sie erleichtert auf, denn eine größere Last, die der Lüge, war von ihr abgefallen. Mit grausamer Luft nahm sie auch den letzten Vorwurf von Johannes, um ihn zu ihrer eigenen Sündenlast zu legen; es dünkte ihr so süß, für ihn zu tragen, und in allem Jammer war sie glücklich, ihn so rein, so hoch über sich zu sehen. Seine Augen standen vor ihr da, diese tiefen, treuen, heute so traurigen Augen, und sie wußte nun mit einmal, daß sie mit ihr gegangen waren auf den Fahrweg, durch den Wald, bis hierher; daß nicht die schwüle Luft, nicht der schwere Himmel, nicht Sturm und Wetter es gewesen, die ihr das Herz zusammendrückten, bis es aufgeschrieen und sich entladen hatte von der fremden, lange getragenen Last; es waren seine Augen gewesen, die sie bei jenem einen, flüchtigen Blicke auf den Vorübergehenden in sich aufgesogen hatte mit der ganzen Leidenschaft ihres Wesens. Und nun wichen sie nicht mehr von ihr; sie lachten und sie zürnten, wie sie sonst gethan, und beides dünkte ihr gleich schön, ja wenn sie zürnten, war es fast noch schöner. Wie hatte sie in dieses Auge sehen und sich so lange verstocken können gegen ihn? Es hatte nie gelogen — nie. Auch seine Stimme hörte sie, bald in Liebesworten, bald im Zorne, und sie hätte fort und fort nur lauschen mögen. Jedes Wort, mit dem sie ihn gereizt, fiel ihr glühend auf die Seele zurück, während Alles, was er ihr entgegnet hatte, sie mit einer stolzen Lust erfüllte. Die Art, wie er erst stumm den Kopf geschüttelt, der Blick, den er ihr zugeworfen

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

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Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/43>, abgerufen am 21.11.2024.