war seither öfter hier gewesen, unter Vorwänden, die ihre hochrothe Wange Lügen strafte. Auch ihr Vater, ein angesehener Bürger, hatte sich um Apollonius Be¬ kanntschaft gemüht, und Fritz Nettenmair hatte die Sache gefördert, wie er konnte.
"Die Anne?" rief die junge Frau wie erschreckend.
""Gut, daß sie nicht lügen kann,"" dachte Fritz Netten¬ mair erleichtert. Aber es fiel ihm ein, ihr Unvermögen, sich zu verstellen, kam ja auch dem argen Plan des Bruders zu gut. Er hatte die Eifersucht als letztes Mittel angewandt. Das war wieder eine Thorheit, und er bereute sie schon. Sie kann sich nicht verstellen; und wär er noch ganz der alte Träumer, ihre Aufre¬ gung muß ihm verrathen, was in ihr vorgeht; ihre Aufregung muß ihr selber verrathen, was in ihr vor¬ geht. Noch weiß sie es selbst ja nicht. Und dann -- er stand wieder an dem Punkte, zu dem jeder Ausgang ihn führt; er sah sie sich verstehen; "und dann", zwängte er zwischen den Zähnen hervor, daß jede Silbe daran sich blutig riß, "und dann -- wird sie's schon lernen!"
Der Bruder erwartete ihn in der Wohnstube. "Er muß doch einen Vorwand machen, warum er da vor¬ beikam, wo er sie allein dachte, da er weiß, ich hab' ihn gesehn." So dacht' er und folgte dem Bruder.
Apollonius wartete wirklich in der Wohnstube auf ihn. Der Bruder gab sich durch seine Wendung auf den Fersen recht, als er ihn sah. Apollonius suchte
war ſeither öfter hier geweſen, unter Vorwänden, die ihre hochrothe Wange Lügen ſtrafte. Auch ihr Vater, ein angeſehener Bürger, hatte ſich um Apollonius Be¬ kanntſchaft gemüht, und Fritz Nettenmair hatte die Sache gefördert, wie er konnte.
„Die Anne?“ rief die junge Frau wie erſchreckend.
„„Gut, daß ſie nicht lügen kann,““ dachte Fritz Netten¬ mair erleichtert. Aber es fiel ihm ein, ihr Unvermögen, ſich zu verſtellen, kam ja auch dem argen Plan des Bruders zu gut. Er hatte die Eiferſucht als letztes Mittel angewandt. Das war wieder eine Thorheit, und er bereute ſie ſchon. Sie kann ſich nicht verſtellen; und wär er noch ganz der alte Träumer, ihre Aufre¬ gung muß ihm verrathen, was in ihr vorgeht; ihre Aufregung muß ihr ſelber verrathen, was in ihr vor¬ geht. Noch weiß ſie es ſelbſt ja nicht. Und dann — er ſtand wieder an dem Punkte, zu dem jeder Ausgang ihn führt; er ſah ſie ſich verſtehen; „und dann“, zwängte er zwiſchen den Zähnen hervor, daß jede Silbe daran ſich blutig riß, „und dann — wird ſie's ſchon lernen!“
Der Bruder erwartete ihn in der Wohnſtube. „Er muß doch einen Vorwand machen, warum er da vor¬ beikam, wo er ſie allein dachte, da er weiß, ich hab' ihn geſehn.“ So dacht' er und folgte dem Bruder.
Apollonius wartete wirklich in der Wohnſtube auf ihn. Der Bruder gab ſich durch ſeine Wendung auf den Ferſen recht, als er ihn ſah. Apollonius ſuchte
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war ſeither öfter hier geweſen, unter Vorwänden, die
ihre hochrothe Wange Lügen ſtrafte. Auch ihr Vater,
ein angeſehener Bürger, hatte ſich um Apollonius Be¬
kanntſchaft gemüht, und Fritz Nettenmair hatte die
Sache gefördert, wie er konnte.
„Die Anne?“ rief die junge Frau wie erſchreckend.
„„Gut, daß ſie nicht lügen kann,““ dachte Fritz Netten¬
mair erleichtert. Aber es fiel ihm ein, ihr Unvermögen,
ſich zu verſtellen, kam ja auch dem argen Plan des
Bruders zu gut. Er hatte die Eiferſucht als letztes
Mittel angewandt. Das war wieder eine Thorheit,
und er bereute ſie ſchon. Sie kann ſich nicht verſtellen;
und wär er noch ganz der alte Träumer, ihre Aufre¬
gung muß ihm verrathen, was in ihr vorgeht; ihre
Aufregung muß ihr ſelber verrathen, was in ihr vor¬
geht. Noch weiß ſie es ſelbſt ja nicht. Und dann —
er ſtand wieder an dem Punkte, zu dem jeder Ausgang
ihn führt; er ſah ſie ſich verſtehen; „und dann“, zwängte
er zwiſchen den Zähnen hervor, daß jede Silbe daran
ſich blutig riß, „und dann — wird ſie's ſchon lernen!“
Der Bruder erwartete ihn in der Wohnſtube. „Er
muß doch einen Vorwand machen, warum er da vor¬
beikam, wo er ſie allein dachte, da er weiß, ich hab'
ihn geſehn.“ So dacht' er und folgte dem Bruder.
Apollonius wartete wirklich in der Wohnſtube auf
ihn. Der Bruder gab ſich durch ſeine Wendung auf
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/101>, abgerufen am 16.02.2025.
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