war. Ja, was ihn freute, mußte ja auch den Bruder freun. "Früher," entgegnete Apollonius, "mußt' ich fürchten, sie noch mehr zu erzürnen. Und das würde dir noch weniger lieb gewesen sein, als mir." Der Bruder lachte und bejahte in seiner jovialen Weise mit Kopf und Schultern, um nur etwas zu thun. Und sein: "Und jetzt?" schien nun vom Lachen halb erstickt, nicht von etwas anderm. "Deine Frau ist anders seit einiger Zeit," fuhr Apollonius vertraulich fort. -- ""Sie ist"" -- antwortete Fritz Nettenmairs Zusammenzucken wider seinen Willen, und wollte sagen, wofür er sie hielt. Es war ein arges Wort. Aber würd' er selbst, der sie dazu gemacht, es ihm sagen? Nein, es ist noch nicht da, was er fürchtet. Und wenn es kommen muß; er kann's noch verzögern. Er hält mit Gewalt seiner Erregung den Mund zu. Er fragte gern: "und woher weißt du, daß sie -- anders ist?" wüßt' er nicht, seine Stimme wird zittern und ihn verrathen. Er muß ja wissen, wer es dem Bruder verrathen hat. Hat er sie schon gesprochen? Hat er's ihr von fern aus den Augen gelesen? Oder ist ein Drittes im Spiel? ein Feind, den er schon haßt, eh' er weiß, ob er vorhanden ist. Apollonius scheint ein Etwas von des Bruders unglückseliger Lesegabe ange¬ flogen. Der Bruder fragt nicht; sein Gesicht ist abge¬ wandt; er kramt tief im Schranke, und sucht wie ein Verzweifelnder, und kann nicht finden; und doch ant¬
war. Ja, was ihn freute, mußte ja auch den Bruder freun. „Früher,“ entgegnete Apollonius, „mußt' ich fürchten, ſie noch mehr zu erzürnen. Und das würde dir noch weniger lieb geweſen ſein, als mir.“ Der Bruder lachte und bejahte in ſeiner jovialen Weiſe mit Kopf und Schultern, um nur etwas zu thun. Und ſein: „Und jetzt?“ ſchien nun vom Lachen halb erſtickt, nicht von etwas anderm. „Deine Frau iſt anders ſeit einiger Zeit,“ fuhr Apollonius vertraulich fort. — „„Sie iſt““ — antwortete Fritz Nettenmairs Zuſammenzucken wider ſeinen Willen, und wollte ſagen, wofür er ſie hielt. Es war ein arges Wort. Aber würd' er ſelbſt, der ſie dazu gemacht, es ihm ſagen? Nein, es iſt noch nicht da, was er fürchtet. Und wenn es kommen muß; er kann's noch verzögern. Er hält mit Gewalt ſeiner Erregung den Mund zu. Er fragte gern: „und woher weißt du, daß ſie — anders iſt?“ wüßt' er nicht, ſeine Stimme wird zittern und ihn verrathen. Er muß ja wiſſen, wer es dem Bruder verrathen hat. Hat er ſie ſchon geſprochen? Hat er's ihr von fern aus den Augen geleſen? Oder iſt ein Drittes im Spiel? ein Feind, den er ſchon haßt, eh' er weiß, ob er vorhanden iſt. Apollonius ſcheint ein Etwas von des Bruders unglückſeliger Leſegabe ange¬ flogen. Der Bruder fragt nicht; ſein Geſicht iſt abge¬ wandt; er kramt tief im Schranke, und ſucht wie ein Verzweifelnder, und kann nicht finden; und doch ant¬
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war. Ja, was ihn freute, mußte ja auch den Bruder
freun. „Früher,“ entgegnete Apollonius, „mußt' ich
fürchten, ſie noch mehr zu erzürnen. Und das würde
dir noch weniger lieb geweſen ſein, als mir.“ Der
Bruder lachte und bejahte in ſeiner jovialen Weiſe
mit Kopf und Schultern, um nur etwas zu thun.
Und ſein: „Und jetzt?“ ſchien nun vom Lachen halb
erſtickt, nicht von etwas anderm. „Deine Frau iſt
anders ſeit einiger Zeit,“ fuhr Apollonius vertraulich
fort. — „„Sie iſt““ — antwortete Fritz Nettenmairs
Zuſammenzucken wider ſeinen Willen, und wollte ſagen,
wofür er ſie hielt. Es war ein arges Wort. Aber
würd' er ſelbſt, der ſie dazu gemacht, es ihm ſagen?
Nein, es iſt noch nicht da, was er fürchtet. Und wenn
es kommen muß; er kann's noch verzögern. Er hält
mit Gewalt ſeiner Erregung den Mund zu. Er fragte
gern: „und woher weißt du, daß ſie — anders iſt?“
wüßt' er nicht, ſeine Stimme wird zittern und ihn
verrathen. Er muß ja wiſſen, wer es dem Bruder
verrathen hat. Hat er ſie ſchon geſprochen? Hat er's
ihr von fern aus den Augen geleſen? Oder iſt ein
Drittes im Spiel? ein Feind, den er ſchon haßt, eh'
er weiß, ob er vorhanden iſt. Apollonius ſcheint ein
Etwas von des Bruders unglückſeliger Leſegabe ange¬
flogen. Der Bruder fragt nicht; ſein Geſicht iſt abge¬
wandt; er kramt tief im Schranke, und ſucht wie ein
Verzweifelnder, und kann nicht finden; und doch ant¬
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/111>, abgerufen am 21.11.2024.
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