gute Parthien sich ihm auch anboten. Damals schon begann das eigene Zusammenleben.
Es ist natürlich, daß die guten Leute sich wundern; sie wissen nicht, was damals in vier Seelen vorging; und wüßten sie's, sie wunderten sich vielleicht nur noch mehr. Nicht immer wohnte die Sonntagsruhe hier, die [j]etzt selbst über die angestrengteste Geschäftigkeit der Be¬ wohner des Hauses mit dem Gärtchen ihre Schwingen breitet. Es ging eine Zeit darüber hin, wo bittrer Schmerz über gestohlenes Glück, wilde Wünsche seine Bewohner entzweiten, wo selbst drohender Mord seinen Schatten vor sich her warf in das Haus; wo Ver¬ zweiflung über selbstgeschaffenes Elend händeringend in stiller Nacht an der Hinterthür die Treppe herauf und über die Emporlaube und wieder hinunter den Gang zwischen Gärtchen und Stallraum bis zum Schuppen und ruhelos wieder vor und wieder hinterschlich. Damals schon war das Gärtchen der Lieblingsaufenthalt einer hohen Gestalt, aber den Eigensinn des greisen Gesichts dämpfte nicht Milde; wenn sie über die Straße schritt, hielten auch die Knaben im lustigen Spiele an; aber die Gestalt sah nicht so freundlich auf sie nieder. Vielleicht, weil ihr Augenlicht fast erloschen war. Wohl war auch der ältere Herr Nettenmair ein geachteter Mann und er verdiente die Achtung seiner Mitbürger, nicht weniger als sein milderes Ebenbild nach ihm. Er war ein Mann von strenger Ehre. Er war es nur zu sehr!
gute Parthien ſich ihm auch anboten. Damals ſchon begann das eigene Zuſammenleben.
Es iſt natürlich, daß die guten Leute ſich wundern; ſie wiſſen nicht, was damals in vier Seelen vorging; und wüßten ſie's, ſie wunderten ſich vielleicht nur noch mehr. Nicht immer wohnte die Sonntagsruhe hier, die [j]etzt ſelbſt über die angeſtrengteſte Geſchäftigkeit der Be¬ wohner des Hauſes mit dem Gärtchen ihre Schwingen breitet. Es ging eine Zeit darüber hin, wo bittrer Schmerz über geſtohlenes Glück, wilde Wünſche ſeine Bewohner entzweiten, wo ſelbſt drohender Mord ſeinen Schatten vor ſich her warf in das Haus; wo Ver¬ zweiflung über ſelbſtgeſchaffenes Elend händeringend in ſtiller Nacht an der Hinterthür die Treppe herauf und über die Emporlaube und wieder hinunter den Gang zwiſchen Gärtchen und Stallraum bis zum Schuppen und ruhelos wieder vor und wieder hinterſchlich. Damals ſchon war das Gärtchen der Lieblingsaufenthalt einer hohen Geſtalt, aber den Eigenſinn des greiſen Geſichts dämpfte nicht Milde; wenn ſie über die Straße ſchritt, hielten auch die Knaben im luſtigen Spiele an; aber die Geſtalt ſah nicht ſo freundlich auf ſie nieder. Vielleicht, weil ihr Augenlicht faſt erloſchen war. Wohl war auch der ältere Herr Nettenmair ein geachteter Mann und er verdiente die Achtung ſeiner Mitbürger, nicht weniger als ſein milderes Ebenbild nach ihm. Er war ein Mann von ſtrenger Ehre. Er war es nur zu ſehr!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0017"n="8"/>
gute Parthien ſich ihm auch anboten. Damals ſchon<lb/>
begann das eigene Zuſammenleben.</p><lb/><p>Es iſt natürlich, daß die guten Leute ſich wundern;<lb/>ſie wiſſen nicht, was damals in vier Seelen vorging;<lb/>
und wüßten ſie's, ſie wunderten ſich vielleicht nur noch<lb/>
mehr. Nicht immer wohnte die Sonntagsruhe hier, die<lb/><supplied>j</supplied>etzt ſelbſt über die angeſtrengteſte Geſchäftigkeit der Be¬<lb/>
wohner des Hauſes mit dem Gärtchen ihre Schwingen<lb/>
breitet. Es ging eine Zeit darüber hin, wo bittrer<lb/>
Schmerz über geſtohlenes Glück, wilde Wünſche ſeine<lb/>
Bewohner entzweiten, wo ſelbſt drohender Mord ſeinen<lb/>
Schatten vor ſich her warf in das Haus; wo Ver¬<lb/>
zweiflung über ſelbſtgeſchaffenes Elend händeringend in<lb/>ſtiller Nacht an der Hinterthür die Treppe herauf und<lb/>
über die Emporlaube und wieder hinunter den Gang<lb/>
zwiſchen Gärtchen und Stallraum bis zum Schuppen<lb/>
und ruhelos wieder vor und wieder hinterſchlich. Damals<lb/>ſchon war das Gärtchen der Lieblingsaufenthalt einer<lb/>
hohen Geſtalt, aber den Eigenſinn des greiſen Geſichts<lb/>
dämpfte nicht Milde; wenn ſie über die Straße ſchritt,<lb/>
hielten auch die Knaben im luſtigen Spiele an; aber<lb/>
die Geſtalt ſah nicht ſo freundlich auf ſie nieder. Vielleicht,<lb/>
weil ihr Augenlicht faſt erloſchen war. Wohl war auch<lb/>
der ältere Herr <hirendition="#g">Nettenmair</hi> ein geachteter Mann und<lb/>
er verdiente die Achtung ſeiner Mitbürger, nicht weniger<lb/>
als ſein milderes Ebenbild nach ihm. Er war ein Mann<lb/>
von ſtrenger Ehre. Er war es nur zu ſehr!</p><lb/></div></body></text></TEI>
[8/0017]
gute Parthien ſich ihm auch anboten. Damals ſchon
begann das eigene Zuſammenleben.
Es iſt natürlich, daß die guten Leute ſich wundern;
ſie wiſſen nicht, was damals in vier Seelen vorging;
und wüßten ſie's, ſie wunderten ſich vielleicht nur noch
mehr. Nicht immer wohnte die Sonntagsruhe hier, die
jetzt ſelbſt über die angeſtrengteſte Geſchäftigkeit der Be¬
wohner des Hauſes mit dem Gärtchen ihre Schwingen
breitet. Es ging eine Zeit darüber hin, wo bittrer
Schmerz über geſtohlenes Glück, wilde Wünſche ſeine
Bewohner entzweiten, wo ſelbſt drohender Mord ſeinen
Schatten vor ſich her warf in das Haus; wo Ver¬
zweiflung über ſelbſtgeſchaffenes Elend händeringend in
ſtiller Nacht an der Hinterthür die Treppe herauf und
über die Emporlaube und wieder hinunter den Gang
zwiſchen Gärtchen und Stallraum bis zum Schuppen
und ruhelos wieder vor und wieder hinterſchlich. Damals
ſchon war das Gärtchen der Lieblingsaufenthalt einer
hohen Geſtalt, aber den Eigenſinn des greiſen Geſichts
dämpfte nicht Milde; wenn ſie über die Straße ſchritt,
hielten auch die Knaben im luſtigen Spiele an; aber
die Geſtalt ſah nicht ſo freundlich auf ſie nieder. Vielleicht,
weil ihr Augenlicht faſt erloſchen war. Wohl war auch
der ältere Herr Nettenmair ein geachteter Mann und
er verdiente die Achtung ſeiner Mitbürger, nicht weniger
als ſein milderes Ebenbild nach ihm. Er war ein Mann
von ſtrenger Ehre. Er war es nur zu ſehr!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/17>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.