ein Weib drohen kann. Er sieht nur ihr Erschrecken, daß er's weiß, was geschah, und die Faust fällt nieder auf ihre Stirn. Ein Schrei klingt. Das Kind rollt sich in Krämpfen zusammen. Die Mutter, über es hingestürzt, weint laut. Valentin kommt hereingeeilt. Fritz Net¬ tenmair geht in die Kammer. Er weiß nicht, was in ihm Herr ist, befriedigte Rache, oder Schreck über das, was er gethan. Er sinkt auf's Bett, als hätte der Schlag, den er geführt, ihn selbst betäubt. Er hört nur halb, wie Valentin nach dem Arzt läuft; ebenso hört er diesen kommen und gehn. Ebenso lauscht er, ob er nicht Apollonius' Flüstern und seinen leisen Schritt vernehmen kann. Sich zu zeigen, wagt er nicht; Scham hält ihn davon zurück. Er rechtfertigt sein Thun und nennt Aennchen's Krankheit eine Pim¬ pelei: "Heute wollen Kinder sterben und morgen sind sie lebendiger als je!" Aus dem fieberischen Horchen und sich Beruhigen wird ein fieberisches Träumen. Er sieht Apollonius, wie der seine Leiter an der Helmstange festbinden will, und sagt sich bei jedem Schritt des Steigenden wie tröstend: "Jetzt wird er fallen! jetzt!" aber Apollonius fällt nicht. Jeden Augenblick erwar¬ tet er, die Taue sollen reißen, in welchen Apollonius mit seinem Fahrzeuge hängt; sie reißen nicht. In diese Träume hinein hört er die Thür der Stube gehn; der Traum macht einen Fall daraus, den Fall eines schwe¬ ren Körpers aus ungeheurer Höhe. Da wird ihm
ein Weib drohen kann. Er ſieht nur ihr Erſchrecken, daß er's weiß, was geſchah, und die Fauſt fällt nieder auf ihre Stirn. Ein Schrei klingt. Das Kind rollt ſich in Krämpfen zuſammen. Die Mutter, über es hingeſtürzt, weint laut. Valentin kommt hereingeeilt. Fritz Net¬ tenmair geht in die Kammer. Er weiß nicht, was in ihm Herr iſt, befriedigte Rache, oder Schreck über das, was er gethan. Er ſinkt auf's Bett, als hätte der Schlag, den er geführt, ihn ſelbſt betäubt. Er hört nur halb, wie Valentin nach dem Arzt läuft; ebenſo hört er dieſen kommen und gehn. Ebenſo lauſcht er, ob er nicht Apollonius' Flüſtern und ſeinen leiſen Schritt vernehmen kann. Sich zu zeigen, wagt er nicht; Scham hält ihn davon zurück. Er rechtfertigt ſein Thun und nennt Aennchen's Krankheit eine Pim¬ pelei: „Heute wollen Kinder ſterben und morgen ſind ſie lebendiger als je!“ Aus dem fieberiſchen Horchen und ſich Beruhigen wird ein fieberiſches Träumen. Er ſieht Apollonius, wie der ſeine Leiter an der Helmſtange feſtbinden will, und ſagt ſich bei jedem Schritt des Steigenden wie tröſtend: „Jetzt wird er fallen! jetzt!“ aber Apollonius fällt nicht. Jeden Augenblick erwar¬ tet er, die Taue ſollen reißen, in welchen Apollonius mit ſeinem Fahrzeuge hängt; ſie reißen nicht. In dieſe Träume hinein hört er die Thür der Stube gehn; der Traum macht einen Fall daraus, den Fall eines ſchwe¬ ren Körpers aus ungeheurer Höhe. Da wird ihm
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ein Weib drohen kann. Er ſieht nur ihr Erſchrecken, daß er's
weiß, was geſchah, und die Fauſt fällt nieder auf ihre
Stirn. Ein Schrei klingt. Das Kind rollt ſich in
Krämpfen zuſammen. Die Mutter, über es hingeſtürzt,
weint laut. Valentin kommt hereingeeilt. Fritz Net¬
tenmair geht in die Kammer. Er weiß nicht, was in
ihm Herr iſt, befriedigte Rache, oder Schreck über das,
was er gethan. Er ſinkt auf's Bett, als hätte der
Schlag, den er geführt, ihn ſelbſt betäubt. Er hört
nur halb, wie Valentin nach dem Arzt läuft; ebenſo
hört er dieſen kommen und gehn. Ebenſo lauſcht er,
ob er nicht Apollonius' Flüſtern und ſeinen leiſen
Schritt vernehmen kann. Sich zu zeigen, wagt er
nicht; Scham hält ihn davon zurück. Er rechtfertigt
ſein Thun und nennt Aennchen's Krankheit eine Pim¬
pelei: „Heute wollen Kinder ſterben und morgen ſind
ſie lebendiger als je!“ Aus dem fieberiſchen Horchen
und ſich Beruhigen wird ein fieberiſches Träumen. Er
ſieht Apollonius, wie der ſeine Leiter an der Helmſtange
feſtbinden will, und ſagt ſich bei jedem Schritt des
Steigenden wie tröſtend: „Jetzt wird er fallen! jetzt!“
aber Apollonius fällt nicht. Jeden Augenblick erwar¬
tet er, die Taue ſollen reißen, in welchen Apollonius
mit ſeinem Fahrzeuge hängt; ſie reißen nicht. In dieſe
Träume hinein hört er die Thür der Stube gehn; der
Traum macht einen Fall daraus, den Fall eines ſchwe¬
ren Körpers aus ungeheurer Höhe. Da wird ihm
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/174>, abgerufen am 04.12.2024.
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