Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

als hätt' er seinen Aufenthalt in der Fremde nur ge¬
träumt und könne sich, nun er erwacht, auf den Traum
kaum mehr besinnen. Als hätt' er nur geträumt, er
sei ein Mann geworden in der Fremde. Als sei's ihm
immer schon im Traum gekommen, er träume nur in
der Fremde, um, wenn er daheim erwacht sei, davon
erzählen zu können. Es könnte auffallen, daß er bei
alledem in diesem Augenblicke der Aufregung seines
ganzen Innern den Spinnenfaden nicht übersah, den
die grüßende Luft von der Heimath her gegen seinen
Rockkragen wehte, daß er die Thränen vorsichtig ab¬
trocknete, damit sie nicht auf das Halstuch fallen möchten
und mit der eigensinnigsten Ausdauer erst die letzten,
kleinsten Reste des Silberfadens entfernte, eh' er sich
mit ganzer Seele seinem Heimathsgefühle überließ. Aber
auch sein Hängen an der Heimath war ja zum Theile
nur ein Ausfluß jenes eigensinnigen Sauberkeitsbedürf¬
nisses, das alles Fremde, das ihm anfliegen wollte,
als Verunreinigung ansah; und wiederum entsprang
jenes Bedürfniß aus der Gemüthswärme, mit der er
Alles umfaßte, was in näherem Bezuge zu seiner Per¬
sönlichkeit stand. Das Kleid auf seinem Leibe war ihm
ein Stück Heimath, von dem er alles Fremde abhalten
mußte.

Jetzt machte die Straße eine Wendung; der Berg¬
rücken, der vorhin die Aussicht verengt hatte, blieb zur
Seite liegen, und über jungem Wuchs stieg eine Thurm¬

als hätt' er ſeinen Aufenthalt in der Fremde nur ge¬
träumt und könne ſich, nun er erwacht, auf den Traum
kaum mehr beſinnen. Als hätt' er nur geträumt, er
ſei ein Mann geworden in der Fremde. Als ſei's ihm
immer ſchon im Traum gekommen, er träume nur in
der Fremde, um, wenn er daheim erwacht ſei, davon
erzählen zu können. Es könnte auffallen, daß er bei
alledem in dieſem Augenblicke der Aufregung ſeines
ganzen Innern den Spinnenfaden nicht überſah, den
die grüßende Luft von der Heimath her gegen ſeinen
Rockkragen wehte, daß er die Thränen vorſichtig ab¬
trocknete, damit ſie nicht auf das Halstuch fallen möchten
und mit der eigenſinnigſten Ausdauer erſt die letzten,
kleinſten Reſte des Silberfadens entfernte, eh' er ſich
mit ganzer Seele ſeinem Heimathsgefühle überließ. Aber
auch ſein Hängen an der Heimath war ja zum Theile
nur ein Ausfluß jenes eigenſinnigen Sauberkeitsbedürf¬
niſſes, das alles Fremde, das ihm anfliegen wollte,
als Verunreinigung anſah; und wiederum entſprang
jenes Bedürfniß aus der Gemüthswärme, mit der er
Alles umfaßte, was in näherem Bezuge zu ſeiner Per¬
ſönlichkeit ſtand. Das Kleid auf ſeinem Leibe war ihm
ein Stück Heimath, von dem er alles Fremde abhalten
mußte.

Jetzt machte die Straße eine Wendung; der Berg¬
rücken, der vorhin die Ausſicht verengt hatte, blieb zur
Seite liegen, und über jungem Wuchs ſtieg eine Thurm¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="11"/>
als hätt' er &#x017F;einen Aufenthalt in der Fremde nur ge¬<lb/>
träumt und könne &#x017F;ich, nun er erwacht, auf den Traum<lb/>
kaum mehr be&#x017F;innen. Als hätt' er nur geträumt, er<lb/>
&#x017F;ei ein Mann geworden in der Fremde. Als &#x017F;ei's ihm<lb/>
immer &#x017F;chon im Traum gekommen, er träume nur in<lb/>
der Fremde, um, wenn er daheim erwacht &#x017F;ei, davon<lb/>
erzählen zu können. Es könnte auffallen, daß er bei<lb/>
alledem in die&#x017F;em Augenblicke der Aufregung &#x017F;eines<lb/>
ganzen Innern den Spinnenfaden nicht über&#x017F;ah, den<lb/>
die grüßende Luft von der Heimath her gegen &#x017F;einen<lb/>
Rockkragen wehte, daß er die Thränen vor&#x017F;ichtig ab¬<lb/>
trocknete, damit &#x017F;ie nicht auf das Halstuch fallen möchten<lb/>
und mit der eigen&#x017F;innig&#x017F;ten Ausdauer er&#x017F;t die letzten,<lb/>
klein&#x017F;ten Re&#x017F;te des Silberfadens entfernte, eh' er &#x017F;ich<lb/>
mit ganzer Seele &#x017F;einem Heimathsgefühle überließ. Aber<lb/>
auch &#x017F;ein Hängen an der Heimath war ja zum Theile<lb/>
nur ein Ausfluß jenes eigen&#x017F;innigen Sauberkeitsbedürf¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;es, das alles Fremde, das ihm anfliegen wollte,<lb/>
als Verunreinigung an&#x017F;ah; und wiederum ent&#x017F;prang<lb/>
jenes Bedürfniß aus der Gemüthswärme, mit der er<lb/>
Alles umfaßte, was in näherem Bezuge zu &#x017F;einer Per¬<lb/>
&#x017F;önlichkeit &#x017F;tand. Das Kleid auf &#x017F;einem Leibe war ihm<lb/>
ein Stück Heimath, von dem er alles Fremde abhalten<lb/>
mußte.</p><lb/>
        <p>Jetzt machte die Straße eine Wendung; der Berg¬<lb/>
rücken, der vorhin die Aus&#x017F;icht verengt hatte, blieb zur<lb/>
Seite liegen, und über jungem Wuchs &#x017F;tieg eine Thurm¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0020] als hätt' er ſeinen Aufenthalt in der Fremde nur ge¬ träumt und könne ſich, nun er erwacht, auf den Traum kaum mehr beſinnen. Als hätt' er nur geträumt, er ſei ein Mann geworden in der Fremde. Als ſei's ihm immer ſchon im Traum gekommen, er träume nur in der Fremde, um, wenn er daheim erwacht ſei, davon erzählen zu können. Es könnte auffallen, daß er bei alledem in dieſem Augenblicke der Aufregung ſeines ganzen Innern den Spinnenfaden nicht überſah, den die grüßende Luft von der Heimath her gegen ſeinen Rockkragen wehte, daß er die Thränen vorſichtig ab¬ trocknete, damit ſie nicht auf das Halstuch fallen möchten und mit der eigenſinnigſten Ausdauer erſt die letzten, kleinſten Reſte des Silberfadens entfernte, eh' er ſich mit ganzer Seele ſeinem Heimathsgefühle überließ. Aber auch ſein Hängen an der Heimath war ja zum Theile nur ein Ausfluß jenes eigenſinnigen Sauberkeitsbedürf¬ niſſes, das alles Fremde, das ihm anfliegen wollte, als Verunreinigung anſah; und wiederum entſprang jenes Bedürfniß aus der Gemüthswärme, mit der er Alles umfaßte, was in näherem Bezuge zu ſeiner Per¬ ſönlichkeit ſtand. Das Kleid auf ſeinem Leibe war ihm ein Stück Heimath, von dem er alles Fremde abhalten mußte. Jetzt machte die Straße eine Wendung; der Berg¬ rücken, der vorhin die Ausſicht verengt hatte, blieb zur Seite liegen, und über jungem Wuchs ſtieg eine Thurm¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/20
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/20>, abgerufen am 21.11.2024.