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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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höchsten Kante des Berges ihm die ganze Heimaths¬
stadt vor seinen Füßen liegend zeigte.

Wieder blieb er steh'n. Dort stand das Vaterhaus,
dahinter der Schieferschuppen; in derselben Vorstadt,
nicht zu weit davon, das Haus, wo sie -- gewohnt
hatte damals, als er in die Fremde ging. Jetzt wohnte
sie in seinem Vaterhaus, war seines Vaters Tochter,
seines Bruders Weib und er sollte von heut' an in
demselben Hause leben und sie täglich sehen als seine
Schwägerin. Sein Herz schlug stärker bei dem Gedanken
an sie. Aber keine von den Hoffnungen, die sich ihm
sonst an ihr Andenken geknüpft, ließ es schwellen. Seine
Neigung war die eines Bruders zur Schwester geworden
und was ihn jetzt bewegte, sah mehr einer Sorge gleich.
Er wußte, sie dachte mit Widerwillen an ihn. Sie
war die Einzige im ganzen Vaterhause, die ungern
sein Kommen sah. Wie war das Alles geworden?
War nicht eine Zeit gewesen, wo sie ihm gut zu sein
schien? Wo sie ihm so gern zu begegnen schien, als
später beflissen, ihm auszuweichen? Da unten vor der
Stadt in Gärten liegt das Schützenhaus. Wie sind
die Bäume um das Haus größer geworden, seit er von
dieser Höhe herab auch ihm den letzten Gruß zugewinkt
hatte! Dort unter jener Akazie hatte er kurz vorher
gestanden -- es war an einem schönen Frühlingsabend
gewesen, ihm war er der schönste erschienen, den er
erlebt -- am Pfingstschießen. Drinn tanzte das übrige

höchſten Kante des Berges ihm die ganze Heimaths¬
ſtadt vor ſeinen Füßen liegend zeigte.

Wieder blieb er ſteh'n. Dort ſtand das Vaterhaus,
dahinter der Schieferſchuppen; in derſelben Vorſtadt,
nicht zu weit davon, das Haus, wo ſie — gewohnt
hatte damals, als er in die Fremde ging. Jetzt wohnte
ſie in ſeinem Vaterhaus, war ſeines Vaters Tochter,
ſeines Bruders Weib und er ſollte von heut' an in
demſelben Hauſe leben und ſie täglich ſehen als ſeine
Schwägerin. Sein Herz ſchlug ſtärker bei dem Gedanken
an ſie. Aber keine von den Hoffnungen, die ſich ihm
ſonſt an ihr Andenken geknüpft, ließ es ſchwellen. Seine
Neigung war die eines Bruders zur Schweſter geworden
und was ihn jetzt bewegte, ſah mehr einer Sorge gleich.
Er wußte, ſie dachte mit Widerwillen an ihn. Sie
war die Einzige im ganzen Vaterhauſe, die ungern
ſein Kommen ſah. Wie war das Alles geworden?
War nicht eine Zeit geweſen, wo ſie ihm gut zu ſein
ſchien? Wo ſie ihm ſo gern zu begegnen ſchien, als
ſpäter befliſſen, ihm auszuweichen? Da unten vor der
Stadt in Gärten liegt das Schützenhaus. Wie ſind
die Bäume um das Haus größer geworden, ſeit er von
dieſer Höhe herab auch ihm den letzten Gruß zugewinkt
hatte! Dort unter jener Akazie hatte er kurz vorher
geſtanden — es war an einem ſchönen Frühlingsabend
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erlebt — am Pfingſtſchießen. Drinn tanzte das übrige

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[13/0022] höchſten Kante des Berges ihm die ganze Heimaths¬ ſtadt vor ſeinen Füßen liegend zeigte. Wieder blieb er ſteh'n. Dort ſtand das Vaterhaus, dahinter der Schieferſchuppen; in derſelben Vorſtadt, nicht zu weit davon, das Haus, wo ſie — gewohnt hatte damals, als er in die Fremde ging. Jetzt wohnte ſie in ſeinem Vaterhaus, war ſeines Vaters Tochter, ſeines Bruders Weib und er ſollte von heut' an in demſelben Hauſe leben und ſie täglich ſehen als ſeine Schwägerin. Sein Herz ſchlug ſtärker bei dem Gedanken an ſie. Aber keine von den Hoffnungen, die ſich ihm ſonſt an ihr Andenken geknüpft, ließ es ſchwellen. Seine Neigung war die eines Bruders zur Schweſter geworden und was ihn jetzt bewegte, ſah mehr einer Sorge gleich. Er wußte, ſie dachte mit Widerwillen an ihn. Sie war die Einzige im ganzen Vaterhauſe, die ungern ſein Kommen ſah. Wie war das Alles geworden? War nicht eine Zeit geweſen, wo ſie ihm gut zu ſein ſchien? Wo ſie ihm ſo gern zu begegnen ſchien, als ſpäter befliſſen, ihm auszuweichen? Da unten vor der Stadt in Gärten liegt das Schützenhaus. Wie ſind die Bäume um das Haus größer geworden, ſeit er von dieſer Höhe herab auch ihm den letzten Gruß zugewinkt hatte! Dort unter jener Akazie hatte er kurz vorher geſtanden — es war an einem ſchönen Frühlingsabend geweſen, ihm war er der ſchönſte erſchienen, den er erlebt — am Pfingſtſchießen. Drinn tanzte das übrige

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/22>, abgerufen am 23.11.2024.