dann voll Angst. Nichts klingt herauf. Vor ihm auf den Bretern des Gerüstes röchelt ein schwerer Athem. Er hört, der Zufall, der ihm mitleidig helfend vorgreifen konnte, hat es nicht gethan. Er muß es thun, denn gethan muß es sein. Sonst zeigen die Menschen mit den Fingern auf die Kinder: Die sind's, deren Vater seinen Bruder erschlug und auf dem Hoch¬ gericht oder im Zuchthause starb. Und wo es längst vergessen ist, da dürfen sie sich nur zeigen, da wird es wieder wach; da deuten die Menschen wieder mit den Fingern und wenden mit Schaudern von ihnen sich ab. Das Vertrau'n, das er von den Aeltern erbt, ist das Kapital, womit der Mensch anfängt. Es muß ihm erwiesen werden, eh er's hat verdienen können, da¬ mit er lernt, Vertrauen zu verdienen. Wer wird ih¬ nen Vertrauen erweisen, die mit ihres Vaters Schande gezeichnet gehn? Wie sollen sie Vertrauen verdienen lernen? Mitten unter den Menschen von den Menschen ausgestoßen, müssen sie nicht werden, wie ihr Vater war? Und sein eigenes langes Leben voll Anstrengung, Ehre zu erwerben und zu bewahren, wird rückwärts angesteckt von des Sohnes Schmach. Die Kinder hält man für fähig zu thun, wie der Vater that, und es kann kein ehrlicher Vater gewesen sein, der solchen Sohn hatte! -- Die Röthe glühte immer brennender auf der eingefallenen Wange; die zusammengesunkene Brust richtete sich keuchend empor. Er machte unwill¬
dann voll Angſt. Nichts klingt herauf. Vor ihm auf den Bretern des Gerüſtes röchelt ein ſchwerer Athem. Er hört, der Zufall, der ihm mitleidig helfend vorgreifen konnte, hat es nicht gethan. Er muß es thun, denn gethan muß es ſein. Sonſt zeigen die Menſchen mit den Fingern auf die Kinder: Die ſind's, deren Vater ſeinen Bruder erſchlug und auf dem Hoch¬ gericht oder im Zuchthauſe ſtarb. Und wo es längſt vergeſſen iſt, da dürfen ſie ſich nur zeigen, da wird es wieder wach; da deuten die Menſchen wieder mit den Fingern und wenden mit Schaudern von ihnen ſich ab. Das Vertrau'n, das er von den Aeltern erbt, iſt das Kapital, womit der Menſch anfängt. Es muß ihm erwieſen werden, eh er's hat verdienen können, da¬ mit er lernt, Vertrauen zu verdienen. Wer wird ih¬ nen Vertrauen erweiſen, die mit ihres Vaters Schande gezeichnet gehn? Wie ſollen ſie Vertrauen verdienen lernen? Mitten unter den Menſchen von den Menſchen ausgeſtoßen, müſſen ſie nicht werden, wie ihr Vater war? Und ſein eigenes langes Leben voll Anſtrengung, Ehre zu erwerben und zu bewahren, wird rückwärts angeſteckt von des Sohnes Schmach. Die Kinder hält man für fähig zu thun, wie der Vater that, und es kann kein ehrlicher Vater geweſen ſein, der ſolchen Sohn hatte! — Die Röthe glühte immer brennender auf der eingefallenen Wange; die zuſammengeſunkene Bruſt richtete ſich keuchend empor. Er machte unwill¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0223"n="214"/>
dann voll Angſt. Nichts klingt herauf. Vor ihm<lb/>
auf den Bretern des Gerüſtes röchelt ein ſchwerer<lb/>
Athem. Er hört, der Zufall, der ihm mitleidig helfend<lb/>
vorgreifen konnte, hat es nicht gethan. Er muß es<lb/>
thun, denn gethan muß es ſein. Sonſt zeigen die<lb/>
Menſchen mit den Fingern auf die Kinder: Die ſind's,<lb/>
deren Vater ſeinen Bruder erſchlug und auf dem Hoch¬<lb/>
gericht oder im Zuchthauſe ſtarb. Und wo es längſt<lb/>
vergeſſen iſt, da dürfen ſie ſich nur zeigen, da wird<lb/>
es wieder wach; da deuten die Menſchen wieder mit<lb/>
den Fingern und wenden mit Schaudern von ihnen<lb/>ſich ab. Das Vertrau'n, das er von den Aeltern erbt,<lb/>
iſt das Kapital, womit der Menſch anfängt. Es muß<lb/>
ihm erwieſen werden, eh er's hat verdienen können, da¬<lb/>
mit er lernt, Vertrauen zu verdienen. Wer wird ih¬<lb/>
nen Vertrauen erweiſen, die mit ihres Vaters Schande<lb/>
gezeichnet gehn? Wie ſollen ſie Vertrauen verdienen<lb/>
lernen? Mitten unter den Menſchen von den Menſchen<lb/>
ausgeſtoßen, müſſen ſie nicht werden, wie ihr Vater<lb/>
war? Und ſein eigenes langes Leben voll Anſtrengung,<lb/>
Ehre zu erwerben und zu bewahren, wird rückwärts<lb/>
angeſteckt von des Sohnes Schmach. Die Kinder<lb/>
hält man für fähig zu thun, wie der Vater that, und<lb/>
es kann kein ehrlicher Vater geweſen ſein, der ſolchen<lb/>
Sohn hatte! — Die Röthe glühte immer brennender<lb/>
auf der eingefallenen Wange; die zuſammengeſunkene<lb/>
Bruſt richtete ſich keuchend empor. Er machte unwill¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[214/0223]
dann voll Angſt. Nichts klingt herauf. Vor ihm
auf den Bretern des Gerüſtes röchelt ein ſchwerer
Athem. Er hört, der Zufall, der ihm mitleidig helfend
vorgreifen konnte, hat es nicht gethan. Er muß es
thun, denn gethan muß es ſein. Sonſt zeigen die
Menſchen mit den Fingern auf die Kinder: Die ſind's,
deren Vater ſeinen Bruder erſchlug und auf dem Hoch¬
gericht oder im Zuchthauſe ſtarb. Und wo es längſt
vergeſſen iſt, da dürfen ſie ſich nur zeigen, da wird
es wieder wach; da deuten die Menſchen wieder mit
den Fingern und wenden mit Schaudern von ihnen
ſich ab. Das Vertrau'n, das er von den Aeltern erbt,
iſt das Kapital, womit der Menſch anfängt. Es muß
ihm erwieſen werden, eh er's hat verdienen können, da¬
mit er lernt, Vertrauen zu verdienen. Wer wird ih¬
nen Vertrauen erweiſen, die mit ihres Vaters Schande
gezeichnet gehn? Wie ſollen ſie Vertrauen verdienen
lernen? Mitten unter den Menſchen von den Menſchen
ausgeſtoßen, müſſen ſie nicht werden, wie ihr Vater
war? Und ſein eigenes langes Leben voll Anſtrengung,
Ehre zu erwerben und zu bewahren, wird rückwärts
angeſteckt von des Sohnes Schmach. Die Kinder
hält man für fähig zu thun, wie der Vater that, und
es kann kein ehrlicher Vater geweſen ſein, der ſolchen
Sohn hatte! — Die Röthe glühte immer brennender
auf der eingefallenen Wange; die zuſammengeſunkene
Bruſt richtete ſich keuchend empor. Er machte unwill¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/223>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.