Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

leiser Lufthauch auf den Flügeln war; und solche Masse
zu zerstreu'n und fortzuschieben, hätte es einer Winds¬
braut bedurft.

Es schlug Zwölf vom Sankt Georgenthurm. Der
letzte Schlag schien nicht verhallen zu können. Aber
das tiefe, dröhnende Summen, das so lang anhielt,
war nicht mehr der verhallende Glockenton. Denn
nun begann es zu wachsen; wie auf tausend Flügeln
kam es gerauscht und geschwollen und stieß zornig
gegen die Häuser, die es aufhalten wollten, und fuhr
pfeifend und schrillend durch jede Oeffnung, die es
traf; polterte im Hause umher, bis es eine andere
Oeffnung zum Wiederherausfahren fand; riß Laden los
und warf sie grimmig zu: quetschte sich stöhnend
zwischen nahstehenden Mauern hindurch; pfiff wüthend
um die Straßenecken; zerlief in tausend Bäche; suchte
sich und schlug klatschend wieder zusammen in Einen
reißenden Strom; fuhr vor grimmiger Lust herab und
hinauf; rüttelte an allem Festen; trillte mit wildspielen¬
dem Finger die verrosteten Wetterhähne und Fahnen,
und lachte schrillend in ihr Geächze; blies den Schnee
von einem Dach auf's andere, fegte ihn von der
Straße, jagte ihn an steilen Mauern hinauf, daß er
vor Angst in alle Fensterritzen kroch, und wirbelte
ganze tanzende Riesentannen aus Schnee geformt auf
seinen Händen vor sich her.

leiſer Lufthauch auf den Flügeln war; und ſolche Maſſe
zu zerſtreu'n und fortzuſchieben, hätte es einer Winds¬
braut bedurft.

Es ſchlug Zwölf vom Sankt Georgenthurm. Der
letzte Schlag ſchien nicht verhallen zu können. Aber
das tiefe, dröhnende Summen, das ſo lang anhielt,
war nicht mehr der verhallende Glockenton. Denn
nun begann es zu wachſen; wie auf tauſend Flügeln
kam es gerauſcht und geſchwollen und ſtieß zornig
gegen die Häuſer, die es aufhalten wollten, und fuhr
pfeifend und ſchrillend durch jede Oeffnung, die es
traf; polterte im Hauſe umher, bis es eine andere
Oeffnung zum Wiederherausfahren fand; riß Laden los
und warf ſie grimmig zu: quetſchte ſich ſtöhnend
zwiſchen nahſtehenden Mauern hindurch; pfiff wüthend
um die Straßenecken; zerlief in tauſend Bäche; ſuchte
ſich und ſchlug klatſchend wieder zuſammen in Einen
reißenden Strom; fuhr vor grimmiger Luſt herab und
hinauf; rüttelte an allem Feſten; trillte mit wildſpielen¬
dem Finger die verroſteten Wetterhähne und Fahnen,
und lachte ſchrillend in ihr Geächze; blies den Schnee
von einem Dach auf's andere, fegte ihn von der
Straße, jagte ihn an ſteilen Mauern hinauf, daß er
vor Angſt in alle Fenſterritzen kroch, und wirbelte
ganze tanzende Rieſentannen aus Schnee geformt auf
ſeinen Händen vor ſich her.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0296" n="287"/>
lei&#x017F;er Lufthauch auf den Flügeln war; und &#x017F;olche Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zu zer&#x017F;treu'n und fortzu&#x017F;chieben, hätte es einer Winds¬<lb/>
braut bedurft.</p><lb/>
        <p>Es &#x017F;chlug Zwölf vom Sankt Georgenthurm. Der<lb/>
letzte Schlag &#x017F;chien nicht verhallen zu können. Aber<lb/>
das tiefe, dröhnende Summen, das &#x017F;o lang anhielt,<lb/>
war nicht mehr der verhallende Glockenton. Denn<lb/>
nun begann es zu wach&#x017F;en; wie auf tau&#x017F;end Flügeln<lb/>
kam es gerau&#x017F;cht und ge&#x017F;chwollen und &#x017F;tieß zornig<lb/>
gegen die Häu&#x017F;er, die es aufhalten wollten, und fuhr<lb/>
pfeifend und &#x017F;chrillend durch jede Oeffnung, die es<lb/>
traf; polterte im Hau&#x017F;e umher, bis es eine andere<lb/>
Oeffnung zum Wiederherausfahren fand; riß Laden los<lb/>
und warf &#x017F;ie grimmig zu: quet&#x017F;chte &#x017F;ich &#x017F;töhnend<lb/>
zwi&#x017F;chen nah&#x017F;tehenden Mauern hindurch; pfiff wüthend<lb/>
um die Straßenecken; zerlief in tau&#x017F;end Bäche; &#x017F;uchte<lb/>
&#x017F;ich und &#x017F;chlug klat&#x017F;chend wieder zu&#x017F;ammen in Einen<lb/>
reißenden Strom; fuhr vor grimmiger Lu&#x017F;t herab und<lb/>
hinauf; rüttelte an allem Fe&#x017F;ten; trillte mit wild&#x017F;pielen¬<lb/>
dem Finger die verro&#x017F;teten Wetterhähne und Fahnen,<lb/>
und lachte &#x017F;chrillend in ihr Geächze; blies den Schnee<lb/>
von einem Dach auf's andere, fegte ihn von der<lb/>
Straße, jagte ihn an &#x017F;teilen Mauern hinauf, daß er<lb/>
vor Ang&#x017F;t in alle Fen&#x017F;territzen kroch, und wirbelte<lb/>
ganze tanzende Rie&#x017F;entannen aus Schnee geformt auf<lb/>
&#x017F;einen Händen vor &#x017F;ich her.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0296] leiſer Lufthauch auf den Flügeln war; und ſolche Maſſe zu zerſtreu'n und fortzuſchieben, hätte es einer Winds¬ braut bedurft. Es ſchlug Zwölf vom Sankt Georgenthurm. Der letzte Schlag ſchien nicht verhallen zu können. Aber das tiefe, dröhnende Summen, das ſo lang anhielt, war nicht mehr der verhallende Glockenton. Denn nun begann es zu wachſen; wie auf tauſend Flügeln kam es gerauſcht und geſchwollen und ſtieß zornig gegen die Häuſer, die es aufhalten wollten, und fuhr pfeifend und ſchrillend durch jede Oeffnung, die es traf; polterte im Hauſe umher, bis es eine andere Oeffnung zum Wiederherausfahren fand; riß Laden los und warf ſie grimmig zu: quetſchte ſich ſtöhnend zwiſchen nahſtehenden Mauern hindurch; pfiff wüthend um die Straßenecken; zerlief in tauſend Bäche; ſuchte ſich und ſchlug klatſchend wieder zuſammen in Einen reißenden Strom; fuhr vor grimmiger Luſt herab und hinauf; rüttelte an allem Feſten; trillte mit wildſpielen¬ dem Finger die verroſteten Wetterhähne und Fahnen, und lachte ſchrillend in ihr Geächze; blies den Schnee von einem Dach auf's andere, fegte ihn von der Straße, jagte ihn an ſteilen Mauern hinauf, daß er vor Angſt in alle Fenſterritzen kroch, und wirbelte ganze tanzende Rieſentannen aus Schnee geformt auf ſeinen Händen vor ſich her.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/296
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/296>, abgerufen am 18.12.2024.