hat er nicht geholfen, dann unbarmherzig nachrechnen, was er gethan, und was er nicht gethan. Die Andern sind froh, täuschen sie sich nur über den nächsten Augenblick hinweg. "Was soll er?" rief Einer. ""Helfen! Retten!"" Andere. "Und wenn er Flügel hätte, in dem Sturm wagt's Keiner." ""Der Netten¬ mair gewiß!"" Im tiefsten Herzen wußten auch die Vertrauendsten, er wird's nicht wagen. Der Gedanke, daß die Flamme noch gelöscht werden konnte, wenn sie nur zugänglich war, machte die allgemeine Empfin¬ dung peinlicher, da er die stumpfe Ergebung hinderte, wozu die unausweichliche Noth mit milder Härte zwingt. Als die Ausfahrthür sich öffnete und die herausgehaltene Leiter sichtbar wurde, als es schien, es wagt' es dennoch einer, wirkte das so erschreckend, als der Einschlag selbst. Und die Leiter hing und schaukelte hoch oben mit dem Manne, der daran hinaufklomm, von Schnee umwirbelt, von Blitzen umzuckt; die Leiter hinauf, die wie aus einem Span geschnitten schien, und wie eine Glocke mit ihm schaukelte, in der ent¬ setzlichen Höhe. Jeder Athem stockte. Aus Hunderten der verschiedensten Gesichter starrte derselbe Ausdruck nach dem Manne hinauf. Keiner glaubte an das Wagniß, und sie sahen den Wagenden doch. Es war wie Etwas, das ein Traum wäre und doch Wirklich¬ keit zugleich. Keiner glaubte es, und doch stand jeder Einzelne selbst auf der Leiter, und unter ihm schaukelte
hat er nicht geholfen, dann unbarmherzig nachrechnen, was er gethan, und was er nicht gethan. Die Andern ſind froh, täuſchen ſie ſich nur über den nächſten Augenblick hinweg. „Was ſoll er?“ rief Einer. „„Helfen! Retten!““ Andere. „Und wenn er Flügel hätte, in dem Sturm wagt's Keiner.“ „„Der Netten¬ mair gewiß!““ Im tiefſten Herzen wußten auch die Vertrauendſten, er wird's nicht wagen. Der Gedanke, daß die Flamme noch gelöſcht werden konnte, wenn ſie nur zugänglich war, machte die allgemeine Empfin¬ dung peinlicher, da er die ſtumpfe Ergebung hinderte, wozu die unausweichliche Noth mit milder Härte zwingt. Als die Ausfahrthür ſich öffnete und die herausgehaltene Leiter ſichtbar wurde, als es ſchien, es wagt' es dennoch einer, wirkte das ſo erſchreckend, als der Einſchlag ſelbſt. Und die Leiter hing und ſchaukelte hoch oben mit dem Manne, der daran hinaufklomm, von Schnee umwirbelt, von Blitzen umzuckt; die Leiter hinauf, die wie aus einem Span geſchnitten ſchien, und wie eine Glocke mit ihm ſchaukelte, in der ent¬ ſetzlichen Höhe. Jeder Athem ſtockte. Aus Hunderten der verſchiedenſten Geſichter ſtarrte derſelbe Ausdruck nach dem Manne hinauf. Keiner glaubte an das Wagniß, und ſie ſahen den Wagenden doch. Es war wie Etwas, das ein Traum wäre und doch Wirklich¬ keit zugleich. Keiner glaubte es, und doch ſtand jeder Einzelne ſelbſt auf der Leiter, und unter ihm ſchaukelte
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hat er nicht geholfen, dann unbarmherzig nachrechnen,
was er gethan, und was er nicht gethan. Die Andern
ſind froh, täuſchen ſie ſich nur über den nächſten
Augenblick hinweg. „Was ſoll er?“ rief Einer.
„„Helfen! Retten!““ Andere. „Und wenn er Flügel
hätte, in dem Sturm wagt's Keiner.“ „„Der Netten¬
mair gewiß!““ Im tiefſten Herzen wußten auch die
Vertrauendſten, er wird's nicht wagen. Der Gedanke,
daß die Flamme noch gelöſcht werden konnte, wenn
ſie nur zugänglich war, machte die allgemeine Empfin¬
dung peinlicher, da er die ſtumpfe Ergebung hinderte,
wozu die unausweichliche Noth mit milder Härte
zwingt. Als die Ausfahrthür ſich öffnete und die
herausgehaltene Leiter ſichtbar wurde, als es ſchien, es
wagt' es dennoch einer, wirkte das ſo erſchreckend, als
der Einſchlag ſelbſt. Und die Leiter hing und ſchaukelte
hoch oben mit dem Manne, der daran hinaufklomm,
von Schnee umwirbelt, von Blitzen umzuckt; die Leiter
hinauf, die wie aus einem Span geſchnitten ſchien,
und wie eine Glocke mit ihm ſchaukelte, in der ent¬
ſetzlichen Höhe. Jeder Athem ſtockte. Aus Hunderten
der verſchiedenſten Geſichter ſtarrte derſelbe Ausdruck
nach dem Manne hinauf. Keiner glaubte an das
Wagniß, und ſie ſahen den Wagenden doch. Es war
wie Etwas, das ein Traum wäre und doch Wirklich¬
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Einzelne ſelbſt auf der Leiter, und unter ihm ſchaukelte
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/313>, abgerufen am 21.11.2024.
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