Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein späterer Brief, den er vom Bruder erhielt, mel¬
dete ihm, der alte Walther, der des Mädchens Neigung
entdeckt und der alte Herr im blauen Rocke waren
übereingekommen, der Bruder solle das Mädchen hei¬
rathen. Des alten Herrn Soll war ein Muß, das
wußte unser Held so gut als der Bruder. Des Mäd¬
chens Neigung hatte den Bruder gerührt; sie war schön
und brav; sollte er sich dem Willen des Vaters ent¬
gegensetzen um des Helden willen, um einer Liebe willen,
die ohne Hoffnung war? Der Zustimmung des Helden
im Voraus gewiß, hatte er sich in die Schickung des
Himmels ergeben. Die ganze erste Hälfte des folgenden
Briefes, in welchem er seine Heirath meldete, klang die
fromme Stimmung nach. Nach vielen herzlichen Trostes¬
worten kam die Entschuldigung oder vielmehr Recht¬
fertigung, warum der Bruder zwischen diesem und dem
vorigen Briefe zwei Jahr lang nicht geschrieben. Darauf
eine Beschreibung seines häuslichen Glückes; ein Mäd¬
chen und einen Knaben hatte ihm sein junges Weib
geboren, das noch mit der ganzen Glut ihrer Mädchen¬
liebe an ihm hing. Der Vater war unterdeß' von einem
Augenübel befallen und immer unfähiger geworden, das
Geschäft nach seiner souveränen Weise allein zu leiten.
Das hatte ihn noch immer wunderlicher gemacht. Wenn
er eine Zeitlang die Zügel ganz den Händen des Sohnes
überlassen müssen, dann hatte ihn das alte Bedürfniß
zu herrschen, durch die Langeweile der gezwungenen

Ein ſpäterer Brief, den er vom Bruder erhielt, mel¬
dete ihm, der alte Walther, der des Mädchens Neigung
entdeckt und der alte Herr im blauen Rocke waren
übereingekommen, der Bruder ſolle das Mädchen hei¬
rathen. Des alten Herrn Soll war ein Muß, das
wußte unſer Held ſo gut als der Bruder. Des Mäd¬
chens Neigung hatte den Bruder gerührt; ſie war ſchön
und brav; ſollte er ſich dem Willen des Vaters ent¬
gegenſetzen um des Helden willen, um einer Liebe willen,
die ohne Hoffnung war? Der Zuſtimmung des Helden
im Voraus gewiß, hatte er ſich in die Schickung des
Himmels ergeben. Die ganze erſte Hälfte des folgenden
Briefes, in welchem er ſeine Heirath meldete, klang die
fromme Stimmung nach. Nach vielen herzlichen Troſtes¬
worten kam die Entſchuldigung oder vielmehr Recht¬
fertigung, warum der Bruder zwiſchen dieſem und dem
vorigen Briefe zwei Jahr lang nicht geſchrieben. Darauf
eine Beſchreibung ſeines häuslichen Glückes; ein Mäd¬
chen und einen Knaben hatte ihm ſein junges Weib
geboren, das noch mit der ganzen Glut ihrer Mädchen¬
liebe an ihm hing. Der Vater war unterdeß' von einem
Augenübel befallen und immer unfähiger geworden, das
Geſchäft nach ſeiner ſouveränen Weiſe allein zu leiten.
Das hatte ihn noch immer wunderlicher gemacht. Wenn
er eine Zeitlang die Zügel ganz den Händen des Sohnes
überlaſſen müſſen, dann hatte ihn das alte Bedürfniß
zu herrſchen, durch die Langeweile der gezwungenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0038" n="29"/>
        <p>Ein &#x017F;päterer Brief, den er vom Bruder erhielt, mel¬<lb/>
dete ihm, der alte Walther, der des Mädchens Neigung<lb/>
entdeckt und der alte Herr im blauen Rocke waren<lb/>
übereingekommen, der Bruder &#x017F;olle das Mädchen hei¬<lb/>
rathen. Des alten Herrn Soll war ein Muß, das<lb/>
wußte un&#x017F;er Held &#x017F;o gut als der Bruder. Des Mäd¬<lb/>
chens Neigung hatte den Bruder gerührt; &#x017F;ie war &#x017F;chön<lb/>
und brav; &#x017F;ollte er &#x017F;ich dem Willen des Vaters ent¬<lb/>
gegen&#x017F;etzen um des Helden willen, um einer Liebe willen,<lb/>
die ohne Hoffnung war? Der Zu&#x017F;timmung des Helden<lb/>
im Voraus gewiß, hatte er &#x017F;ich in die Schickung des<lb/>
Himmels ergeben. Die ganze er&#x017F;te Hälfte des folgenden<lb/>
Briefes, in welchem er &#x017F;eine Heirath meldete, klang die<lb/>
fromme Stimmung nach. Nach vielen herzlichen Tro&#x017F;tes¬<lb/>
worten kam die Ent&#x017F;chuldigung oder vielmehr Recht¬<lb/>
fertigung, warum der Bruder zwi&#x017F;chen die&#x017F;em und dem<lb/>
vorigen Briefe zwei Jahr lang nicht ge&#x017F;chrieben. Darauf<lb/>
eine Be&#x017F;chreibung &#x017F;eines häuslichen Glückes; ein Mäd¬<lb/>
chen und einen Knaben hatte ihm &#x017F;ein junges Weib<lb/>
geboren, das noch mit der ganzen Glut ihrer Mädchen¬<lb/>
liebe an ihm hing. Der Vater war unterdeß' von einem<lb/>
Augenübel befallen und immer unfähiger geworden, das<lb/>
Ge&#x017F;chäft nach &#x017F;einer &#x017F;ouveränen Wei&#x017F;e allein zu leiten.<lb/>
Das hatte ihn noch immer wunderlicher gemacht. Wenn<lb/>
er eine Zeitlang die Zügel ganz den Händen des Sohnes<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en, dann hatte ihn das alte Bedürfniß<lb/>
zu herr&#x017F;chen, durch die Langeweile der gezwungenen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0038] Ein ſpäterer Brief, den er vom Bruder erhielt, mel¬ dete ihm, der alte Walther, der des Mädchens Neigung entdeckt und der alte Herr im blauen Rocke waren übereingekommen, der Bruder ſolle das Mädchen hei¬ rathen. Des alten Herrn Soll war ein Muß, das wußte unſer Held ſo gut als der Bruder. Des Mäd¬ chens Neigung hatte den Bruder gerührt; ſie war ſchön und brav; ſollte er ſich dem Willen des Vaters ent¬ gegenſetzen um des Helden willen, um einer Liebe willen, die ohne Hoffnung war? Der Zuſtimmung des Helden im Voraus gewiß, hatte er ſich in die Schickung des Himmels ergeben. Die ganze erſte Hälfte des folgenden Briefes, in welchem er ſeine Heirath meldete, klang die fromme Stimmung nach. Nach vielen herzlichen Troſtes¬ worten kam die Entſchuldigung oder vielmehr Recht¬ fertigung, warum der Bruder zwiſchen dieſem und dem vorigen Briefe zwei Jahr lang nicht geſchrieben. Darauf eine Beſchreibung ſeines häuslichen Glückes; ein Mäd¬ chen und einen Knaben hatte ihm ſein junges Weib geboren, das noch mit der ganzen Glut ihrer Mädchen¬ liebe an ihm hing. Der Vater war unterdeß' von einem Augenübel befallen und immer unfähiger geworden, das Geſchäft nach ſeiner ſouveränen Weiſe allein zu leiten. Das hatte ihn noch immer wunderlicher gemacht. Wenn er eine Zeitlang die Zügel ganz den Händen des Sohnes überlaſſen müſſen, dann hatte ihn das alte Bedürfniß zu herrſchen, durch die Langeweile der gezwungenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/38
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/38>, abgerufen am 21.11.2024.