Hinten am Ende des Ganges, neben der Thür des Schuppens, sitzt auf einem Haufen Schieferplatten ein ungemüthlicher Gesell in Hemdärmeln. Der Ausdruck seines Gesichtes wechselt ohne sichtbaren äußeren Anlaß zwischen widerwärtiger Zuthulichkeit und tückischem Trotz. Er kramt, scheint es, unter seinen Gesichtern, wie ein Mädchen in ihrem Schmuck. Er hält beide bereit, um das rechte gleich bei der Hand zu haben. Er weiß noch nicht, welches er brauchen wird.
Vorn durch den Spalt der wenig geöffneten Haus¬ thüre lauscht das Dienstmädchen. Aber keine ihrer Be¬ kannten geht vorbei. Bald wird sie auf einen Vorwand sinnen, die erste beste vorüberwandelnde Gestalt anzu¬ halten, nur um wie gelegentlich anzubringen, das Haus erwarte heut' seinen jüngern Sohn aus der Fremde zurück. Einstweilen sagt sie es dem alten Hunde, der, bemüht, die verschiedenen Gruppen durch sein Ab- und Zugehen in Verbindung zu erhalten, eben bei ihr an¬ gekommen ist. Und sogleich wendet er sich nach dem Hofe zurück, wie um weiter zu sagen, was er vernom¬ men. Der alte Hund ist von der Unruhe der Menschen angesteckt. Ist doch jetzt die Stunde, die er an andern Tagen vor seiner Hütte schlafend verbringt.
Die alte Gewohnheit scheint ihn zu mahnen, als er an seiner Hütte vorbei laufen will. Er legt sich daneben. Aber er schließt die Augen nicht. Er scheint in tiefe Gedanken versunken. Denkt er sich die weite
Hinten am Ende des Ganges, neben der Thür des Schuppens, ſitzt auf einem Haufen Schieferplatten ein ungemüthlicher Geſell in Hemdärmeln. Der Ausdruck ſeines Geſichtes wechſelt ohne ſichtbaren äußeren Anlaß zwiſchen widerwärtiger Zuthulichkeit und tückiſchem Trotz. Er kramt, ſcheint es, unter ſeinen Geſichtern, wie ein Mädchen in ihrem Schmuck. Er hält beide bereit, um das rechte gleich bei der Hand zu haben. Er weiß noch nicht, welches er brauchen wird.
Vorn durch den Spalt der wenig geöffneten Haus¬ thüre lauſcht das Dienſtmädchen. Aber keine ihrer Be¬ kannten geht vorbei. Bald wird ſie auf einen Vorwand ſinnen, die erſte beſte vorüberwandelnde Geſtalt anzu¬ halten, nur um wie gelegentlich anzubringen, das Haus erwarte heut' ſeinen jüngern Sohn aus der Fremde zurück. Einſtweilen ſagt ſie es dem alten Hunde, der, bemüht, die verſchiedenen Gruppen durch ſein Ab- und Zugehen in Verbindung zu erhalten, eben bei ihr an¬ gekommen iſt. Und ſogleich wendet er ſich nach dem Hofe zurück, wie um weiter zu ſagen, was er vernom¬ men. Der alte Hund iſt von der Unruhe der Menſchen angeſteckt. Iſt doch jetzt die Stunde, die er an andern Tagen vor ſeiner Hütte ſchlafend verbringt.
Die alte Gewohnheit ſcheint ihn zu mahnen, als er an ſeiner Hütte vorbei laufen will. Er legt ſich daneben. Aber er ſchließt die Augen nicht. Er ſcheint in tiefe Gedanken verſunken. Denkt er ſich die weite
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0047"n="38"/><p>Hinten am Ende des Ganges, neben der Thür des<lb/>
Schuppens, ſitzt auf einem Haufen Schieferplatten ein<lb/>
ungemüthlicher Geſell in Hemdärmeln. Der Ausdruck<lb/>ſeines Geſichtes wechſelt ohne ſichtbaren äußeren Anlaß<lb/>
zwiſchen widerwärtiger Zuthulichkeit und tückiſchem Trotz.<lb/>
Er kramt, ſcheint es, unter ſeinen Geſichtern, wie ein<lb/>
Mädchen in ihrem Schmuck. Er hält beide bereit,<lb/>
um das rechte gleich bei der Hand zu haben. Er weiß<lb/>
noch nicht, welches er brauchen wird.</p><lb/><p>Vorn durch den Spalt der wenig geöffneten Haus¬<lb/>
thüre lauſcht das Dienſtmädchen. Aber keine ihrer Be¬<lb/>
kannten geht vorbei. Bald wird ſie auf einen Vorwand<lb/>ſinnen, die erſte beſte vorüberwandelnde Geſtalt anzu¬<lb/>
halten, nur um wie gelegentlich anzubringen, das Haus<lb/>
erwarte heut' ſeinen jüngern Sohn aus der Fremde<lb/>
zurück. Einſtweilen ſagt ſie es dem alten Hunde, der,<lb/>
bemüht, die verſchiedenen Gruppen durch ſein Ab- und<lb/>
Zugehen in Verbindung zu erhalten, eben bei ihr an¬<lb/>
gekommen iſt. Und ſogleich wendet er ſich nach dem<lb/>
Hofe zurück, wie um weiter zu ſagen, was er vernom¬<lb/>
men. Der alte Hund iſt von der Unruhe der Menſchen<lb/>
angeſteckt. Iſt doch jetzt die Stunde, die er an andern<lb/>
Tagen vor ſeiner Hütte ſchlafend verbringt.</p><lb/><p>Die alte Gewohnheit ſcheint ihn zu mahnen, als<lb/>
er an ſeiner Hütte vorbei laufen will. Er legt ſich<lb/>
daneben. Aber er ſchließt die Augen nicht. Er ſcheint<lb/>
in tiefe Gedanken verſunken. Denkt er ſich die weite<lb/></p></div></body></text></TEI>
[38/0047]
Hinten am Ende des Ganges, neben der Thür des
Schuppens, ſitzt auf einem Haufen Schieferplatten ein
ungemüthlicher Geſell in Hemdärmeln. Der Ausdruck
ſeines Geſichtes wechſelt ohne ſichtbaren äußeren Anlaß
zwiſchen widerwärtiger Zuthulichkeit und tückiſchem Trotz.
Er kramt, ſcheint es, unter ſeinen Geſichtern, wie ein
Mädchen in ihrem Schmuck. Er hält beide bereit,
um das rechte gleich bei der Hand zu haben. Er weiß
noch nicht, welches er brauchen wird.
Vorn durch den Spalt der wenig geöffneten Haus¬
thüre lauſcht das Dienſtmädchen. Aber keine ihrer Be¬
kannten geht vorbei. Bald wird ſie auf einen Vorwand
ſinnen, die erſte beſte vorüberwandelnde Geſtalt anzu¬
halten, nur um wie gelegentlich anzubringen, das Haus
erwarte heut' ſeinen jüngern Sohn aus der Fremde
zurück. Einſtweilen ſagt ſie es dem alten Hunde, der,
bemüht, die verſchiedenen Gruppen durch ſein Ab- und
Zugehen in Verbindung zu erhalten, eben bei ihr an¬
gekommen iſt. Und ſogleich wendet er ſich nach dem
Hofe zurück, wie um weiter zu ſagen, was er vernom¬
men. Der alte Hund iſt von der Unruhe der Menſchen
angeſteckt. Iſt doch jetzt die Stunde, die er an andern
Tagen vor ſeiner Hütte ſchlafend verbringt.
Die alte Gewohnheit ſcheint ihn zu mahnen, als
er an ſeiner Hütte vorbei laufen will. Er legt ſich
daneben. Aber er ſchließt die Augen nicht. Er ſcheint
in tiefe Gedanken verſunken. Denkt er ſich die weite
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/47>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.