Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Fremde? Und schien ihm noch jetzt jedes Aussprechen
eines Warum mit seinem Ansehn unverträglich?

Es war ein wunderlich Beisammensein drinn in der
Wohnstube am Mittagstisch. Der alte Herr aß, wie
immer, allein auf seinem Stübchen. Auch die Kinder
waren entfernt worden und kamen erst nach dem Essen
wieder herein. Die junge Frau hielt sich mehr in der
Küche oder sonst wo auf; und saß sie einmal wenige
Minuten lang am Tisch, so war sie stumm wie bei der
Begrüßung, und die grollende Wolke wich nicht von
ihrer Stirn. Der Bruder war des Vaters Zustand
gewohnt, der Apollonius noch mit erster Schärfe in
das Herz schnitt; er erzählte nur von den Wunderlich¬
keiten desselben; der im blauen Rock wisse selbst nicht,
was er wolle, und mache sich und Allen im Hause ohne
Noth das Leben sauer. Begann Apollonius von dem
Geschäft, von der bevorstehenden Reparatur des Kirch¬
dachs von Sankt Georg, dann sprach der Bruder von
Vergnügungen, mit denen er sich freue, dem Bruder
seinen Aufenthalt bei ihm angenehmer zu machen, und
gedachte dieses Aufenthalts stets als eines vorüber¬
gehenden Besuches. Sagte der ihm, er sei nicht ge¬
kommen, sich zu vergnügen, sondern zu arbeiten, dann
lachte er wie über einen unvergleichlichen Witz, daß
Apollonius helfen wolle, nichts zu thun, und zeigte, er
verstehe Spaß, und wär' er noch so trocken vorgetragen.
Dann, war seine Frau hinausgegangen, forschte er

4*

Fremde? Und ſchien ihm noch jetzt jedes Ausſprechen
eines Warum mit ſeinem Anſehn unverträglich?

Es war ein wunderlich Beiſammenſein drinn in der
Wohnſtube am Mittagstiſch. Der alte Herr aß, wie
immer, allein auf ſeinem Stübchen. Auch die Kinder
waren entfernt worden und kamen erſt nach dem Eſſen
wieder herein. Die junge Frau hielt ſich mehr in der
Küche oder ſonſt wo auf; und ſaß ſie einmal wenige
Minuten lang am Tiſch, ſo war ſie ſtumm wie bei der
Begrüßung, und die grollende Wolke wich nicht von
ihrer Stirn. Der Bruder war des Vaters Zuſtand
gewohnt, der Apollonius noch mit erſter Schärfe in
das Herz ſchnitt; er erzählte nur von den Wunderlich¬
keiten deſſelben; der im blauen Rock wiſſe ſelbſt nicht,
was er wolle, und mache ſich und Allen im Hauſe ohne
Noth das Leben ſauer. Begann Apollonius von dem
Geſchäft, von der bevorſtehenden Reparatur des Kirch¬
dachs von Sankt Georg, dann ſprach der Bruder von
Vergnügungen, mit denen er ſich freue, dem Bruder
ſeinen Aufenthalt bei ihm angenehmer zu machen, und
gedachte dieſes Aufenthalts ſtets als eines vorüber¬
gehenden Beſuches. Sagte der ihm, er ſei nicht ge¬
kommen, ſich zu vergnügen, ſondern zu arbeiten, dann
lachte er wie über einen unvergleichlichen Witz, daß
Apollonius helfen wolle, nichts zu thun, und zeigte, er
verſtehe Spaß, und wär' er noch ſo trocken vorgetragen.
Dann, war ſeine Frau hinausgegangen, forſchte er

4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="51"/>
Fremde? Und &#x017F;chien ihm noch jetzt jedes Aus&#x017F;prechen<lb/>
eines Warum mit &#x017F;einem An&#x017F;ehn unverträglich?</p><lb/>
        <p>Es war ein wunderlich Bei&#x017F;ammen&#x017F;ein drinn in der<lb/>
Wohn&#x017F;tube am Mittagsti&#x017F;ch. Der alte Herr aß, wie<lb/>
immer, allein auf &#x017F;einem Stübchen. Auch die Kinder<lb/>
waren entfernt worden und kamen er&#x017F;t nach dem E&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wieder herein. Die junge Frau hielt &#x017F;ich mehr in der<lb/>
Küche oder &#x017F;on&#x017F;t wo auf; und &#x017F;&#x017F;ie einmal wenige<lb/>
Minuten lang am Ti&#x017F;ch, &#x017F;o war &#x017F;ie &#x017F;tumm wie bei der<lb/>
Begrüßung, und die grollende Wolke wich nicht von<lb/>
ihrer Stirn. Der Bruder war des Vaters Zu&#x017F;tand<lb/>
gewohnt, der Apollonius noch mit er&#x017F;ter Schärfe in<lb/>
das Herz &#x017F;chnitt; er erzählte nur von den Wunderlich¬<lb/>
keiten de&#x017F;&#x017F;elben; der im blauen Rock wi&#x017F;&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t nicht,<lb/>
was er wolle, und mache &#x017F;ich und Allen im Hau&#x017F;e ohne<lb/>
Noth das Leben &#x017F;auer. Begann Apollonius von dem<lb/>
Ge&#x017F;chäft, von der bevor&#x017F;tehenden Reparatur des Kirch¬<lb/>
dachs von Sankt Georg, dann &#x017F;prach der Bruder von<lb/>
Vergnügungen, mit denen er &#x017F;ich freue, dem Bruder<lb/>
&#x017F;einen Aufenthalt bei ihm angenehmer zu machen, und<lb/>
gedachte die&#x017F;es Aufenthalts &#x017F;tets als eines vorüber¬<lb/>
gehenden Be&#x017F;uches. Sagte der ihm, er &#x017F;ei nicht ge¬<lb/>
kommen, &#x017F;ich zu vergnügen, &#x017F;ondern zu arbeiten, dann<lb/>
lachte er wie über einen unvergleichlichen Witz, daß<lb/>
Apollonius helfen wolle, nichts zu thun, und zeigte, er<lb/>
ver&#x017F;tehe Spaß, und wär' er noch &#x017F;o trocken vorgetragen.<lb/>
Dann, war &#x017F;eine Frau hinausgegangen, for&#x017F;chte er<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0060] Fremde? Und ſchien ihm noch jetzt jedes Ausſprechen eines Warum mit ſeinem Anſehn unverträglich? Es war ein wunderlich Beiſammenſein drinn in der Wohnſtube am Mittagstiſch. Der alte Herr aß, wie immer, allein auf ſeinem Stübchen. Auch die Kinder waren entfernt worden und kamen erſt nach dem Eſſen wieder herein. Die junge Frau hielt ſich mehr in der Küche oder ſonſt wo auf; und ſaß ſie einmal wenige Minuten lang am Tiſch, ſo war ſie ſtumm wie bei der Begrüßung, und die grollende Wolke wich nicht von ihrer Stirn. Der Bruder war des Vaters Zuſtand gewohnt, der Apollonius noch mit erſter Schärfe in das Herz ſchnitt; er erzählte nur von den Wunderlich¬ keiten deſſelben; der im blauen Rock wiſſe ſelbſt nicht, was er wolle, und mache ſich und Allen im Hauſe ohne Noth das Leben ſauer. Begann Apollonius von dem Geſchäft, von der bevorſtehenden Reparatur des Kirch¬ dachs von Sankt Georg, dann ſprach der Bruder von Vergnügungen, mit denen er ſich freue, dem Bruder ſeinen Aufenthalt bei ihm angenehmer zu machen, und gedachte dieſes Aufenthalts ſtets als eines vorüber¬ gehenden Beſuches. Sagte der ihm, er ſei nicht ge¬ kommen, ſich zu vergnügen, ſondern zu arbeiten, dann lachte er wie über einen unvergleichlichen Witz, daß Apollonius helfen wolle, nichts zu thun, und zeigte, er verſtehe Spaß, und wär' er noch ſo trocken vorgetragen. Dann, war ſeine Frau hinausgegangen, forſchte er 4*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/60
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/60>, abgerufen am 21.11.2024.