Herrn träumte, man trüge einen Todten mit Schande in das Haus und das alte Haus knackte in allen sei¬ nen Balken und wußte nicht warum. Und der Geist wandelte noch lang, als Alles schon zu Bette war, durch seine Zimmer, herauf und herab, her und hin, auf der Emporlaube, im Gärtchen, im Schuppen und im Gang und rang die bleichen Hände; er wußte, warum.
Zwischen Himmel und Erde ist des Schieferdeckers Reich. Tief unten das lärmende Gewühl der Wande¬ rer der Erde, hoch oben die Wanderer des Himmels, die stillen Wolken in ihrem großen Gang. Monden, Jahre, Jahrzehnte lang hat es keine Bewohner, als der krächzenden Dohlen unruhig flatternd Volk. Aber eines Tages öffnet sich in der Mitte der Thurmdach¬ höhe die enge Ausfahrthür; unsichtbare Hände schieben zwei Rüststangen heraus. Dem Zuschauer von unten gemahnt's, sie wollen eine Brücke von Strohhalmen in den Himmel bau'n. Die Dohlen haben sich auf Thurm¬ knopf und Wetterfahne geflüchtet und seh'n herab und sträuben ihr Gefieder vor Angst. Die Rüststangen stehen wenige Fuß heraus und die unsichtbaren Hände lassen vom Schieben ab. Dafür beginnt ein Hämmern im Herzen des Dachstuhls. Die schlafenden Eulen schrecken aus und taumeln aus ihren Lucken zackig in
Herrn träumte, man trüge einen Todten mit Schande in das Haus und das alte Haus knackte in allen ſei¬ nen Balken und wußte nicht warum. Und der Geiſt wandelte noch lang, als Alles ſchon zu Bette war, durch ſeine Zimmer, herauf und herab, her und hin, auf der Emporlaube, im Gärtchen, im Schuppen und im Gang und rang die bleichen Hände; er wußte, warum.
Zwiſchen Himmel und Erde iſt des Schieferdeckers Reich. Tief unten das lärmende Gewühl der Wande¬ rer der Erde, hoch oben die Wanderer des Himmels, die ſtillen Wolken in ihrem großen Gang. Monden, Jahre, Jahrzehnte lang hat es keine Bewohner, als der krächzenden Dohlen unruhig flatternd Volk. Aber eines Tages öffnet ſich in der Mitte der Thurmdach¬ höhe die enge Ausfahrthür; unſichtbare Hände ſchieben zwei Rüſtſtangen heraus. Dem Zuſchauer von unten gemahnt's, ſie wollen eine Brücke von Strohhalmen in den Himmel bau'n. Die Dohlen haben ſich auf Thurm¬ knopf und Wetterfahne geflüchtet und ſeh'n herab und ſträuben ihr Gefieder vor Angſt. Die Rüſtſtangen ſtehen wenige Fuß heraus und die unſichtbaren Hände laſſen vom Schieben ab. Dafür beginnt ein Hämmern im Herzen des Dachſtuhls. Die ſchlafenden Eulen ſchrecken aus und taumeln aus ihren Lucken zackig in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0078"n="69"/>
Herrn träumte, man trüge einen Todten mit Schande<lb/>
in das Haus und das alte Haus knackte in allen ſei¬<lb/>
nen Balken und wußte nicht warum. Und der Geiſt<lb/>
wandelte noch lang, als Alles ſchon zu Bette war,<lb/>
durch ſeine Zimmer, herauf und herab, her und hin,<lb/>
auf der Emporlaube, im Gärtchen, im Schuppen und<lb/>
im Gang und rang die bleichen Hände; er wußte,<lb/>
warum.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Zwiſchen Himmel und Erde iſt des Schieferdeckers<lb/>
Reich. Tief unten das lärmende Gewühl der Wande¬<lb/>
rer der Erde, hoch oben die Wanderer des Himmels,<lb/>
die ſtillen Wolken in ihrem großen Gang. Monden,<lb/>
Jahre, Jahrzehnte lang hat es keine Bewohner, als<lb/>
der krächzenden Dohlen unruhig flatternd Volk. Aber<lb/>
eines Tages öffnet ſich in der Mitte der Thurmdach¬<lb/>
höhe die enge Ausfahrthür; unſichtbare Hände ſchieben<lb/>
zwei Rüſtſtangen heraus. Dem Zuſchauer von unten<lb/>
gemahnt's, ſie wollen eine Brücke von Strohhalmen in<lb/>
den Himmel bau'n. Die Dohlen haben ſich auf Thurm¬<lb/>
knopf und Wetterfahne geflüchtet und ſeh'n herab und<lb/>ſträuben ihr Gefieder vor Angſt. Die Rüſtſtangen<lb/>ſtehen wenige Fuß heraus und die unſichtbaren Hände<lb/>
laſſen vom Schieben ab. Dafür beginnt ein Hämmern<lb/>
im Herzen des Dachſtuhls. Die ſchlafenden Eulen<lb/>ſchrecken aus und taumeln aus ihren Lucken zackig in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[69/0078]
Herrn träumte, man trüge einen Todten mit Schande
in das Haus und das alte Haus knackte in allen ſei¬
nen Balken und wußte nicht warum. Und der Geiſt
wandelte noch lang, als Alles ſchon zu Bette war,
durch ſeine Zimmer, herauf und herab, her und hin,
auf der Emporlaube, im Gärtchen, im Schuppen und
im Gang und rang die bleichen Hände; er wußte,
warum.
Zwiſchen Himmel und Erde iſt des Schieferdeckers
Reich. Tief unten das lärmende Gewühl der Wande¬
rer der Erde, hoch oben die Wanderer des Himmels,
die ſtillen Wolken in ihrem großen Gang. Monden,
Jahre, Jahrzehnte lang hat es keine Bewohner, als
der krächzenden Dohlen unruhig flatternd Volk. Aber
eines Tages öffnet ſich in der Mitte der Thurmdach¬
höhe die enge Ausfahrthür; unſichtbare Hände ſchieben
zwei Rüſtſtangen heraus. Dem Zuſchauer von unten
gemahnt's, ſie wollen eine Brücke von Strohhalmen in
den Himmel bau'n. Die Dohlen haben ſich auf Thurm¬
knopf und Wetterfahne geflüchtet und ſeh'n herab und
ſträuben ihr Gefieder vor Angſt. Die Rüſtſtangen
ſtehen wenige Fuß heraus und die unſichtbaren Hände
laſſen vom Schieben ab. Dafür beginnt ein Hämmern
im Herzen des Dachſtuhls. Die ſchlafenden Eulen
ſchrecken aus und taumeln aus ihren Lucken zackig in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/78>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.