Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

zu bemitleiden, dem jener Schlingen lege, um nur den
Bruder hassen zu dürfen, der ihn hasse. Ihm fehlte
das Klarheitsbedürfniß Apollonius', das diesem den
Widerspruch gezeigt und den erkannten zu tilgen ge¬
zwungen hätte. Vielleicht hatte er ein Gefühl von dem
Widerspruch und er unterdrückte es absichtlich. So
setzte sein Schuldbewußtsein den Haß als wirklich vor¬
aus, den es verdient zu haben sich vorwerfen mußte.

Bald merkte Apollonius, hier war nicht die Ord¬
nung, das rasche und genau berechnete Ineinander¬
greifen, an das er in Köln sich gewöhnt, ja nur, wie
es der Vater früher hier gehandhabt. Der Decker
mußte viertelstundenlang und länger auf die Schieferplat¬
ten warten; die Handlanger leierten und hatten in der
Unordnung und Trägheit der Behauer und Sortirer eine
gute Entschuldigung. Der Bruder lachte halb mitlei¬
dig über Apollonius Klage. Eine solche Ordnung,
wie der sie verlangte, existirte nirgends und war auch
nicht möglich. Bei sich verspottete er wieder den Träu¬
mer, der so unpraktisch war. Und wäre die Ordnung
möglich gewesen, die Arbeit war im Tagelohn verdun¬
gen. Die verlorene Zeit wurde bezahlt, wie die ange¬
wandte. Und als Apollonius selbst dazu that, den
Schlendrian abzustellen, da war er dem Bruder wie¬
derum der Wohldiener des Bauherrn und des Rathes,
er selber sich der schlichte Mann, der solche Kunstgriffe
verschmäht. Da wollte ihn jener nur vollends aus

zu bemitleiden, dem jener Schlingen lege, um nur den
Bruder haſſen zu dürfen, der ihn haſſe. Ihm fehlte
das Klarheitsbedürfniß Apollonius', das dieſem den
Widerſpruch gezeigt und den erkannten zu tilgen ge¬
zwungen hätte. Vielleicht hatte er ein Gefühl von dem
Widerſpruch und er unterdrückte es abſichtlich. So
ſetzte ſein Schuldbewußtſein den Haß als wirklich vor¬
aus, den es verdient zu haben ſich vorwerfen mußte.

Bald merkte Apollonius, hier war nicht die Ord¬
nung, das raſche und genau berechnete Ineinander¬
greifen, an das er in Köln ſich gewöhnt, ja nur, wie
es der Vater früher hier gehandhabt. Der Decker
mußte viertelſtundenlang und länger auf die Schieferplat¬
ten warten; die Handlanger leierten und hatten in der
Unordnung und Trägheit der Behauer und Sortirer eine
gute Entſchuldigung. Der Bruder lachte halb mitlei¬
dig über Apollonius Klage. Eine ſolche Ordnung,
wie der ſie verlangte, exiſtirte nirgends und war auch
nicht möglich. Bei ſich verſpottete er wieder den Träu¬
mer, der ſo unpraktiſch war. Und wäre die Ordnung
möglich geweſen, die Arbeit war im Tagelohn verdun¬
gen. Die verlorene Zeit wurde bezahlt, wie die ange¬
wandte. Und als Apollonius ſelbſt dazu that, den
Schlendrian abzuſtellen, da war er dem Bruder wie¬
derum der Wohldiener des Bauherrn und des Rathes,
er ſelber ſich der ſchlichte Mann, der ſolche Kunſtgriffe
verſchmäht. Da wollte ihn jener nur vollends aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0087" n="78"/>
zu bemitleiden, dem jener Schlingen lege, um nur den<lb/>
Bruder ha&#x017F;&#x017F;en zu dürfen, der ihn ha&#x017F;&#x017F;e. Ihm fehlte<lb/>
das Klarheitsbedürfniß Apollonius', das die&#x017F;em den<lb/>
Wider&#x017F;pruch gezeigt und den erkannten zu tilgen ge¬<lb/>
zwungen hätte. Vielleicht hatte er ein Gefühl von dem<lb/>
Wider&#x017F;pruch und er unterdrückte es ab&#x017F;ichtlich. So<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ein Schuldbewußt&#x017F;ein den Haß als wirklich vor¬<lb/>
aus, den es verdient zu haben &#x017F;ich vorwerfen mußte.</p><lb/>
        <p>Bald merkte Apollonius, hier war nicht die Ord¬<lb/>
nung, das ra&#x017F;che und genau berechnete Ineinander¬<lb/>
greifen, an das er in Köln &#x017F;ich gewöhnt, ja nur, wie<lb/>
es der Vater früher hier gehandhabt. Der Decker<lb/>
mußte viertel&#x017F;tundenlang und länger auf die Schieferplat¬<lb/>
ten warten; die Handlanger leierten und hatten in der<lb/>
Unordnung und Trägheit der Behauer und Sortirer eine<lb/>
gute Ent&#x017F;chuldigung. Der Bruder lachte halb mitlei¬<lb/>
dig über Apollonius Klage. Eine &#x017F;olche Ordnung,<lb/>
wie der &#x017F;ie verlangte, exi&#x017F;tirte nirgends und war auch<lb/>
nicht möglich. Bei &#x017F;ich ver&#x017F;pottete er wieder den Träu¬<lb/>
mer, der &#x017F;o unprakti&#x017F;ch war. Und wäre die Ordnung<lb/>
möglich gewe&#x017F;en, die Arbeit war im Tagelohn verdun¬<lb/>
gen. Die verlorene Zeit wurde bezahlt, wie die ange¬<lb/>
wandte. Und als Apollonius &#x017F;elb&#x017F;t dazu that, den<lb/>
Schlendrian abzu&#x017F;tellen, da war er dem Bruder wie¬<lb/>
derum der Wohldiener des Bauherrn und des Rathes,<lb/>
er &#x017F;elber &#x017F;ich der &#x017F;chlichte Mann, der &#x017F;olche Kun&#x017F;tgriffe<lb/>
ver&#x017F;chmäht. Da wollte ihn jener nur vollends aus<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0087] zu bemitleiden, dem jener Schlingen lege, um nur den Bruder haſſen zu dürfen, der ihn haſſe. Ihm fehlte das Klarheitsbedürfniß Apollonius', das dieſem den Widerſpruch gezeigt und den erkannten zu tilgen ge¬ zwungen hätte. Vielleicht hatte er ein Gefühl von dem Widerſpruch und er unterdrückte es abſichtlich. So ſetzte ſein Schuldbewußtſein den Haß als wirklich vor¬ aus, den es verdient zu haben ſich vorwerfen mußte. Bald merkte Apollonius, hier war nicht die Ord¬ nung, das raſche und genau berechnete Ineinander¬ greifen, an das er in Köln ſich gewöhnt, ja nur, wie es der Vater früher hier gehandhabt. Der Decker mußte viertelſtundenlang und länger auf die Schieferplat¬ ten warten; die Handlanger leierten und hatten in der Unordnung und Trägheit der Behauer und Sortirer eine gute Entſchuldigung. Der Bruder lachte halb mitlei¬ dig über Apollonius Klage. Eine ſolche Ordnung, wie der ſie verlangte, exiſtirte nirgends und war auch nicht möglich. Bei ſich verſpottete er wieder den Träu¬ mer, der ſo unpraktiſch war. Und wäre die Ordnung möglich geweſen, die Arbeit war im Tagelohn verdun¬ gen. Die verlorene Zeit wurde bezahlt, wie die ange¬ wandte. Und als Apollonius ſelbſt dazu that, den Schlendrian abzuſtellen, da war er dem Bruder wie¬ derum der Wohldiener des Bauherrn und des Rathes, er ſelber ſich der ſchlichte Mann, der ſolche Kunſtgriffe verſchmäht. Da wollte ihn jener nur vollends aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/87
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/87>, abgerufen am 21.11.2024.