aufgehende Vollmond, die schwersten Gewitter aus der Fassung. Fritz Nettenmair mußte an der Wiederher¬ stellung seiner verlorenen Bedeutung auf dem Schau¬ platz der Reparatur verzweifeln. Natürlich schrieb er auch das Ergebniß seiner falschen Maßregeln auf Apollonius' immer wachsende Rechnung. Das Gefühl, überflüssig zu sein, packte ihn wie den alten Herrn, brachte aber nicht ganz dieselben Wirkungen hervor. Was dem alten Herrn das Gärtchen, das wurde nun dem ältern Sohne der Schieferschuppen. Wenigstens so lange er Apollonius auf seinem Fahrzeug oder auf dem Kirchendache sah. Aber er brachte den blauen Rock nun auch mit in die Wohnstube. Seine Kinder -- das war leicht, da er selbst sich nicht um sie bekümmerte, -- hatte der Bruder ja auch -- und natürlich mit schlechten Mitteln -- gewonnen. Diese schlechten Mittel waren eben die, die er selbst nie an¬ wendete: unabsichtliche Güte und weise Strenge der Liebe. Aber auch in seiner Frau sah er immer mehr etwas, wie einen natürlichen Bundesgenossen des Bru¬ ders gegen ihn. Lange vorher, eh' er noch den ge¬ ringsten wirklichen Anlaß dazu hatte. Das war der Schatten, den seine Schuld in die Zukunft seiner Phantasie warf. Ihr altes Gesetz wird ihn zwingen, durch die Verkehrtheit seiner Abwehrmittel den Schatten selber zur wirklichen, lebendigen Gestalt zu machen und vergeltend in sein Leben hereinzustellen.
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aufgehende Vollmond, die ſchwerſten Gewitter aus der Faſſung. Fritz Nettenmair mußte an der Wiederher¬ ſtellung ſeiner verlorenen Bedeutung auf dem Schau¬ platz der Reparatur verzweifeln. Natürlich ſchrieb er auch das Ergebniß ſeiner falſchen Maßregeln auf Apollonius' immer wachſende Rechnung. Das Gefühl, überflüſſig zu ſein, packte ihn wie den alten Herrn, brachte aber nicht ganz dieſelben Wirkungen hervor. Was dem alten Herrn das Gärtchen, das wurde nun dem ältern Sohne der Schieferſchuppen. Wenigſtens ſo lange er Apollonius auf ſeinem Fahrzeug oder auf dem Kirchendache ſah. Aber er brachte den blauen Rock nun auch mit in die Wohnſtube. Seine Kinder — das war leicht, da er ſelbſt ſich nicht um ſie bekümmerte, — hatte der Bruder ja auch — und natürlich mit ſchlechten Mitteln — gewonnen. Dieſe ſchlechten Mittel waren eben die, die er ſelbſt nie an¬ wendete: unabſichtliche Güte und weiſe Strenge der Liebe. Aber auch in ſeiner Frau ſah er immer mehr etwas, wie einen natürlichen Bundesgenoſſen des Bru¬ ders gegen ihn. Lange vorher, eh' er noch den ge¬ ringſten wirklichen Anlaß dazu hatte. Das war der Schatten, den ſeine Schuld in die Zukunft ſeiner Phantaſie warf. Ihr altes Geſetz wird ihn zwingen, durch die Verkehrtheit ſeiner Abwehrmittel den Schatten ſelber zur wirklichen, lebendigen Geſtalt zu machen und vergeltend in ſein Leben hereinzuſtellen.
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aufgehende Vollmond, die ſchwerſten Gewitter aus der
Faſſung. Fritz Nettenmair mußte an der Wiederher¬
ſtellung ſeiner verlorenen Bedeutung auf dem Schau¬
platz der Reparatur verzweifeln. Natürlich ſchrieb er
auch das Ergebniß ſeiner falſchen Maßregeln auf
Apollonius' immer wachſende Rechnung. Das Gefühl,
überflüſſig zu ſein, packte ihn wie den alten Herrn,
brachte aber nicht ganz dieſelben Wirkungen hervor.
Was dem alten Herrn das Gärtchen, das wurde nun
dem ältern Sohne der Schieferſchuppen. Wenigſtens
ſo lange er Apollonius auf ſeinem Fahrzeug oder auf
dem Kirchendache ſah. Aber er brachte den blauen
Rock nun auch mit in die Wohnſtube. Seine Kinder
— das war leicht, da er ſelbſt ſich nicht um ſie
bekümmerte, — hatte der Bruder ja auch — und
natürlich mit ſchlechten Mitteln — gewonnen. Dieſe
ſchlechten Mittel waren eben die, die er ſelbſt nie an¬
wendete: unabſichtliche Güte und weiſe Strenge der
Liebe. Aber auch in ſeiner Frau ſah er immer mehr
etwas, wie einen natürlichen Bundesgenoſſen des Bru¬
ders gegen ihn. Lange vorher, eh' er noch den ge¬
ringſten wirklichen Anlaß dazu hatte. Das war der
Schatten, den ſeine Schuld in die Zukunft ſeiner
Phantaſie warf. Ihr altes Geſetz wird ihn zwingen,
durch die Verkehrtheit ſeiner Abwehrmittel den Schatten
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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