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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Verschiedene Erregungszustände.
Faktoren sich constant erhalten, der dritte dagegen in willkürlich
bestimmbaren Veränderungen begriffen ist. Dieser allgemeine Grund-
satz schreibt uns also drei Beobachtungsreihen vor; aber nur die Re-
sultate zweier interessiren uns vorerst, nämlich diejenigen, welche
darauf ausgehen zu ermitteln, inwiefern der veränderliche quantita-
tive Werth der Erregung abhängig sei, von den Zuständen des Nerven
und denen der Erreger. Es muss also in jedem Fall unsere Aufmerk-
samkeit darauf gerichtet sein, die aus der Empfindlichkeit der Hirnor-
gane, der Beweglichkeit der Muskeln u. s. w. herfliessenden Variationen
zu eliminiren, oder mit andern Worten, bei möglichstem Wechsel der
Erreger und der Erregbarkeit und möglichst gleichbleibendem Zustand
des Hirns, der Muskeln und Drüsen, die Stärke der Empfindung, Bewe-
gung u. s. w. zu bestimmen. Diesem Ziele nähert man sich, wenn
man in vergleichenden Versuchen immer dieselben Nervenröhren und
zwar in möglichst rasch aufeinanderfolgenden Zeiten erregt; denn nur
unter diesen Umständen darf man die Hoffnung hegen, den Einfluss
der Einpflanzungstellen zu eliminiren, und die Organe der Empfindung,
Bewegung und Absonderung in gleichen Zuständen der Empfänglichkeit
zu treffen, da man ihnen kaum Zeit zur Veränderung gegönnt hat.

Nach einer annähernden Erfüllung dieser obersten Forderung
könnten wir nun dazu schreiten uns ein Maass für die Nervenerre-
gung zu suchen, was nur dann zu finden sein würde, wenn wir noch
über zwei in Folgendem hervorzuhebende Punkte Auskunft zu erhal-
ten im Stande wären. -- Da wir die Nervenerregung messen wollen
durch die Grade der von ihr abhängenden Empfindung, Bewegung und
Absonderung, so müsste eine Scala derselben festgestellt sein; mit
andern Worten, es müsste anzugeben sein, nicht allein wie stark jeder
dieser Akte im einzelnen Fall in die Erscheinung tritt, sondern auch
welche Summe von Kräften im Innern der Organe bei jeder ihrer zur
Erscheinung kommenden Thätigkeiten wirksam wäre. Eine solche Gra-
duirung dieser Funktionen besitzen wir aber weder, noch eröffnet sich
irgend eine Aussicht demnächst zu einer solchen zu gelangen. Somit
besteht von dieser Seite aus betrachtet unsere Messung in nichts an-
derm als in einer ungefähren Schätzung, ob diese oder jene Bewegung,
Empfindung oder Absonderung stärker oder schwächer sei als eine
andere. Diese ungefähre Vergleichung ist zudem nur zulässig zwi-
schen verschiedenen Werthen gleichartiger Vorgänge, d. h. es können
nur zwei Lichtempfindungen, zwei Tastempfindungen, zwei Muskel-
bewegungen u. s. w. gegeneinander abgewogen werden, während
zwei Werthe specifisch verschiedener Empfindungen ebenso incommen-
surabel sind, als die einer Empfindung mit einer Bewegung u. s. w.

Diese Armuth unsrer Hülfsmittel zwingt uns die Vergleiche der
Erregung sehr zu beschränken; aber immerhin würde die gewonnene
Schätzung noch ungemein werthvoll sein, wenn ein anderer Umstand

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Verschiedene Erregungszustände.
Faktoren sich constant erhalten, der dritte dagegen in willkürlich
bestimmbaren Veränderungen begriffen ist. Dieser allgemeine Grund-
satz schreibt uns also drei Beobachtungsreihen vor; aber nur die Re-
sultate zweier interessiren uns vorerst, nämlich diejenigen, welche
darauf ausgehen zu ermitteln, inwiefern der veränderliche quantita-
tive Werth der Erregung abhängig sei, von den Zuständen des Nerven
und denen der Erreger. Es muss also in jedem Fall unsere Aufmerk-
samkeit darauf gerichtet sein, die aus der Empfindlichkeit der Hirnor-
gane, der Beweglichkeit der Muskeln u. s. w. herfliessenden Variationen
zu eliminiren, oder mit andern Worten, bei möglichstem Wechsel der
Erreger und der Erregbarkeit und möglichst gleichbleibendem Zustand
des Hirns, der Muskeln und Drüsen, die Stärke der Empfindung, Bewe-
gung u. s. w. zu bestimmen. Diesem Ziele nähert man sich, wenn
man in vergleichenden Versuchen immer dieselben Nervenröhren und
zwar in möglichst rasch aufeinanderfolgenden Zeiten erregt; denn nur
unter diesen Umständen darf man die Hoffnung hegen, den Einfluss
der Einpflanzungstellen zu eliminiren, und die Organe der Empfindung,
Bewegung und Absonderung in gleichen Zuständen der Empfänglichkeit
zu treffen, da man ihnen kaum Zeit zur Veränderung gegönnt hat.

Nach einer annähernden Erfüllung dieser obersten Forderung
könnten wir nun dazu schreiten uns ein Maass für die Nervenerre-
gung zu suchen, was nur dann zu finden sein würde, wenn wir noch
über zwei in Folgendem hervorzuhebende Punkte Auskunft zu erhal-
ten im Stande wären. — Da wir die Nervenerregung messen wollen
durch die Grade der von ihr abhängenden Empfindung, Bewegung und
Absonderung, so müsste eine Scala derselben festgestellt sein; mit
andern Worten, es müsste anzugeben sein, nicht allein wie stark jeder
dieser Akte im einzelnen Fall in die Erscheinung tritt, sondern auch
welche Summe von Kräften im Innern der Organe bei jeder ihrer zur
Erscheinung kommenden Thätigkeiten wirksam wäre. Eine solche Gra-
duirung dieser Funktionen besitzen wir aber weder, noch eröffnet sich
irgend eine Aussicht demnächst zu einer solchen zu gelangen. Somit
besteht von dieser Seite aus betrachtet unsere Messung in nichts an-
derm als in einer ungefähren Schätzung, ob diese oder jene Bewegung,
Empfindung oder Absonderung stärker oder schwächer sei als eine
andere. Diese ungefähre Vergleichung ist zudem nur zulässig zwi-
schen verschiedenen Werthen gleichartiger Vorgänge, d. h. es können
nur zwei Lichtempfindungen, zwei Tastempfindungen, zwei Muskel-
bewegungen u. s. w. gegeneinander abgewogen werden, während
zwei Werthe specifisch verschiedener Empfindungen ebenso incommen-
surabel sind, als die einer Empfindung mit einer Bewegung u. s. w.

Diese Armuth unsrer Hülfsmittel zwingt uns die Vergleiche der
Erregung sehr zu beschränken; aber immerhin würde die gewonnene
Schätzung noch ungemein werthvoll sein, wenn ein anderer Umstand

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[99/0113] Verschiedene Erregungszustände. Faktoren sich constant erhalten, der dritte dagegen in willkürlich bestimmbaren Veränderungen begriffen ist. Dieser allgemeine Grund- satz schreibt uns also drei Beobachtungsreihen vor; aber nur die Re- sultate zweier interessiren uns vorerst, nämlich diejenigen, welche darauf ausgehen zu ermitteln, inwiefern der veränderliche quantita- tive Werth der Erregung abhängig sei, von den Zuständen des Nerven und denen der Erreger. Es muss also in jedem Fall unsere Aufmerk- samkeit darauf gerichtet sein, die aus der Empfindlichkeit der Hirnor- gane, der Beweglichkeit der Muskeln u. s. w. herfliessenden Variationen zu eliminiren, oder mit andern Worten, bei möglichstem Wechsel der Erreger und der Erregbarkeit und möglichst gleichbleibendem Zustand des Hirns, der Muskeln und Drüsen, die Stärke der Empfindung, Bewe- gung u. s. w. zu bestimmen. Diesem Ziele nähert man sich, wenn man in vergleichenden Versuchen immer dieselben Nervenröhren und zwar in möglichst rasch aufeinanderfolgenden Zeiten erregt; denn nur unter diesen Umständen darf man die Hoffnung hegen, den Einfluss der Einpflanzungstellen zu eliminiren, und die Organe der Empfindung, Bewegung und Absonderung in gleichen Zuständen der Empfänglichkeit zu treffen, da man ihnen kaum Zeit zur Veränderung gegönnt hat. Nach einer annähernden Erfüllung dieser obersten Forderung könnten wir nun dazu schreiten uns ein Maass für die Nervenerre- gung zu suchen, was nur dann zu finden sein würde, wenn wir noch über zwei in Folgendem hervorzuhebende Punkte Auskunft zu erhal- ten im Stande wären. — Da wir die Nervenerregung messen wollen durch die Grade der von ihr abhängenden Empfindung, Bewegung und Absonderung, so müsste eine Scala derselben festgestellt sein; mit andern Worten, es müsste anzugeben sein, nicht allein wie stark jeder dieser Akte im einzelnen Fall in die Erscheinung tritt, sondern auch welche Summe von Kräften im Innern der Organe bei jeder ihrer zur Erscheinung kommenden Thätigkeiten wirksam wäre. Eine solche Gra- duirung dieser Funktionen besitzen wir aber weder, noch eröffnet sich irgend eine Aussicht demnächst zu einer solchen zu gelangen. Somit besteht von dieser Seite aus betrachtet unsere Messung in nichts an- derm als in einer ungefähren Schätzung, ob diese oder jene Bewegung, Empfindung oder Absonderung stärker oder schwächer sei als eine andere. Diese ungefähre Vergleichung ist zudem nur zulässig zwi- schen verschiedenen Werthen gleichartiger Vorgänge, d. h. es können nur zwei Lichtempfindungen, zwei Tastempfindungen, zwei Muskel- bewegungen u. s. w. gegeneinander abgewogen werden, während zwei Werthe specifisch verschiedener Empfindungen ebenso incommen- surabel sind, als die einer Empfindung mit einer Bewegung u. s. w. Diese Armuth unsrer Hülfsmittel zwingt uns die Vergleiche der Erregung sehr zu beschränken; aber immerhin würde die gewonnene Schätzung noch ungemein werthvoll sein, wenn ein anderer Umstand 7*

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/113>, abgerufen am 21.11.2024.