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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Die Nervenkräfte sind electrische.
vor sich gegangen. Auf eine Zersetzung des Nerven im erregten Zustand deutet
aber der Umstand, dass ein Nerv durch die Erregung seine Erregbarkeit um so ra-
scher einbüsst, je weniger er mit Blut getränkt ist, oder wie wir uns im Sinne un-
serer Hypothese ausdrücken könnten, je weniger Ersatzmittel für die durch die
Erregung herbeigeführten Verluste ihm geboten werden. -- Aber selbst ohne diese
Thatsachen würde ein jeder, dem es auch nur wahrscheinlich ist, dass dem thieri-
schen Körper die Fähigkeit abgehe, Kräfte aus einem Nichts zu erzeugen, zu un-
serem Schluss kommen, weil nach den vorliegenden Thatsachen eine andere Mög-
lichkeit der Kraftentwicklung in den Nerven gar nicht gedacht werden kann.

3. Die Kräfte, welche durch den chemischen Prozess
in den Nerven frei werden, sind wahrscheinlich electrische
.
Nach den unendlich zahlreichen Erfahrungen der Chemie ergibt sich
als ausnahmslose Regel, dass durch den Act der chemischen Umsez-
zung nur auf dreierlei Art Kräfte entwickelt werden, welche jenseits
der entstandenen Verbindung bewegende Effecte zu erzielen vermögen.
Diese drei Arten der Kraftentwicklung sind bedingt 1) durch Volum-
veränderungen der in die Verbindung ein- oder austretenden Stoffe,
2) durch Entwicklung von Licht (oder strahlender Wärme) und 3) durch
Bindung oder Befreiung von Electricitäten. Da nun bei der geschilderten
Umsetzung des Nerven keine Volumveränderung eintritt, und auch der
Nerv, wie Helmholtz *) dargethan, weder im Zustand der Erregbar-
keit noch dem der Erregung nachweisbare Spuren von Wärme ent-
wickelt, so gestattet die Analogie nur den Schluss, dass die Nerven-
kräfte keine anderen als electrische seien.

In der That muss nun auch nach du Bois' Untersuchungen der
Nerv angesehen werden als eine Zusammenhäufung von electrischen
Molekeln, deren Veränderungen und Zustände den sogenannten phy-
siologischen durchaus parallel gehen. Der einfachen Erregbarkeit
entsprach die peripolare Anordnung der Molekeln, und es war dieselbe
um so vollkommener je ausgesprochener der electrische Gegensatz
in dieser Anordnung vorhanden war. Während der physiologischen
Vorgänge im Nerven, welche Empfindung und Zuckung bedingten, trat
aber nach Umständen entweder die dipolare Anordnung oder die
negative Schwankung der Molekeln auf. Auch hier galt wie zwischen
peripolarer Lagerung und der Erregbarkeit der Satz, dass genau wie
die Intensität der physiologischen Wirkung die der elektronegativen
Schwankung wuchs. Obgleich wir bei den Muskelnerven noch einmal
auf dieses letzte Verhältniss zurückkommen werden, so ist es doch
hier schon schicklich folgendes anzumerken. Benutzen wir als Er-
regungsmittel der Muskelnerven den electrischen Strom, so ergibt sich,
dass dieser den Nerv nur dann in den zuckungserregenden Zustand
versetzt, wenn er von schwankender Dichtigkeit ist, nur unter dieser
Voraussetzung tritt auch die electronegative Schwankung ein; die

*) Müllers Archiv 1848. Ueber die Wärmeentwickelung bei der Muskelaction.

Die Nervenkräfte sind electrische.
vor sich gegangen. Auf eine Zersetzung des Nerven im erregten Zustand deutet
aber der Umstand, dass ein Nerv durch die Erregung seine Erregbarkeit um so ra-
scher einbüsst, je weniger er mit Blut getränkt ist, oder wie wir uns im Sinne un-
serer Hypothese ausdrücken könnten, je weniger Ersatzmittel für die durch die
Erregung herbeigeführten Verluste ihm geboten werden. — Aber selbst ohne diese
Thatsachen würde ein jeder, dem es auch nur wahrscheinlich ist, dass dem thieri-
schen Körper die Fähigkeit abgehe, Kräfte aus einem Nichts zu erzeugen, zu un-
serem Schluss kommen, weil nach den vorliegenden Thatsachen eine andere Mög-
lichkeit der Kraftentwicklung in den Nerven gar nicht gedacht werden kann.

3. Die Kräfte, welche durch den chemischen Prozess
in den Nerven frei werden, sind wahrscheinlich electrische
.
Nach den unendlich zahlreichen Erfahrungen der Chemie ergibt sich
als ausnahmslose Regel, dass durch den Act der chemischen Umsez-
zung nur auf dreierlei Art Kräfte entwickelt werden, welche jenseits
der entstandenen Verbindung bewegende Effecte zu erzielen vermögen.
Diese drei Arten der Kraftentwicklung sind bedingt 1) durch Volum-
veränderungen der in die Verbindung ein- oder austretenden Stoffe,
2) durch Entwicklung von Licht (oder strahlender Wärme) und 3) durch
Bindung oder Befreiung von Electricitäten. Da nun bei der geschilderten
Umsetzung des Nerven keine Volumveränderung eintritt, und auch der
Nerv, wie Helmholtz *) dargethan, weder im Zustand der Erregbar-
keit noch dem der Erregung nachweisbare Spuren von Wärme ent-
wickelt, so gestattet die Analogie nur den Schluss, dass die Nerven-
kräfte keine anderen als electrische seien.

In der That muss nun auch nach du Bois’ Untersuchungen der
Nerv angesehen werden als eine Zusammenhäufung von electrischen
Molekeln, deren Veränderungen und Zustände den sogenannten phy-
siologischen durchaus parallel gehen. Der einfachen Erregbarkeit
entsprach die peripolare Anordnung der Molekeln, und es war dieselbe
um so vollkommener je ausgesprochener der electrische Gegensatz
in dieser Anordnung vorhanden war. Während der physiologischen
Vorgänge im Nerven, welche Empfindung und Zuckung bedingten, trat
aber nach Umständen entweder die dipolare Anordnung oder die
negative Schwankung der Molekeln auf. Auch hier galt wie zwischen
peripolarer Lagerung und der Erregbarkeit der Satz, dass genau wie
die Intensität der physiologischen Wirkung die der elektronegativen
Schwankung wuchs. Obgleich wir bei den Muskelnerven noch einmal
auf dieses letzte Verhältniss zurückkommen werden, so ist es doch
hier schon schicklich folgendes anzumerken. Benutzen wir als Er-
regungsmittel der Muskelnerven den electrischen Strom, so ergibt sich,
dass dieser den Nerv nur dann in den zuckungserregenden Zustand
versetzt, wenn er von schwankender Dichtigkeit ist, nur unter dieser
Voraussetzung tritt auch die electronegative Schwankung ein; die

*) Müllers Archiv 1848. Ueber die Wärmeentwickelung bei der Muskelaction.
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[120/0134] Die Nervenkräfte sind electrische. vor sich gegangen. Auf eine Zersetzung des Nerven im erregten Zustand deutet aber der Umstand, dass ein Nerv durch die Erregung seine Erregbarkeit um so ra- scher einbüsst, je weniger er mit Blut getränkt ist, oder wie wir uns im Sinne un- serer Hypothese ausdrücken könnten, je weniger Ersatzmittel für die durch die Erregung herbeigeführten Verluste ihm geboten werden. — Aber selbst ohne diese Thatsachen würde ein jeder, dem es auch nur wahrscheinlich ist, dass dem thieri- schen Körper die Fähigkeit abgehe, Kräfte aus einem Nichts zu erzeugen, zu un- serem Schluss kommen, weil nach den vorliegenden Thatsachen eine andere Mög- lichkeit der Kraftentwicklung in den Nerven gar nicht gedacht werden kann. 3. Die Kräfte, welche durch den chemischen Prozess in den Nerven frei werden, sind wahrscheinlich electrische. Nach den unendlich zahlreichen Erfahrungen der Chemie ergibt sich als ausnahmslose Regel, dass durch den Act der chemischen Umsez- zung nur auf dreierlei Art Kräfte entwickelt werden, welche jenseits der entstandenen Verbindung bewegende Effecte zu erzielen vermögen. Diese drei Arten der Kraftentwicklung sind bedingt 1) durch Volum- veränderungen der in die Verbindung ein- oder austretenden Stoffe, 2) durch Entwicklung von Licht (oder strahlender Wärme) und 3) durch Bindung oder Befreiung von Electricitäten. Da nun bei der geschilderten Umsetzung des Nerven keine Volumveränderung eintritt, und auch der Nerv, wie Helmholtz *) dargethan, weder im Zustand der Erregbar- keit noch dem der Erregung nachweisbare Spuren von Wärme ent- wickelt, so gestattet die Analogie nur den Schluss, dass die Nerven- kräfte keine anderen als electrische seien. In der That muss nun auch nach du Bois’ Untersuchungen der Nerv angesehen werden als eine Zusammenhäufung von electrischen Molekeln, deren Veränderungen und Zustände den sogenannten phy- siologischen durchaus parallel gehen. Der einfachen Erregbarkeit entsprach die peripolare Anordnung der Molekeln, und es war dieselbe um so vollkommener je ausgesprochener der electrische Gegensatz in dieser Anordnung vorhanden war. Während der physiologischen Vorgänge im Nerven, welche Empfindung und Zuckung bedingten, trat aber nach Umständen entweder die dipolare Anordnung oder die negative Schwankung der Molekeln auf. Auch hier galt wie zwischen peripolarer Lagerung und der Erregbarkeit der Satz, dass genau wie die Intensität der physiologischen Wirkung die der elektronegativen Schwankung wuchs. Obgleich wir bei den Muskelnerven noch einmal auf dieses letzte Verhältniss zurückkommen werden, so ist es doch hier schon schicklich folgendes anzumerken. Benutzen wir als Er- regungsmittel der Muskelnerven den electrischen Strom, so ergibt sich, dass dieser den Nerv nur dann in den zuckungserregenden Zustand versetzt, wenn er von schwankender Dichtigkeit ist, nur unter dieser Voraussetzung tritt auch die electronegative Schwankung ein; die *) Müllers Archiv 1848. Ueber die Wärmeentwickelung bei der Muskelaction.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/134>, abgerufen am 21.11.2024.