Der Beweis dafür, dass das Gift nur mittelst des Rückenmarkes den tonischen Krampf hervorruft, liegt einfach darin, dass man wohl durch örtliche Anwendung auf das Rückenmark eines Thieres (des- sen Blutlauf durch das Ausschneiden des Herzens unterbrochen ist) die Krämpfe erwecken kann, niemals aber durch Eintauchen des Ner- ven in die Giftlösung, und ferner, dass niemals die Glieder eines sonst unversehrten vergifteten Thieres in den Krampf gerathen, de- ren motorische Nerven vom Rückenmark getrennt sind.
Es erhebt sich aber nun die Frage, auf welchen Theil das Gift vorzugsweise seine Wirkung übt, ob auf motorische, ob auf sensible Nerven, oder auf den beide zur Reflexbewegung verknüpfenden hypo- thetischen Apparat z. B. die Ganglienkörper. Hier kann nach Stannius und Meyer mit Sicherheit behauptet werden, dass das Gift nicht unmit- telbar als Erreger der motorischen Nerven wirke, sondern die Krämpfe durch Steigerung des reflectorischen Vermögens erzeuge, denn 1. Al- les andere gleichgesetzt, treten die Krämpfe um so seltener hervor, d. h. das Thier stirbt, ohne in auffallende Krämpfe zu gerathen, ab, je weniger es während der Vergiftung Einflüssen ausgesetzt war, welche Reflexbewegung erzeugen. Demnach werden die Krämpfe vermindert, nach Durchschneidung aller sensiblen Nervenwurzeln und umgekehrt vermehrt, resp. jedesmal hervorgerufen, wenn man die Haut des ver- gifteten, aber sonst unversehrten Thieres kneipt oder anderweitig er- regt. 2. Das reflektorische Vermögen des Thieres in der Vergiftung ist ausserordentlich gesteigert, indem schon nach den sanftesten Be- rührungen die heftigsten und allgemeinsten Zusammenziehungen ein- treten. 3. Die Beziehung zwischen Strychninvergiftung und reflekto- rischen Vermögen macht sich auch dadurch geltend, dass bei ersterer die normalen Formen der Bewegung wesentlich geändert werden, in- dem auf Berührung einer bestimmten Hautstelle sich die Bewegung nicht auf die Muskeln beschränkt, welche in reflektorischer Beziehung zu ihr stehen, sondern sich auch weiter verbreitet und namentlich, dass statt des im normalen Zustand eintretenden Wechsels der Bewe- gung unter den ergriffenen Muskeln eine gleichzeitige Bewegung aller ergriffenen eintritt. 4. Endlich ist es bemerkenswerth, dass das erste Symptom des durch Strychnin herbeigeführten Todes darin besteht, dass das Thier sein reflektorisches Vermögen schon eingebüsst hat, während seine motorischen Nerven noch erregbar sind, so dass also auf directe Erregung der motorischen Nerven noch Zuckungen erfol- gen, während sie von den sensiblen Nerven aus nicht mehr zu er- wecken sind.
Die Versuche von Stannius verdienen mannigfaltige Abänderungen, sie versprechen, mit Umsicht angestellt, noch sehr bemerkenswerthe Aufschlüsse.
Zur Beobachtung der Erscheinungen von Strychninvergiftung eignet sich am besten der Frosch. Die Vergiftung kann entweder vorgenommen werden durch un- mittelbare Anwendung der Lösung von essig- oder salpetersaurem Strychnin auf das
Eigenthümliche Erregbarkeit des Rückenmarks.
Der Beweis dafür, dass das Gift nur mittelst des Rückenmarkes den tonischen Krampf hervorruft, liegt einfach darin, dass man wohl durch örtliche Anwendung auf das Rückenmark eines Thieres (des- sen Blutlauf durch das Ausschneiden des Herzens unterbrochen ist) die Krämpfe erwecken kann, niemals aber durch Eintauchen des Ner- ven in die Giftlösung, und ferner, dass niemals die Glieder eines sonst unversehrten vergifteten Thieres in den Krampf gerathen, de- ren motorische Nerven vom Rückenmark getrennt sind.
Es erhebt sich aber nun die Frage, auf welchen Theil das Gift vorzugsweise seine Wirkung übt, ob auf motorische, ob auf sensible Nerven, oder auf den beide zur Reflexbewegung verknüpfenden hypo- thetischen Apparat z. B. die Ganglienkörper. Hier kann nach Stannius und Meyer mit Sicherheit behauptet werden, dass das Gift nicht unmit- telbar als Erreger der motorischen Nerven wirke, sondern die Krämpfe durch Steigerung des reflectorischen Vermögens erzeuge, denn 1. Al- les andere gleichgesetzt, treten die Krämpfe um so seltener hervor, d. h. das Thier stirbt, ohne in auffallende Krämpfe zu gerathen, ab, je weniger es während der Vergiftung Einflüssen ausgesetzt war, welche Reflexbewegung erzeugen. Demnach werden die Krämpfe vermindert, nach Durchschneidung aller sensiblen Nervenwurzeln und umgekehrt vermehrt, resp. jedesmal hervorgerufen, wenn man die Haut des ver- gifteten, aber sonst unversehrten Thieres kneipt oder anderweitig er- regt. 2. Das reflektorische Vermögen des Thieres in der Vergiftung ist ausserordentlich gesteigert, indem schon nach den sanftesten Be- rührungen die heftigsten und allgemeinsten Zusammenziehungen ein- treten. 3. Die Beziehung zwischen Strychninvergiftung und reflekto- rischen Vermögen macht sich auch dadurch geltend, dass bei ersterer die normalen Formen der Bewegung wesentlich geändert werden, in- dem auf Berührung einer bestimmten Hautstelle sich die Bewegung nicht auf die Muskeln beschränkt, welche in reflektorischer Beziehung zu ihr stehen, sondern sich auch weiter verbreitet und namentlich, dass statt des im normalen Zustand eintretenden Wechsels der Bewe- gung unter den ergriffenen Muskeln eine gleichzeitige Bewegung aller ergriffenen eintritt. 4. Endlich ist es bemerkenswerth, dass das erste Symptom des durch Strychnin herbeigeführten Todes darin besteht, dass das Thier sein reflektorisches Vermögen schon eingebüsst hat, während seine motorischen Nerven noch erregbar sind, so dass also auf directe Erregung der motorischen Nerven noch Zuckungen erfol- gen, während sie von den sensiblen Nerven aus nicht mehr zu er- wecken sind.
Die Versuche von Stannius verdienen mannigfaltige Abänderungen, sie versprechen, mit Umsicht angestellt, noch sehr bemerkenswerthe Aufschlüsse.
Zur Beobachtung der Erscheinungen von Strychninvergiftung eignet sich am besten der Frosch. Die Vergiftung kann entweder vorgenommen werden durch un- mittelbare Anwendung der Lösung von essig- oder salpetersaurem Strychnin auf das
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Eigenthümliche Erregbarkeit des Rückenmarks.
Der Beweis dafür, dass das Gift nur mittelst des Rückenmarkes
den tonischen Krampf hervorruft, liegt einfach darin, dass man wohl
durch örtliche Anwendung auf das Rückenmark eines Thieres (des-
sen Blutlauf durch das Ausschneiden des Herzens unterbrochen ist)
die Krämpfe erwecken kann, niemals aber durch Eintauchen des Ner-
ven in die Giftlösung, und ferner, dass niemals die Glieder eines
sonst unversehrten vergifteten Thieres in den Krampf gerathen, de-
ren motorische Nerven vom Rückenmark getrennt sind.
Es erhebt sich aber nun die Frage, auf welchen Theil das Gift
vorzugsweise seine Wirkung übt, ob auf motorische, ob auf sensible
Nerven, oder auf den beide zur Reflexbewegung verknüpfenden hypo-
thetischen Apparat z. B. die Ganglienkörper. Hier kann nach Stannius
und Meyer mit Sicherheit behauptet werden, dass das Gift nicht unmit-
telbar als Erreger der motorischen Nerven wirke, sondern die Krämpfe
durch Steigerung des reflectorischen Vermögens erzeuge, denn 1. Al-
les andere gleichgesetzt, treten die Krämpfe um so seltener hervor,
d. h. das Thier stirbt, ohne in auffallende Krämpfe zu gerathen, ab, je
weniger es während der Vergiftung Einflüssen ausgesetzt war, welche
Reflexbewegung erzeugen. Demnach werden die Krämpfe vermindert,
nach Durchschneidung aller sensiblen Nervenwurzeln und umgekehrt
vermehrt, resp. jedesmal hervorgerufen, wenn man die Haut des ver-
gifteten, aber sonst unversehrten Thieres kneipt oder anderweitig er-
regt. 2. Das reflektorische Vermögen des Thieres in der Vergiftung
ist ausserordentlich gesteigert, indem schon nach den sanftesten Be-
rührungen die heftigsten und allgemeinsten Zusammenziehungen ein-
treten. 3. Die Beziehung zwischen Strychninvergiftung und reflekto-
rischen Vermögen macht sich auch dadurch geltend, dass bei ersterer
die normalen Formen der Bewegung wesentlich geändert werden, in-
dem auf Berührung einer bestimmten Hautstelle sich die Bewegung
nicht auf die Muskeln beschränkt, welche in reflektorischer Beziehung
zu ihr stehen, sondern sich auch weiter verbreitet und namentlich,
dass statt des im normalen Zustand eintretenden Wechsels der Bewe-
gung unter den ergriffenen Muskeln eine gleichzeitige Bewegung aller
ergriffenen eintritt. 4. Endlich ist es bemerkenswerth, dass das erste
Symptom des durch Strychnin herbeigeführten Todes darin besteht,
dass das Thier sein reflektorisches Vermögen schon eingebüsst hat,
während seine motorischen Nerven noch erregbar sind, so dass also
auf directe Erregung der motorischen Nerven noch Zuckungen erfol-
gen, während sie von den sensiblen Nerven aus nicht mehr zu er-
wecken sind.
Die Versuche von Stannius verdienen mannigfaltige Abänderungen, sie
versprechen, mit Umsicht angestellt, noch sehr bemerkenswerthe Aufschlüsse.
Zur Beobachtung der Erscheinungen von Strychninvergiftung eignet sich am
besten der Frosch. Die Vergiftung kann entweder vorgenommen werden durch un-
mittelbare Anwendung der Lösung von essig- oder salpetersaurem Strychnin auf das
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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/165>, abgerufen am 27.11.2024.
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