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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Mechanismus der Einrichtung.
borne Eigenthümlichkeit kurzsichtiger als die der andern. Namentlich
büssen die Augen durch anhaltendes Betrachten naher Gegenstände
die Fähigkeit ein sich für ferne Gegenstände einzurichten (Kurzsich-
tigkeit), während umgekehrt nach lange Zeit fortgesetztem Sehen in
die Ferne das Auge in einen Zustand geräth, in welchem stark diver-
girende Strahlen ihren Brennpunkt nicht mehr auf der Retina, sondern
hinter derselben finden (Fernsichtigkeit) *).

Diese Mittheilungen zeigen, dass es unthunlich sei, den Umfang der deutlichen
Sehweite des menschlichen Auges im Allgemeinen in Zahlen ausgedrückt anzugeben.
-- Zahlreiche Beobachtungen haben nur den allgemeingiltigen Satz festgestellt,
dass die in das Auge convergirend einfallenden Strahlen niemals auf, sondern immer
vor der Retina ihre Vereinigung finden. Augen, denen das Einrichtungsvermögen
im besondern Grade zukommt, vereinigen die aus unendlicher Ferne (parallel)
kommenden Strahlen ebensowohl, als die aus einem Augenabstand von 80 bis
100 M. M. ausgehenden auf der Retina.

Die innern Veränderungen, welche im Auge vorgehen müssen,
um den Vereinigungspunkt der Strahlen bei wechselnder Entfernung
des Leuchtpunktes auf der Retina zu fixiren, beruhen auf der Verkür-
zung willkürlich beweglicher Muskelröhren und zwar scheint die
Verkürzung derselben dem Einrichtungszustand des Auges für die
Nähe zu entsprechen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit darf dann noch
der Zusatz gemacht werden, dass durch die Muskelverkürzung die
Linse im Auge nach vorn geschoben werde, Hueck **).

Diese Angaben halten wir für berechtigt, weil wir willkürlich
unser Auge für verschiedene Entfernungen anpassen können, und
weil eine messbare Zeit nothwendig ist, wenn wir von der genauen
Betrachtung eines entfernten zu der eines nahen Gegenstandes über-
gehen wollen; diese Zeit, welche nach Volkmann ***) durch den
Scheinerschen Versuch messbar sein soll, nähert sich derjenigen an,
welche zu kleinen Muskelverkürzungen nothwendig ist. -- In dem
Zustand einer vollkommenen Ruhe, bei geschlossenen Augenliedern,
scheint das Auge für die Ferne eingerichtet zu sein, wie wir daraus
schliessen, dass nach Eröffnung der Augenlieder jedesmal die Accom-
modation für die Ferne vorhanden ist; Volkmann; und weil wir uns
beim Sehen in die Nähe einer Anstrengung des Auges bewusst
werden.

Die Hypothesen über den optischen Mechanismus, welcher dem Sehen in verschie-
dene Entfernungen zu Grunde liegt, sind zwar sehr zahlreich, aber bei weitem der
grösste Theil derselben verdient der Vergessenheit anheim gegeben zu werden. Zu
diesen letzteren zählen alle diejenigen, welche behaupten, dass auch ohne irgend
welche vorgängige Veränderung im Auge, alle Strahlenbüschel auf der Retina
ihre Vereinigung fänden, die von einem Leuchtpunkt innerhalb der Sehweite aus-

*) Holke Disquisitio de acie oculi u. s. w. Siehe in Valentins Lehrbuch d. Physiologie II. Bd.
3. Abthl. 250.
**) Die Bewegung der Krystallinse. Leipzig 1841.
***) Wagners Handwörterb. III. 1. 309.
14*

Mechanismus der Einrichtung.
borne Eigenthümlichkeit kurzsichtiger als die der andern. Namentlich
büssen die Augen durch anhaltendes Betrachten naher Gegenstände
die Fähigkeit ein sich für ferne Gegenstände einzurichten (Kurzsich-
tigkeit), während umgekehrt nach lange Zeit fortgesetztem Sehen in
die Ferne das Auge in einen Zustand geräth, in welchem stark diver-
girende Strahlen ihren Brennpunkt nicht mehr auf der Retina, sondern
hinter derselben finden (Fernsichtigkeit) *).

Diese Mittheilungen zeigen, dass es unthunlich sei, den Umfang der deutlichen
Sehweite des menschlichen Auges im Allgemeinen in Zahlen ausgedrückt anzugeben.
— Zahlreiche Beobachtungen haben nur den allgemeingiltigen Satz festgestellt,
dass die in das Auge convergirend einfallenden Strahlen niemals auf, sondern immer
vor der Retina ihre Vereinigung finden. Augen, denen das Einrichtungsvermögen
im besondern Grade zukommt, vereinigen die aus unendlicher Ferne (parallel)
kommenden Strahlen ebensowohl, als die aus einem Augenabstand von 80 bis
100 M. M. ausgehenden auf der Retina.

Die innern Veränderungen, welche im Auge vorgehen müssen,
um den Vereinigungspunkt der Strahlen bei wechselnder Entfernung
des Leuchtpunktes auf der Retina zu fixiren, beruhen auf der Verkür-
zung willkürlich beweglicher Muskelröhren und zwar scheint die
Verkürzung derselben dem Einrichtungszustand des Auges für die
Nähe zu entsprechen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit darf dann noch
der Zusatz gemacht werden, dass durch die Muskelverkürzung die
Linse im Auge nach vorn geschoben werde, Hueck **).

Diese Angaben halten wir für berechtigt, weil wir willkürlich
unser Auge für verschiedene Entfernungen anpassen können, und
weil eine messbare Zeit nothwendig ist, wenn wir von der genauen
Betrachtung eines entfernten zu der eines nahen Gegenstandes über-
gehen wollen; diese Zeit, welche nach Volkmann ***) durch den
Scheinerschen Versuch messbar sein soll, nähert sich derjenigen an,
welche zu kleinen Muskelverkürzungen nothwendig ist. — In dem
Zustand einer vollkommenen Ruhe, bei geschlossenen Augenliedern,
scheint das Auge für die Ferne eingerichtet zu sein, wie wir daraus
schliessen, dass nach Eröffnung der Augenlieder jedesmal die Accom-
modation für die Ferne vorhanden ist; Volkmann; und weil wir uns
beim Sehen in die Nähe einer Anstrengung des Auges bewusst
werden.

Die Hypothesen über den optischen Mechanismus, welcher dem Sehen in verschie-
dene Entfernungen zu Grunde liegt, sind zwar sehr zahlreich, aber bei weitem der
grösste Theil derselben verdient der Vergessenheit anheim gegeben zu werden. Zu
diesen letzteren zählen alle diejenigen, welche behaupten, dass auch ohne irgend
welche vorgängige Veränderung im Auge, alle Strahlenbüschel auf der Retina
ihre Vereinigung fänden, die von einem Leuchtpunkt innerhalb der Sehweite aus-

*) Holke Disquisitio de acie oculi u. s. w. Siehe in Valentins Lehrbuch d. Physiologie II. Bd.
3. Abthl. 250.
**) Die Bewegung der Krystallinse. Leipzig 1841.
***) Wagners Handwörterb. III. 1. 309.
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[211/0225] Mechanismus der Einrichtung. borne Eigenthümlichkeit kurzsichtiger als die der andern. Namentlich büssen die Augen durch anhaltendes Betrachten naher Gegenstände die Fähigkeit ein sich für ferne Gegenstände einzurichten (Kurzsich- tigkeit), während umgekehrt nach lange Zeit fortgesetztem Sehen in die Ferne das Auge in einen Zustand geräth, in welchem stark diver- girende Strahlen ihren Brennpunkt nicht mehr auf der Retina, sondern hinter derselben finden (Fernsichtigkeit) *). Diese Mittheilungen zeigen, dass es unthunlich sei, den Umfang der deutlichen Sehweite des menschlichen Auges im Allgemeinen in Zahlen ausgedrückt anzugeben. — Zahlreiche Beobachtungen haben nur den allgemeingiltigen Satz festgestellt, dass die in das Auge convergirend einfallenden Strahlen niemals auf, sondern immer vor der Retina ihre Vereinigung finden. Augen, denen das Einrichtungsvermögen im besondern Grade zukommt, vereinigen die aus unendlicher Ferne (parallel) kommenden Strahlen ebensowohl, als die aus einem Augenabstand von 80 bis 100 M. M. ausgehenden auf der Retina. Die innern Veränderungen, welche im Auge vorgehen müssen, um den Vereinigungspunkt der Strahlen bei wechselnder Entfernung des Leuchtpunktes auf der Retina zu fixiren, beruhen auf der Verkür- zung willkürlich beweglicher Muskelröhren und zwar scheint die Verkürzung derselben dem Einrichtungszustand des Auges für die Nähe zu entsprechen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit darf dann noch der Zusatz gemacht werden, dass durch die Muskelverkürzung die Linse im Auge nach vorn geschoben werde, Hueck **). Diese Angaben halten wir für berechtigt, weil wir willkürlich unser Auge für verschiedene Entfernungen anpassen können, und weil eine messbare Zeit nothwendig ist, wenn wir von der genauen Betrachtung eines entfernten zu der eines nahen Gegenstandes über- gehen wollen; diese Zeit, welche nach Volkmann ***) durch den Scheinerschen Versuch messbar sein soll, nähert sich derjenigen an, welche zu kleinen Muskelverkürzungen nothwendig ist. — In dem Zustand einer vollkommenen Ruhe, bei geschlossenen Augenliedern, scheint das Auge für die Ferne eingerichtet zu sein, wie wir daraus schliessen, dass nach Eröffnung der Augenlieder jedesmal die Accom- modation für die Ferne vorhanden ist; Volkmann; und weil wir uns beim Sehen in die Nähe einer Anstrengung des Auges bewusst werden. Die Hypothesen über den optischen Mechanismus, welcher dem Sehen in verschie- dene Entfernungen zu Grunde liegt, sind zwar sehr zahlreich, aber bei weitem der grösste Theil derselben verdient der Vergessenheit anheim gegeben zu werden. Zu diesen letzteren zählen alle diejenigen, welche behaupten, dass auch ohne irgend welche vorgängige Veränderung im Auge, alle Strahlenbüschel auf der Retina ihre Vereinigung fänden, die von einem Leuchtpunkt innerhalb der Sehweite aus- *) Holke Disquisitio de acie oculi u. s. w. Siehe in Valentins Lehrbuch d. Physiologie II. Bd. 3. Abthl. 250. **) Die Bewegung der Krystallinse. Leipzig 1841. ***) Wagners Handwörterb. III. 1. 309. 14*

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/225>, abgerufen am 27.11.2024.