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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Einleitung.
Strome eigenthümlichen bewegenden Kräfte nicht ohne Vernichtung an-
derer bewegungserzeugender entstanden sein könnten, führt zu der
Annahme, es möchte die eine oder die andere der bei dem galvani-
schen Strome vorgehenden chemischen Umsetzungen die gesuchte
Kraftquelle sein, so dass in Uebereinstimmung mit der Erfahrung kein
Strom ohne Zersetzung bestehen könne.*) -- Ueberlegen wir nun,
welche Art von Wirkungen von Seiten der chemischen Umsetzung
zur Einleitung des Stromes verwendbar ist, so kann diese keine an-
dere sein als diejenige, welche unter andern Umständen Wärme er-
zeugt. Der thatsächliche Beweis für diese Art von Erhaltung, resp.
Einleitung des electrischen Stromes durch die chemische Umsetzung
würde gegeben sein 1) wenn dargethan ist, dass die Electrizitäten
und die Wärme in einer solchen Beziehung zu einander stehen, dass
sie sich gegenseitig anzuregen im Stande sind, mit andern Worten,
dass durch die Wärmeschwingung die Bewegung der electrischen
Flüssigkeit und umgekehrt durch den electrischen Strom Wärme-
schwingungen erzeugt werden könnten. Die Erfahrung entscheidet
bekanntlich für diese Annahme. -- 2) Nur solche chemische Umsez-
zungen dürften einen electrischen Strom erzeugen, welche Wärme aus
dem latenten in den freien Zustand zu führen vermögend wären. Zur
Entscheidung dieses Satzes sind noch keine Versuche angestellt, doch
sprechen wenigstens die bekannten Thatsachen nicht gegen diese An-
nahme. 3) Die durch den electrischen Strom im Maximum erzeugbare
Wärme müsste genau so gross sein als diejenige, welche durch die in
der Flüssigkeit vor sich gehenden Zersetzungen ohne Einleitung eines
Stromes direct frei gemacht werden könnten. 4) Wenn der electrische
Strom Wärme entwickelt, so muss er endlich, unter Annahme der Rich-
tigkeit unserer Voraussetzungen, einen der gebildeten Wärmemenge
proportionalen Verlust an Bewegung erleiden, eine Annahme, die inso-
fern in Uebereinstimmung mit den Thatsachen ist, als die stromhemmen-
den Umstände (der Leitungswiderstand) die wärmeentwicklenden Be-
dingungen des Stromes darstellen.

Die Art und Weise, auf welche der einmal entwickelte Strom eine
Bewegung materieller Theilchen einleiten kann, ist bekanntlich ausser-
ordentlich mannigfaltig; er ist befähigt in seinem Gang durch Flüssig-
keiten in diesen eine Ortsbewegung zu bewirken (electrische Diffu-
sion), zwei von einem Strome durchflossene Leiter können sich an-
ziehen und abstossen, ein Strom vermag ferner durch Vertheilung des
Magnetismus, durch Entwicklung von Wärme oder Gasarten mit laten-
ter Wärme in den von ihm durchflossenen Leitern u. s. w. Bewegun-
gen materieller Massen einzuleiten.

*) Helmholtz, die Erhaltung der Kraft. Berlin 1847, p. 37 u. f.

Einleitung.
Strome eigenthümlichen bewegenden Kräfte nicht ohne Vernichtung an-
derer bewegungserzeugender entstanden sein könnten, führt zu der
Annahme, es möchte die eine oder die andere der bei dem galvani-
schen Strome vorgehenden chemischen Umsetzungen die gesuchte
Kraftquelle sein, so dass in Uebereinstimmung mit der Erfahrung kein
Strom ohne Zersetzung bestehen könne.*) — Ueberlegen wir nun,
welche Art von Wirkungen von Seiten der chemischen Umsetzung
zur Einleitung des Stromes verwendbar ist, so kann diese keine an-
dere sein als diejenige, welche unter andern Umständen Wärme er-
zeugt. Der thatsächliche Beweis für diese Art von Erhaltung, resp.
Einleitung des electrischen Stromes durch die chemische Umsetzung
würde gegeben sein 1) wenn dargethan ist, dass die Electrizitäten
und die Wärme in einer solchen Beziehung zu einander stehen, dass
sie sich gegenseitig anzuregen im Stande sind, mit andern Worten,
dass durch die Wärmeschwingung die Bewegung der electrischen
Flüssigkeit und umgekehrt durch den electrischen Strom Wärme-
schwingungen erzeugt werden könnten. Die Erfahrung entscheidet
bekanntlich für diese Annahme. — 2) Nur solche chemische Umsez-
zungen dürften einen electrischen Strom erzeugen, welche Wärme aus
dem latenten in den freien Zustand zu führen vermögend wären. Zur
Entscheidung dieses Satzes sind noch keine Versuche angestellt, doch
sprechen wenigstens die bekannten Thatsachen nicht gegen diese An-
nahme. 3) Die durch den electrischen Strom im Maximum erzeugbare
Wärme müsste genau so gross sein als diejenige, welche durch die in
der Flüssigkeit vor sich gehenden Zersetzungen ohne Einleitung eines
Stromes direct frei gemacht werden könnten. 4) Wenn der electrische
Strom Wärme entwickelt, so muss er endlich, unter Annahme der Rich-
tigkeit unserer Voraussetzungen, einen der gebildeten Wärmemenge
proportionalen Verlust an Bewegung erleiden, eine Annahme, die inso-
fern in Uebereinstimmung mit den Thatsachen ist, als die stromhemmen-
den Umstände (der Leitungswiderstand) die wärmeentwicklenden Be-
dingungen des Stromes darstellen.

Die Art und Weise, auf welche der einmal entwickelte Strom eine
Bewegung materieller Theilchen einleiten kann, ist bekanntlich ausser-
ordentlich mannigfaltig; er ist befähigt in seinem Gang durch Flüssig-
keiten in diesen eine Ortsbewegung zu bewirken (electrische Diffu-
sion), zwei von einem Strome durchflossene Leiter können sich an-
ziehen und abstossen, ein Strom vermag ferner durch Vertheilung des
Magnetismus, durch Entwicklung von Wärme oder Gasarten mit laten-
ter Wärme in den von ihm durchflossenen Leitern u. s. w. Bewegun-
gen materieller Massen einzuleiten.

*) Helmholtz, die Erhaltung der Kraft. Berlin 1847, p. 37 u. f.
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[9/0023] Einleitung. Strome eigenthümlichen bewegenden Kräfte nicht ohne Vernichtung an- derer bewegungserzeugender entstanden sein könnten, führt zu der Annahme, es möchte die eine oder die andere der bei dem galvani- schen Strome vorgehenden chemischen Umsetzungen die gesuchte Kraftquelle sein, so dass in Uebereinstimmung mit der Erfahrung kein Strom ohne Zersetzung bestehen könne. *) — Ueberlegen wir nun, welche Art von Wirkungen von Seiten der chemischen Umsetzung zur Einleitung des Stromes verwendbar ist, so kann diese keine an- dere sein als diejenige, welche unter andern Umständen Wärme er- zeugt. Der thatsächliche Beweis für diese Art von Erhaltung, resp. Einleitung des electrischen Stromes durch die chemische Umsetzung würde gegeben sein 1) wenn dargethan ist, dass die Electrizitäten und die Wärme in einer solchen Beziehung zu einander stehen, dass sie sich gegenseitig anzuregen im Stande sind, mit andern Worten, dass durch die Wärmeschwingung die Bewegung der electrischen Flüssigkeit und umgekehrt durch den electrischen Strom Wärme- schwingungen erzeugt werden könnten. Die Erfahrung entscheidet bekanntlich für diese Annahme. — 2) Nur solche chemische Umsez- zungen dürften einen electrischen Strom erzeugen, welche Wärme aus dem latenten in den freien Zustand zu führen vermögend wären. Zur Entscheidung dieses Satzes sind noch keine Versuche angestellt, doch sprechen wenigstens die bekannten Thatsachen nicht gegen diese An- nahme. 3) Die durch den electrischen Strom im Maximum erzeugbare Wärme müsste genau so gross sein als diejenige, welche durch die in der Flüssigkeit vor sich gehenden Zersetzungen ohne Einleitung eines Stromes direct frei gemacht werden könnten. 4) Wenn der electrische Strom Wärme entwickelt, so muss er endlich, unter Annahme der Rich- tigkeit unserer Voraussetzungen, einen der gebildeten Wärmemenge proportionalen Verlust an Bewegung erleiden, eine Annahme, die inso- fern in Uebereinstimmung mit den Thatsachen ist, als die stromhemmen- den Umstände (der Leitungswiderstand) die wärmeentwicklenden Be- dingungen des Stromes darstellen. Die Art und Weise, auf welche der einmal entwickelte Strom eine Bewegung materieller Theilchen einleiten kann, ist bekanntlich ausser- ordentlich mannigfaltig; er ist befähigt in seinem Gang durch Flüssig- keiten in diesen eine Ortsbewegung zu bewirken (electrische Diffu- sion), zwei von einem Strome durchflossene Leiter können sich an- ziehen und abstossen, ein Strom vermag ferner durch Vertheilung des Magnetismus, durch Entwicklung von Wärme oder Gasarten mit laten- ter Wärme in den von ihm durchflossenen Leitern u. s. w. Bewegun- gen materieller Massen einzuleiten. *) Helmholtz, die Erhaltung der Kraft. Berlin 1847, p. 37 u. f.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/23>, abgerufen am 23.11.2024.