Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Farblose und farbige Aetherwellen.
Betrachtung unserer Figur zeigt, dass mit der wachsenden Entfernung des Punktes 1
auf der Sehachse K D vom Knotenpunkte K auch der Abstand der Punkte 3, 2 von
4 zunehmen muss, wenn sie verschwinden sollen. Daraus folgt die Regel, dass wenn
man sich mehrere Punkte in einer bestimmten Entfernung von einander auf ein Pa-
pier gezeichnet hat, einige derselben immer nur in einer ganz bestimmten Entfer-
nung des Papiers vom Auge verschwinden werden. Diesen Abstand von der Cornea
muss man, während man die Richtung der Sehachse constant erhält, durch allmä-
liges Annähern und Entfernen des Gegenstandes vom Auge aufsuchen. -- Ist die
Entfernung des Punktes 1 vom Auge und die der Punkte 1, 2, 3, 4, von einander be-
kannt, so lässt sich mit Zugrundelegung des mittleren Auges die Lage und Ausdeh-
nung der unempfindlichen Stelle an der Retina berechnen, wie ein Blick auf unsre
Figur lehrt. Die nach dieser Methode ausgeführten Messungen haben ergeben, dass
die Ausdehnung der unempfindlichen Stelle nicht ganz dem Durchmesser des Sehner-
ven entspricht, Valentin; *) sind diese Messungen hinreichend genau, so folgt
daraus, dass die Unempfindlichkeit sich nicht über den ganzen Querschnitt erstreckt.

Die Beobachtung, dass die Röhren des Optikus nicht aller Orten von
dem bewegten Aether erregt werden, ist auf zweierlei Art zu deuten.
Entweder die lichtempfindlichen, in der Retinaausbreitung vorhandenen,

[Abbildung] Fig. 58.
Enden der Nerven sind physikalisch und chemisch an-
ders geartet, als die Röhren des Stammes; oder die Ner-
ven sind im Stamm und der Ausbreitung gleichartig, so
dass sie nirgends geradezu von den Aetherwellen
erregt werden, aber sie sind in ihrem Verlauf durch die
Retina in Stoffe eingebettet, welche durch den Lichtäther
in einer solchen Art umgewandelt werden, dass sie
selbst nun Erregungsmittel der Nervenröhren werden.
Kölliker **), der sich der letzteren Annahme an-
schliesst, ist nach neuen anatomischen Untersuchungen
geneigt die sogenannten Stäbchen als diejenigen Form-
elemente der Retina zu bezeichnen, welche primär
von den Aetherschwingungen verändert werden.

Nach den neuern Untersuchungen über die Struktur der Retina
von Kölliker, Fig. 58. enden die entweder wie A oder wie B
geformten Stäbchen gegen das Pigment P mit abgestetzten Enden;
ihre dem Nerven zugewendete Seite spitzt sich zu und läuft
schliesslich in einen feinen Faden aus, der bis zur membrana
limitans dringt und somit die Körnerschicht K K und die Ganglien-
zellen und die Nervenröhren durchsetzt; auf welche Art der Faden
endet, ist Kölliker unklar geblieben. Rücksichtlich der Verthei-
lung der Nervenröhren und der Stäbchen behauptet er, dass das Fo-
ramen centrale, der lichtempfindlichste Theil der Netzhaut
Stäbchen aber keine Nervenröhren
besitze, während
die Eintrittsstelle der Sehnerven, der blinde Netzhautort, die
Stäbchen entbehre.
Unter Voraussetzung der Richtigkeit je-
ner Beobachtungen würde gegen die im Text erwähnte Annahme
von Kölliker nichts einzuwenden sein; die aufsteigenden Fäden

*) Lehrbuch der Physiologie II. Bd. 2. Abthl. 165.
**) Handbuch der Gewebelehre. Leipzig 1852. p. 606.

Farblose und farbige Aetherwellen.
Betrachtung unserer Figur zeigt, dass mit der wachsenden Entfernung des Punktes 1
auf der Sehachse K D vom Knotenpunkte K auch der Abstand der Punkte 3, 2 von
4 zunehmen muss, wenn sie verschwinden sollen. Daraus folgt die Regel, dass wenn
man sich mehrere Punkte in einer bestimmten Entfernung von einander auf ein Pa-
pier gezeichnet hat, einige derselben immer nur in einer ganz bestimmten Entfer-
nung des Papiers vom Auge verschwinden werden. Diesen Abstand von der Cornea
muss man, während man die Richtung der Sehachse constant erhält, durch allmä-
liges Annähern und Entfernen des Gegenstandes vom Auge aufsuchen. — Ist die
Entfernung des Punktes 1 vom Auge und die der Punkte 1, 2, 3, 4, von einander be-
kannt, so lässt sich mit Zugrundelegung des mittleren Auges die Lage und Ausdeh-
nung der unempfindlichen Stelle an der Retina berechnen, wie ein Blick auf unsre
Figur lehrt. Die nach dieser Methode ausgeführten Messungen haben ergeben, dass
die Ausdehnung der unempfindlichen Stelle nicht ganz dem Durchmesser des Sehner-
ven entspricht, Valentin; *) sind diese Messungen hinreichend genau, so folgt
daraus, dass die Unempfindlichkeit sich nicht über den ganzen Querschnitt erstreckt.

Die Beobachtung, dass die Röhren des Optikus nicht aller Orten von
dem bewegten Aether erregt werden, ist auf zweierlei Art zu deuten.
Entweder die lichtempfindlichen, in der Retinaausbreitung vorhandenen,

[Abbildung] Fig. 58.
Enden der Nerven sind physikalisch und chemisch an-
ders geartet, als die Röhren des Stammes; oder die Ner-
ven sind im Stamm und der Ausbreitung gleichartig, so
dass sie nirgends geradezu von den Aetherwellen
erregt werden, aber sie sind in ihrem Verlauf durch die
Retina in Stoffe eingebettet, welche durch den Lichtäther
in einer solchen Art umgewandelt werden, dass sie
selbst nun Erregungsmittel der Nervenröhren werden.
Kölliker **), der sich der letzteren Annahme an-
schliesst, ist nach neuen anatomischen Untersuchungen
geneigt die sogenannten Stäbchen als diejenigen Form-
elemente der Retina zu bezeichnen, welche primär
von den Aetherschwingungen verändert werden.

Nach den neuern Untersuchungen über die Struktur der Retina
von Kölliker, Fig. 58. enden die entweder wie A oder wie B
geformten Stäbchen gegen das Pigment P mit abgestetzten Enden;
ihre dem Nerven zugewendete Seite spitzt sich zu und läuft
schliesslich in einen feinen Faden aus, der bis zur membrana
limitans dringt und somit die Körnerschicht K K und die Ganglien-
zellen und die Nervenröhren durchsetzt; auf welche Art der Faden
endet, ist Kölliker unklar geblieben. Rücksichtlich der Verthei-
lung der Nervenröhren und der Stäbchen behauptet er, dass das Fo-
ramen centrale, der lichtempfindlichste Theil der Netzhaut
Stäbchen aber keine Nervenröhren
besitze, während
die Eintrittsstelle der Sehnerven, der blinde Netzhautort, die
Stäbchen entbehre.
Unter Voraussetzung der Richtigkeit je-
ner Beobachtungen würde gegen die im Text erwähnte Annahme
von Kölliker nichts einzuwenden sein; die aufsteigenden Fäden

*) Lehrbuch der Physiologie II. Bd. 2. Abthl. 165.
**) Handbuch der Gewebelehre. Leipzig 1852. p. 606.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0238" n="224"/><fw place="top" type="header">Farblose und farbige Aetherwellen.</fw><lb/>
Betrachtung unserer Figur zeigt, dass mit der wachsenden Entfernung des Punktes 1<lb/>
auf der Sehachse <hi rendition="#i">K D</hi> vom Knotenpunkte <hi rendition="#i">K</hi> auch der Abstand der Punkte 3, 2 von<lb/>
4 zunehmen muss, wenn sie verschwinden sollen. Daraus folgt die Regel, dass wenn<lb/>
man sich mehrere Punkte in einer bestimmten Entfernung von einander auf ein Pa-<lb/>
pier gezeichnet hat, einige derselben immer nur in einer ganz bestimmten Entfer-<lb/>
nung des Papiers vom Auge verschwinden werden. Diesen Abstand von der Cornea<lb/>
muss man, während man die Richtung der Sehachse constant erhält, durch allmä-<lb/>
liges Annähern und Entfernen des Gegenstandes vom Auge aufsuchen. &#x2014; Ist die<lb/>
Entfernung des Punktes 1 vom Auge und die der Punkte 1, 2, 3, 4, von einander be-<lb/>
kannt, so lässt sich mit Zugrundelegung des mittleren Auges die Lage und Ausdeh-<lb/>
nung der unempfindlichen Stelle an der Retina berechnen, wie ein Blick auf unsre<lb/>
Figur lehrt. Die nach dieser Methode ausgeführten Messungen haben ergeben, dass<lb/>
die Ausdehnung der unempfindlichen Stelle nicht ganz dem Durchmesser des Sehner-<lb/>
ven entspricht, <hi rendition="#g">Valentin;</hi> <note place="foot" n="*)">Lehrbuch der Physiologie II. Bd. 2. Abthl. 165.</note> sind diese Messungen hinreichend genau, so folgt<lb/>
daraus, dass die Unempfindlichkeit sich nicht über den ganzen Querschnitt erstreckt.</p><lb/>
            <p>Die Beobachtung, dass die Röhren des Optikus nicht aller Orten von<lb/>
dem bewegten Aether erregt werden, ist auf zweierlei Art zu deuten.<lb/>
Entweder die lichtempfindlichen, in der Retinaausbreitung vorhandenen,<lb/><figure><head>Fig. 58.</head></figure><lb/>
Enden der Nerven sind physikalisch und chemisch an-<lb/>
ders geartet, als die Röhren des Stammes; oder die Ner-<lb/>
ven sind im Stamm und der Ausbreitung gleichartig, so<lb/>
dass sie nirgends geradezu von den Aetherwellen<lb/>
erregt werden, aber sie sind in ihrem Verlauf durch die<lb/>
Retina in Stoffe eingebettet, welche durch den Lichtäther<lb/>
in einer solchen Art umgewandelt werden, dass sie<lb/>
selbst nun Erregungsmittel der Nervenröhren werden.<lb/><hi rendition="#g">Kölliker</hi> <note place="foot" n="**)">Handbuch der Gewebelehre. Leipzig 1852. p. 606.</note>, der sich der letzteren Annahme an-<lb/>
schliesst, ist nach neuen anatomischen Untersuchungen<lb/>
geneigt die sogenannten Stäbchen als diejenigen Form-<lb/>
elemente der Retina zu bezeichnen, welche primär<lb/>
von den Aetherschwingungen verändert werden.</p><lb/>
            <p>Nach den neuern Untersuchungen über die Struktur der Retina<lb/>
von <hi rendition="#g">Kölliker,</hi> Fig. 58. enden die entweder wie <hi rendition="#i">A</hi> oder wie <hi rendition="#i">B</hi><lb/>
geformten Stäbchen gegen das Pigment <hi rendition="#i">P</hi> mit abgestetzten Enden;<lb/>
ihre dem Nerven zugewendete Seite spitzt sich zu und läuft<lb/>
schliesslich in einen feinen Faden aus, der bis zur membrana<lb/>
limitans dringt und somit die Körnerschicht <hi rendition="#i">K K</hi> und die Ganglien-<lb/>
zellen und die Nervenröhren durchsetzt; auf welche Art der Faden<lb/>
endet, ist <hi rendition="#g">Kölliker</hi> unklar geblieben. Rücksichtlich der Verthei-<lb/>
lung der Nervenröhren und der Stäbchen behauptet er, dass das Fo-<lb/>
ramen centrale, der <hi rendition="#g">lichtempfindlichste Theil der Netzhaut<lb/>
Stäbchen aber keine Nervenröhren</hi> besitze, während<lb/>
die Eintrittsstelle der Sehnerven, <hi rendition="#g">der blinde Netzhautort, die<lb/>
Stäbchen entbehre.</hi> Unter Voraussetzung der Richtigkeit je-<lb/>
ner Beobachtungen würde gegen die im Text erwähnte Annahme<lb/>
von <hi rendition="#g">Kölliker</hi> nichts einzuwenden sein; die aufsteigenden Fäden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0238] Farblose und farbige Aetherwellen. Betrachtung unserer Figur zeigt, dass mit der wachsenden Entfernung des Punktes 1 auf der Sehachse K D vom Knotenpunkte K auch der Abstand der Punkte 3, 2 von 4 zunehmen muss, wenn sie verschwinden sollen. Daraus folgt die Regel, dass wenn man sich mehrere Punkte in einer bestimmten Entfernung von einander auf ein Pa- pier gezeichnet hat, einige derselben immer nur in einer ganz bestimmten Entfer- nung des Papiers vom Auge verschwinden werden. Diesen Abstand von der Cornea muss man, während man die Richtung der Sehachse constant erhält, durch allmä- liges Annähern und Entfernen des Gegenstandes vom Auge aufsuchen. — Ist die Entfernung des Punktes 1 vom Auge und die der Punkte 1, 2, 3, 4, von einander be- kannt, so lässt sich mit Zugrundelegung des mittleren Auges die Lage und Ausdeh- nung der unempfindlichen Stelle an der Retina berechnen, wie ein Blick auf unsre Figur lehrt. Die nach dieser Methode ausgeführten Messungen haben ergeben, dass die Ausdehnung der unempfindlichen Stelle nicht ganz dem Durchmesser des Sehner- ven entspricht, Valentin; *) sind diese Messungen hinreichend genau, so folgt daraus, dass die Unempfindlichkeit sich nicht über den ganzen Querschnitt erstreckt. Die Beobachtung, dass die Röhren des Optikus nicht aller Orten von dem bewegten Aether erregt werden, ist auf zweierlei Art zu deuten. Entweder die lichtempfindlichen, in der Retinaausbreitung vorhandenen, [Abbildung Fig. 58.] Enden der Nerven sind physikalisch und chemisch an- ders geartet, als die Röhren des Stammes; oder die Ner- ven sind im Stamm und der Ausbreitung gleichartig, so dass sie nirgends geradezu von den Aetherwellen erregt werden, aber sie sind in ihrem Verlauf durch die Retina in Stoffe eingebettet, welche durch den Lichtäther in einer solchen Art umgewandelt werden, dass sie selbst nun Erregungsmittel der Nervenröhren werden. Kölliker **), der sich der letzteren Annahme an- schliesst, ist nach neuen anatomischen Untersuchungen geneigt die sogenannten Stäbchen als diejenigen Form- elemente der Retina zu bezeichnen, welche primär von den Aetherschwingungen verändert werden. Nach den neuern Untersuchungen über die Struktur der Retina von Kölliker, Fig. 58. enden die entweder wie A oder wie B geformten Stäbchen gegen das Pigment P mit abgestetzten Enden; ihre dem Nerven zugewendete Seite spitzt sich zu und läuft schliesslich in einen feinen Faden aus, der bis zur membrana limitans dringt und somit die Körnerschicht K K und die Ganglien- zellen und die Nervenröhren durchsetzt; auf welche Art der Faden endet, ist Kölliker unklar geblieben. Rücksichtlich der Verthei- lung der Nervenröhren und der Stäbchen behauptet er, dass das Fo- ramen centrale, der lichtempfindlichste Theil der Netzhaut Stäbchen aber keine Nervenröhren besitze, während die Eintrittsstelle der Sehnerven, der blinde Netzhautort, die Stäbchen entbehre. Unter Voraussetzung der Richtigkeit je- ner Beobachtungen würde gegen die im Text erwähnte Annahme von Kölliker nichts einzuwenden sein; die aufsteigenden Fäden *) Lehrbuch der Physiologie II. Bd. 2. Abthl. 165. **) Handbuch der Gewebelehre. Leipzig 1852. p. 606.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/238
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/238>, abgerufen am 23.11.2024.