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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Todtenstarre. Chemische Charakteristik.
die Untersuchungen von Stannius, welcher nachwiess, dass das in
den Muskelgefässen enthaltene Blut noch flüssig ist, wenn schon die
Todtenstarre eingetreten war und noch mehr dass die schon herein-
gebrochene Todtenstarre wieder gelöst, mit andern Worten der Mus-
kel in seinen leistungsfähigen Zustand zurückgeführt werden konnte,
wenn man den Blutstrom, durch dessen Unterbrechung der Muskel
todtenstarr geworden war, wieder durch die Muskelgefässe gehen
liess. Diese Thatsachen beweissen allerdings, dass wenn die Todten-
starre von einer Gerinnung einer im Muskelrohr enthaltenen Flüssig-
keit begleitet ist, diese Flüssigkeit unter andern Bedingungen gerin-
nen muss als der Blutfaserstoff. Aber indem man dieses zugibt,
verneint man noch nicht die Gegenwart des flüssigen Faserstoffs in
den Muskeln, da bekanntlich auch die Zeit der im Blut erschei-
nenden Gerinnung durch Zusatz von Salzen, das Abhalten der Luft
u. s. w. mannigfach modifizirt werden kann. Ebensowenig scheint die
Brückesche Anschauung durch die Thatsache widerlegt werden zu
können, dass es nicht gelingt flüssigen Faserstoff durch Auspressen
der frischen Muskeln zu erhalten, da nach Brücke während des
Auspressens die Muskeln todtenstarr werden. -- Wenn nun die Ge-
genwart des geronnenen Faserstoffs in todtenstarren Muskeln nicht
widerlegt ist, so ist sie aber auch mindestens nicht erwiesen; be-
greiflich kann auch auf anderm Wege als durch die Gerinnung einer
faserstoffähnlichen Flüssigkeit die Steifigkeit und Trübung des tod-
tenstarren Muskels erläutert werden und in der That scheint das Ver-
sehwinden der electrischen Gegensätze, eine Thatsache die zur Zeit
der Entstehung jener Vorstellung noch nicht bekannt war, auf eine
tiefgreifende chemische Revolution innerhalb des Muskels hinzu-
weisen.

Die Zeit des Eintretens der Todtenstarre im verstorbenen Thier
ist eine sehr verschiedene; der Zeitraum, welcher im Menschen und im
Säugethier nach Nysten und Sommer, zwischen dem letzten Athem-
zug und der beginnenden Todtenstarre verfliesst, wechselt zwischen
zehn Minuten bis achtzehn Stunden. Die auf diesen Punkt bezüglichen
Angaben, haben für den Gerichtsarzt vorerst noch mehr Interesse als
für den Physiologen. Hier sei nur folgendes angemerkt. Je leistungs-
fähiger ein Muskel- während des Lebens war, um so rascher fällt er
der Todtenstarre anheim; heftige Anstrengung der Muskeln vor dem
Tode beschleunigen den Eintritt derselben; die Muskeln des Hauptes
und Halses werden früher todtenstarr als die der oberen Extremitäten
und diese früher als die der unteren Gliedmassen; Sommer. --

Die Todtenstarre stellt nun keinen bleibenden, sondern einen vor-
übergehenden Zustand des Muskels dar; sie verliert sich allmälig und
zwar nicht allein wie man bisher glaubte, durch die beginnende Fäul-
niss, sondern auch durch den Hinzutritt von arteriellem Blut; Brown-

Todtenstarre. Chemische Charakteristik.
die Untersuchungen von Stannius, welcher nachwiess, dass das in
den Muskelgefässen enthaltene Blut noch flüssig ist, wenn schon die
Todtenstarre eingetreten war und noch mehr dass die schon herein-
gebrochene Todtenstarre wieder gelöst, mit andern Worten der Mus-
kel in seinen leistungsfähigen Zustand zurückgeführt werden konnte,
wenn man den Blutstrom, durch dessen Unterbrechung der Muskel
todtenstarr geworden war, wieder durch die Muskelgefässe gehen
liess. Diese Thatsachen beweissen allerdings, dass wenn die Todten-
starre von einer Gerinnung einer im Muskelrohr enthaltenen Flüssig-
keit begleitet ist, diese Flüssigkeit unter andern Bedingungen gerin-
nen muss als der Blutfaserstoff. Aber indem man dieses zugibt,
verneint man noch nicht die Gegenwart des flüssigen Faserstoffs in
den Muskeln, da bekanntlich auch die Zeit der im Blut erschei-
nenden Gerinnung durch Zusatz von Salzen, das Abhalten der Luft
u. s. w. mannigfach modifizirt werden kann. Ebensowenig scheint die
Brückesche Anschauung durch die Thatsache widerlegt werden zu
können, dass es nicht gelingt flüssigen Faserstoff durch Auspressen
der frischen Muskeln zu erhalten, da nach Brücke während des
Auspressens die Muskeln todtenstarr werden. — Wenn nun die Ge-
genwart des geronnenen Faserstoffs in todtenstarren Muskeln nicht
widerlegt ist, so ist sie aber auch mindestens nicht erwiesen; be-
greiflich kann auch auf anderm Wege als durch die Gerinnung einer
faserstoffähnlichen Flüssigkeit die Steifigkeit und Trübung des tod-
tenstarren Muskels erläutert werden und in der That scheint das Ver-
sehwinden der electrischen Gegensätze, eine Thatsache die zur Zeit
der Entstehung jener Vorstellung noch nicht bekannt war, auf eine
tiefgreifende chemische Revolution innerhalb des Muskels hinzu-
weisen.

Die Zeit des Eintretens der Todtenstarre im verstorbenen Thier
ist eine sehr verschiedene; der Zeitraum, welcher im Menschen und im
Säugethier nach Nysten und Sommer, zwischen dem letzten Athem-
zug und der beginnenden Todtenstarre verfliesst, wechselt zwischen
zehn Minuten bis achtzehn Stunden. Die auf diesen Punkt bezüglichen
Angaben, haben für den Gerichtsarzt vorerst noch mehr Interesse als
für den Physiologen. Hier sei nur folgendes angemerkt. Je leistungs-
fähiger ein Muskel- während des Lebens war, um so rascher fällt er
der Todtenstarre anheim; heftige Anstrengung der Muskeln vor dem
Tode beschleunigen den Eintritt derselben; die Muskeln des Hauptes
und Halses werden früher todtenstarr als die der oberen Extremitäten
und diese früher als die der unteren Gliedmassen; Sommer. —

Die Todtenstarre stellt nun keinen bleibenden, sondern einen vor-
übergehenden Zustand des Muskels dar; sie verliert sich allmälig und
zwar nicht allein wie man bisher glaubte, durch die beginnende Fäul-
niss, sondern auch durch den Hinzutritt von arteriellem Blut; Brown-

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[347/0361] Todtenstarre. Chemische Charakteristik. die Untersuchungen von Stannius, welcher nachwiess, dass das in den Muskelgefässen enthaltene Blut noch flüssig ist, wenn schon die Todtenstarre eingetreten war und noch mehr dass die schon herein- gebrochene Todtenstarre wieder gelöst, mit andern Worten der Mus- kel in seinen leistungsfähigen Zustand zurückgeführt werden konnte, wenn man den Blutstrom, durch dessen Unterbrechung der Muskel todtenstarr geworden war, wieder durch die Muskelgefässe gehen liess. Diese Thatsachen beweissen allerdings, dass wenn die Todten- starre von einer Gerinnung einer im Muskelrohr enthaltenen Flüssig- keit begleitet ist, diese Flüssigkeit unter andern Bedingungen gerin- nen muss als der Blutfaserstoff. Aber indem man dieses zugibt, verneint man noch nicht die Gegenwart des flüssigen Faserstoffs in den Muskeln, da bekanntlich auch die Zeit der im Blut erschei- nenden Gerinnung durch Zusatz von Salzen, das Abhalten der Luft u. s. w. mannigfach modifizirt werden kann. Ebensowenig scheint die Brückesche Anschauung durch die Thatsache widerlegt werden zu können, dass es nicht gelingt flüssigen Faserstoff durch Auspressen der frischen Muskeln zu erhalten, da nach Brücke während des Auspressens die Muskeln todtenstarr werden. — Wenn nun die Ge- genwart des geronnenen Faserstoffs in todtenstarren Muskeln nicht widerlegt ist, so ist sie aber auch mindestens nicht erwiesen; be- greiflich kann auch auf anderm Wege als durch die Gerinnung einer faserstoffähnlichen Flüssigkeit die Steifigkeit und Trübung des tod- tenstarren Muskels erläutert werden und in der That scheint das Ver- sehwinden der electrischen Gegensätze, eine Thatsache die zur Zeit der Entstehung jener Vorstellung noch nicht bekannt war, auf eine tiefgreifende chemische Revolution innerhalb des Muskels hinzu- weisen. Die Zeit des Eintretens der Todtenstarre im verstorbenen Thier ist eine sehr verschiedene; der Zeitraum, welcher im Menschen und im Säugethier nach Nysten und Sommer, zwischen dem letzten Athem- zug und der beginnenden Todtenstarre verfliesst, wechselt zwischen zehn Minuten bis achtzehn Stunden. Die auf diesen Punkt bezüglichen Angaben, haben für den Gerichtsarzt vorerst noch mehr Interesse als für den Physiologen. Hier sei nur folgendes angemerkt. Je leistungs- fähiger ein Muskel- während des Lebens war, um so rascher fällt er der Todtenstarre anheim; heftige Anstrengung der Muskeln vor dem Tode beschleunigen den Eintritt derselben; die Muskeln des Hauptes und Halses werden früher todtenstarr als die der oberen Extremitäten und diese früher als die der unteren Gliedmassen; Sommer. — Die Todtenstarre stellt nun keinen bleibenden, sondern einen vor- übergehenden Zustand des Muskels dar; sie verliert sich allmälig und zwar nicht allein wie man bisher glaubte, durch die beginnende Fäul- niss, sondern auch durch den Hinzutritt von arteriellem Blut; Brown-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/361>, abgerufen am 22.11.2024.