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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Uebereinstimmung zwischen Nerv und Muskel.
die oben ausgesprochene Vermuthung nicht als eine sehr wahrschein-
liche anerkennen wollte. Zur Gewissheit wird die Hypothese freilich
erst erhoben werden, wenn man zu entwickeln im Stande ist, dass die
Umlagerung, welche die elektrischen Molekeln beim Uebergang des
Zustandes, welcher den ruhenden Muskelstrom erzeugt, in denjenigen,
welcher der negativen Stromesschwankung angehört, die Erscheinung
der Muskelzusammenziehung nach sich ziehen muss.

Die Veränderungen der elastischen Eigenschaften, welche wäh-
rend der Zusammenziehung hervortreten erläutern sich, wie schon ein-
mal erwähnt, wenn man der Vorstellung huldigt, dass im erregten Zu-
stand nicht der ganze sondern nur ein Theil des Muskels seine An-
ziehungskräfte ändert. Indem dieser Theil, z. B. die elektromotorischen
Molekeln, den neuen Anziehungen durch Einnehmen einer andern Stel-
lung Genüge zu leisten streben, setzen andere Theile des Muskels
z. B. die primitive Scheide oder eingestreute elastische Massen, wel-
che ihre alte Anziehung behaupten, dieser Lagenveränderung einen
Widerstand entgegen; wenn nun mit der fortschreitenden Lagenver-
änderung dieser Widerstand im Wachsen begriffen ist, und wenn er
namentlich rascher wächst als die anziehenden Kräfte der Molekeln,
so muss es begreiflich dahin kommen, dass die elastischen Kräfte mit
steigender Verkürzung abnehmen.

Die grosse Aehnlichkeit zwischen den Muskeln und Nerven wird
auch ohne dass sie besonders hervorgehoben würde, schon aufgefal-
len sein. Denn es ist bemerkenswerth dass beide nur unter dem Be-
stande einer bestimmten chemischen Zusammensetzung ihre Lebens-
eigenschaften behaupten; dass mit der Entwicklung ihrer physiolo-
gischen Kräfte im ruhenden und thätigen Zustande chemische Umsez-
zungen in ihnen erfolgen, an denen sich das Sauerstoffgas betheiligt;
ferner dass sie eine sehr ähnliche wenn nicht gleichartige elektrische
Constitution besitzen; endlich dass sie von denselben Erregern
eine Umänderung in ihren molekularen Eigenthümlichkeit erleiden.
Darum sind aber die beiden Apparate noch nicht identisch, denn es
ist zunächst ihre mechanische Constitution eine verschiedene; ferner
ist die elektrische dadurch als eine voneinander abweichende bezeich-
net, dass den Muskeln die dipolare Anordnung (der electrotonische
Zustand) der electrischen Molekeln nicht zukommt und endlich ist auch
die chemische Zusammensetzung, wie wir aus den Hirnanalysen
schliessen dürfen eine in vieler Beziehung andere.


Uebereinstimmung zwischen Nerv und Muskel.
die oben ausgesprochene Vermuthung nicht als eine sehr wahrschein-
liche anerkennen wollte. Zur Gewissheit wird die Hypothese freilich
erst erhoben werden, wenn man zu entwickeln im Stande ist, dass die
Umlagerung, welche die elektrischen Molekeln beim Uebergang des
Zustandes, welcher den ruhenden Muskelstrom erzeugt, in denjenigen,
welcher der negativen Stromesschwankung angehört, die Erscheinung
der Muskelzusammenziehung nach sich ziehen muss.

Die Veränderungen der elastischen Eigenschaften, welche wäh-
rend der Zusammenziehung hervortreten erläutern sich, wie schon ein-
mal erwähnt, wenn man der Vorstellung huldigt, dass im erregten Zu-
stand nicht der ganze sondern nur ein Theil des Muskels seine An-
ziehungskräfte ändert. Indem dieser Theil, z. B. die elektromotorischen
Molekeln, den neuen Anziehungen durch Einnehmen einer andern Stel-
lung Genüge zu leisten streben, setzen andere Theile des Muskels
z. B. die primitive Scheide oder eingestreute elastische Massen, wel-
che ihre alte Anziehung behaupten, dieser Lagenveränderung einen
Widerstand entgegen; wenn nun mit der fortschreitenden Lagenver-
änderung dieser Widerstand im Wachsen begriffen ist, und wenn er
namentlich rascher wächst als die anziehenden Kräfte der Molekeln,
so muss es begreiflich dahin kommen, dass die elastischen Kräfte mit
steigender Verkürzung abnehmen.

Die grosse Aehnlichkeit zwischen den Muskeln und Nerven wird
auch ohne dass sie besonders hervorgehoben würde, schon aufgefal-
len sein. Denn es ist bemerkenswerth dass beide nur unter dem Be-
stande einer bestimmten chemischen Zusammensetzung ihre Lebens-
eigenschaften behaupten; dass mit der Entwicklung ihrer physiolo-
gischen Kräfte im ruhenden und thätigen Zustande chemische Umsez-
zungen in ihnen erfolgen, an denen sich das Sauerstoffgas betheiligt;
ferner dass sie eine sehr ähnliche wenn nicht gleichartige elektrische
Constitution besitzen; endlich dass sie von denselben Erregern
eine Umänderung in ihren molekularen Eigenthümlichkeit erleiden.
Darum sind aber die beiden Apparate noch nicht identisch, denn es
ist zunächst ihre mechanische Constitution eine verschiedene; ferner
ist die elektrische dadurch als eine voneinander abweichende bezeich-
net, dass den Muskeln die dipolare Anordnung (der electrotonische
Zustand) der electrischen Molekeln nicht zukommt und endlich ist auch
die chemische Zusammensetzung, wie wir aus den Hirnanalysen
schliessen dürfen eine in vieler Beziehung andere.


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[352/0366] Uebereinstimmung zwischen Nerv und Muskel. die oben ausgesprochene Vermuthung nicht als eine sehr wahrschein- liche anerkennen wollte. Zur Gewissheit wird die Hypothese freilich erst erhoben werden, wenn man zu entwickeln im Stande ist, dass die Umlagerung, welche die elektrischen Molekeln beim Uebergang des Zustandes, welcher den ruhenden Muskelstrom erzeugt, in denjenigen, welcher der negativen Stromesschwankung angehört, die Erscheinung der Muskelzusammenziehung nach sich ziehen muss. Die Veränderungen der elastischen Eigenschaften, welche wäh- rend der Zusammenziehung hervortreten erläutern sich, wie schon ein- mal erwähnt, wenn man der Vorstellung huldigt, dass im erregten Zu- stand nicht der ganze sondern nur ein Theil des Muskels seine An- ziehungskräfte ändert. Indem dieser Theil, z. B. die elektromotorischen Molekeln, den neuen Anziehungen durch Einnehmen einer andern Stel- lung Genüge zu leisten streben, setzen andere Theile des Muskels z. B. die primitive Scheide oder eingestreute elastische Massen, wel- che ihre alte Anziehung behaupten, dieser Lagenveränderung einen Widerstand entgegen; wenn nun mit der fortschreitenden Lagenver- änderung dieser Widerstand im Wachsen begriffen ist, und wenn er namentlich rascher wächst als die anziehenden Kräfte der Molekeln, so muss es begreiflich dahin kommen, dass die elastischen Kräfte mit steigender Verkürzung abnehmen. Die grosse Aehnlichkeit zwischen den Muskeln und Nerven wird auch ohne dass sie besonders hervorgehoben würde, schon aufgefal- len sein. Denn es ist bemerkenswerth dass beide nur unter dem Be- stande einer bestimmten chemischen Zusammensetzung ihre Lebens- eigenschaften behaupten; dass mit der Entwicklung ihrer physiolo- gischen Kräfte im ruhenden und thätigen Zustande chemische Umsez- zungen in ihnen erfolgen, an denen sich das Sauerstoffgas betheiligt; ferner dass sie eine sehr ähnliche wenn nicht gleichartige elektrische Constitution besitzen; endlich dass sie von denselben Erregern eine Umänderung in ihren molekularen Eigenthümlichkeit erleiden. Darum sind aber die beiden Apparate noch nicht identisch, denn es ist zunächst ihre mechanische Constitution eine verschiedene; ferner ist die elektrische dadurch als eine voneinander abweichende bezeich- net, dass den Muskeln die dipolare Anordnung (der electrotonische Zustand) der electrischen Molekeln nicht zukommt und endlich ist auch die chemische Zusammensetzung, wie wir aus den Hirnanalysen schliessen dürfen eine in vieler Beziehung andere.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/366>, abgerufen am 22.11.2024.