Die absolute Atomzahl stellt Mulder durch C13 H10 N2 O5 dar; dass diese An- nahme ungenügend sei, geht schon daraus hervor, weil in dieser Formel der Schwe- fel keine Stelle erhalten hat. Zudem sind die Verbindungen mit Cl und Gerbsäure, welche Mulder zur Bestimmung des Atomgewichts benutzt hat, entweder leicht zer- setzlich, oder sehr complizirter Natur. Die Zersetzungsprodukte des Leims führen zudem zu ganz anderen Annahmen, dahin nämlich, dass der Leim und die Eiweissstoffe gewisse gemeinsame Atomgruppen enthalten, so dass sich also der Leim diesen Stoffen sehr annähert. Denn: mit chromsauren Kali oder Mangansuperoxyd und Schwefelsäure behandelt, gibt Leim alle die Zersetzungsprodukte der Eiweissstoffe mit der wahrscheinlich unwesentlichen Ausnahme des Aldehyds der Propionsäure. Mit SO3 und Alkalien gekocht zerfällt er nach Mulder (neben andern Produkten?) in Ammoniak, Glycocoll und Leucin. Guckelberger, der zuerst die Aehnlichkeit der Zersetzungsprodukte der Eiweissstoffe und des Leims durch Oxydationsmittel nachgewiesen, glaubt Casein und Leim als entgegenstehende Glieder einer Gruppe aufstellen zu dürfen, indem Casein am meisten Bittermandelöl und Benzoesäure, Leim dagegen am meisten Essigsäure und Ameisensäure liefere. Die Aehnlichkeit beider. Stoffe bethätigt sich auch durch die mannigfache Uebereinstimmung in physi- kalischen Eigenschaften.
Collagen zeigt wie die Eiweissstoffe die sogenannte Selbstzersez- zung; diese geschieht unter denselben Bedingungen wie die des Ei- weisses; ausnahmsweise hindern arsenige Säure und Gerbsäure die Leimzersetzung, aber nicht die der Eiweissstoffe. Während derselben wirkt es ebenfalls fermentirend, und zwar so weit bekannt, ähnlich den Eiweissstoffen. Ob es aber und wie es hierdurch für den Organis- mus bedeutend wird, ist unbekannt. -- Von seinen übrigen chemischen Eigenschaften ist nichts wesentliches bekannt, da Collagen nicht als solches in Auflösung gebracht werden kann.
In seinen physikalischen Eigenschaften, namentlich denen der Imbi- bition, der Elastizität, des Mangels an Crystallisationsvermögen, steht es den festen Eiweissstoffen nahe. Wir müssen aber ihre Besprechung auf Knochen, Bindegewebe, Haut u. s. w. verweisen, weil wir bis jetzt nur die Eigenschaften des in bestimmte Formen gebrachten Col- lagens, nicht aber die des homogenen Stoffes kennen.
Das Collagen wird beim Fleischfresser schon mit der Nahrung eingeführt; beim Säugling und bei den von Pflanzenkost lebenden In- dividuen dagegen niemals; bei diesen muss es sich also im Organis- mus bilden.
Anhangsweise verdient erwähnt zu werden, dass Scherer*) im sogenannten weissen Blut Milzkranker, einen Stoff fand, dessen Reaktionen denen des Leims identisch waren.
*) Verhandlungen der med. physikalischen Gesellschaft zu Würzburg II. Bd. 321.
Collagen.
Die absolute Atomzahl stellt Mulder durch C13 H10 N2 O5 dar; dass diese An- nahme ungenügend sei, geht schon daraus hervor, weil in dieser Formel der Schwe- fel keine Stelle erhalten hat. Zudem sind die Verbindungen mit Cl und Gerbsäure, welche Mulder zur Bestimmung des Atomgewichts benutzt hat, entweder leicht zer- setzlich, oder sehr complizirter Natur. Die Zersetzungsprodukte des Leims führen zudem zu ganz anderen Annahmen, dahin nämlich, dass der Leim und die Eiweissstoffe gewisse gemeinsame Atomgruppen enthalten, so dass sich also der Leim diesen Stoffen sehr annähert. Denn: mit chromsauren Kali oder Mangansuperoxyd und Schwefelsäure behandelt, gibt Leim alle die Zersetzungsprodukte der Eiweissstoffe mit der wahrscheinlich unwesentlichen Ausnahme des Aldehyds der Propionsäure. Mit SO3 und Alkalien gekocht zerfällt er nach Mulder (neben andern Produkten?) in Ammoniak, Glycocoll und Leucin. Guckelberger, der zuerst die Aehnlichkeit der Zersetzungsprodukte der Eiweissstoffe und des Leims durch Oxydationsmittel nachgewiesen, glaubt Casein und Leim als entgegenstehende Glieder einer Gruppe aufstellen zu dürfen, indem Casein am meisten Bittermandelöl und Benzoesäure, Leim dagegen am meisten Essigsäure und Ameisensäure liefere. Die Aehnlichkeit beider. Stoffe bethätigt sich auch durch die mannigfache Uebereinstimmung in physi- kalischen Eigenschaften.
Collagen zeigt wie die Eiweissstoffe die sogenannte Selbstzersez- zung; diese geschieht unter denselben Bedingungen wie die des Ei- weisses; ausnahmsweise hindern arsenige Säure und Gerbsäure die Leimzersetzung, aber nicht die der Eiweissstoffe. Während derselben wirkt es ebenfalls fermentirend, und zwar so weit bekannt, ähnlich den Eiweissstoffen. Ob es aber und wie es hierdurch für den Organis- mus bedeutend wird, ist unbekannt. — Von seinen übrigen chemischen Eigenschaften ist nichts wesentliches bekannt, da Collagen nicht als solches in Auflösung gebracht werden kann.
In seinen physikalischen Eigenschaften, namentlich denen der Imbi- bition, der Elastizität, des Mangels an Crystallisationsvermögen, steht es den festen Eiweissstoffen nahe. Wir müssen aber ihre Besprechung auf Knochen, Bindegewebe, Haut u. s. w. verweisen, weil wir bis jetzt nur die Eigenschaften des in bestimmte Formen gebrachten Col- lagens, nicht aber die des homogenen Stoffes kennen.
Das Collagen wird beim Fleischfresser schon mit der Nahrung eingeführt; beim Säugling und bei den von Pflanzenkost lebenden In- dividuen dagegen niemals; bei diesen muss es sich also im Organis- mus bilden.
Anhangsweise verdient erwähnt zu werden, dass Scherer*) im sogenannten weissen Blut Milzkranker, einen Stoff fand, dessen Reaktionen denen des Leims identisch waren.
*) Verhandlungen der med. physikalischen Gesellschaft zu Würzburg II. Bd. 321.
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fel keine Stelle erhalten hat. Zudem sind die Verbindungen mit Cl und Gerbsäure,
welche Mulder zur Bestimmung des Atomgewichts benutzt hat, entweder leicht zer-
setzlich, oder sehr complizirter Natur. Die Zersetzungsprodukte des Leims führen
zudem zu ganz anderen Annahmen, dahin nämlich, dass der Leim und die Eiweissstoffe
gewisse gemeinsame Atomgruppen enthalten, so dass sich also der Leim diesen
Stoffen sehr annähert. Denn: mit chromsauren Kali oder Mangansuperoxyd und
Schwefelsäure behandelt, gibt Leim alle die Zersetzungsprodukte der Eiweissstoffe
mit der wahrscheinlich unwesentlichen Ausnahme des Aldehyds der Propionsäure.
Mit SO3 und Alkalien gekocht zerfällt er nach Mulder (neben andern Produkten?)
in Ammoniak, Glycocoll und Leucin. Guckelberger, der zuerst die Aehnlichkeit
der Zersetzungsprodukte der Eiweissstoffe und des Leims durch Oxydationsmittel
nachgewiesen, glaubt Casein und Leim als entgegenstehende Glieder einer Gruppe
aufstellen zu dürfen, indem Casein am meisten Bittermandelöl und Benzoesäure,
Leim dagegen am meisten Essigsäure und Ameisensäure liefere. Die Aehnlichkeit
beider. Stoffe bethätigt sich auch durch die mannigfache Uebereinstimmung in physi-
kalischen Eigenschaften.
Collagen zeigt wie die Eiweissstoffe die sogenannte Selbstzersez-
zung; diese geschieht unter denselben Bedingungen wie die des Ei-
weisses; ausnahmsweise hindern arsenige Säure und Gerbsäure die
Leimzersetzung, aber nicht die der Eiweissstoffe. Während derselben
wirkt es ebenfalls fermentirend, und zwar so weit bekannt, ähnlich
den Eiweissstoffen. Ob es aber und wie es hierdurch für den Organis-
mus bedeutend wird, ist unbekannt. — Von seinen übrigen chemischen
Eigenschaften ist nichts wesentliches bekannt, da Collagen nicht als
solches in Auflösung gebracht werden kann.
In seinen physikalischen Eigenschaften, namentlich denen der Imbi-
bition, der Elastizität, des Mangels an Crystallisationsvermögen, steht
es den festen Eiweissstoffen nahe. Wir müssen aber ihre Besprechung
auf Knochen, Bindegewebe, Haut u. s. w. verweisen, weil wir bis
jetzt nur die Eigenschaften des in bestimmte Formen gebrachten Col-
lagens, nicht aber die des homogenen Stoffes kennen.
Das Collagen wird beim Fleischfresser schon mit der Nahrung
eingeführt; beim Säugling und bei den von Pflanzenkost lebenden In-
dividuen dagegen niemals; bei diesen muss es sich also im Organis-
mus bilden.
Anhangsweise verdient erwähnt zu werden, dass Scherer *) im sogenannten
weissen Blut Milzkranker, einen Stoff fand, dessen Reaktionen denen des Leims
identisch waren.
*) Verhandlungen der med. physikalischen Gesellschaft zu Würzburg II. Bd. 321.
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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/64>, abgerufen am 23.11.2024.
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