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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Körner, Fasern, Platten.
sammengesetzten Flüssigkeiten durchtränkt ist. Nun lehrt aber zu dem
noch die anatomische Beobachtung, dass ausser diesen einfachsten Mög-
lichkeiten für die bezeichneten Massenanordnungen andere complizirtere
bestehen müssen. Denn es sollen plötzlich da Platten oder Fasern auf-
treten, wo kurz vorher noch Körnchen vorhanden waren; diese müssen
also, indem sie aneinander lagerten, Eigenschaften angenommen haben,
die ihr Zusammenkleben ermöglichten; oder umgekehrt, es sollen Platten
in Fasern und diese wieder in Körnchen zerfallen, ein Vorgang, der ein
Lösungsmittel irgend welcher Art verlangt, welches entweder partiell
wirkt, oder welches in der Platte oder Faser einen mit ihrem Ort wech-
selnden Widerstand findet, sodass die Auflösung der Faser oder Platte
nicht gleichmässig und gleichzeitig vor sich gehen kann.

Die thierischen Elementarformen sind nun aber, wie bekannt, meist
eigenthümlich angeordnete Platten, Fasern und Körnchen; denn die Platte
stellt den Mantel eines kugelartigen, röhrenförmigen u. dergl. Gebildes
vor, die Fasern sind zu Bündeln und Netzen zusammengebracht u. s. w.
Demnach müssen auch Veranstaltungen getroffen sein, um die Platte und
Faser in diese Formen zu prägen. Da es uns hier offenbar zu ermü-
denden, breiten und ausserdem auch noch wenig fruchtbringenden Erör-
terungen führen würde, wenn wir alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen
wollten, so ziehen wir es vor, nur einen Fall, der bis dahin die Anato-
men am meisten beschäftigt hat, zu erörtern. Wir meinen die Zellen-
bildung.

Die Gestalt und die chemische Zusammensetzung der Zellen dieses
verbreiteten Formelementes ist so verschieden, dass eine allgemein pas-
sende Bezeichnung derselben nur aussagen kann: die Zellen bestehen aus
einer dehnbaren, porösen Haut, welche einen kleinen, Flüssigkeit ent-
haltenden Binnenraum umgrenzt, dessen verschiedene Durchmesser nicht
gar zu beträchtlich voneinander abweichen*). -- Die Anatomen geben
an, beobachtet zu haben, dass an den Orten, an welchen sich Zellen
entwickeln, eine grosse Reihe verschiedener Einrichtungen vorhanden sind,
welche in innigster Beziehung zu jenem Bildungsakte stehen. 1) In einer
Flüssigkeit schwimmen feine Tröpfchen einer andern; ein häutiger Nie-
derschlag an der Berührungsstelle beider Flüssigkeiten führe zur Zellen-
bildung. -- 2) Eine grössere oder kleinere Menge von Körnchen ballt
sich zu einem Häufchen; es erfolge in die Unebenheiten der äussern
Begrenzung ein zusammenhängender Niederschlag, und damit würde eine
Zelle gebildet sein. -- 3) Einige Körnchen lagern sich in der Art zu-

*) Um diese noch immerhin vage, aber einzig mögliche Definition zu zertrümmern, hat man neuer-
lichst angefangen, noch das Bläschen und die Zelle zu trennen. Man setzt den Unterschied
dieser beiden in die Eigenschaft, dass das Bläschen ein in der Zeit unveränderliches, die Zelle
ein veränderliches, entwicklungsfähiges Gebilde sei. Mit diesem Kennzeichen ist aber nichts ge-
than, wenn nicht zugleich bewiesen wird, dass der Grund für dieses verschiedene Verhalten in
der Zelle selbst gelegen sei. Denn dann könnte man auch zwei Stücke reinen Eisens für verschie-
den erklären wollen, wenn man die Absicht hegte, das eine in luftfreies Wasser und das andere
in Salpetersäure zu werfen.

Körner, Fasern, Platten.
sammengesetzten Flüssigkeiten durchtränkt ist. Nun lehrt aber zu dem
noch die anatomische Beobachtung, dass ausser diesen einfachsten Mög-
lichkeiten für die bezeichneten Massenanordnungen andere complizirtere
bestehen müssen. Denn es sollen plötzlich da Platten oder Fasern auf-
treten, wo kurz vorher noch Körnchen vorhanden waren; diese müssen
also, indem sie aneinander lagerten, Eigenschaften angenommen haben,
die ihr Zusammenkleben ermöglichten; oder umgekehrt, es sollen Platten
in Fasern und diese wieder in Körnchen zerfallen, ein Vorgang, der ein
Lösungsmittel irgend welcher Art verlangt, welches entweder partiell
wirkt, oder welches in der Platte oder Faser einen mit ihrem Ort wech-
selnden Widerstand findet, sodass die Auflösung der Faser oder Platte
nicht gleichmässig und gleichzeitig vor sich gehen kann.

Die thierischen Elementarformen sind nun aber, wie bekannt, meist
eigenthümlich angeordnete Platten, Fasern und Körnchen; denn die Platte
stellt den Mantel eines kugelartigen, röhrenförmigen u. dergl. Gebildes
vor, die Fasern sind zu Bündeln und Netzen zusammengebracht u. s. w.
Demnach müssen auch Veranstaltungen getroffen sein, um die Platte und
Faser in diese Formen zu prägen. Da es uns hier offenbar zu ermü-
denden, breiten und ausserdem auch noch wenig fruchtbringenden Erör-
terungen führen würde, wenn wir alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen
wollten, so ziehen wir es vor, nur einen Fall, der bis dahin die Anato-
men am meisten beschäftigt hat, zu erörtern. Wir meinen die Zellen-
bildung.

Die Gestalt und die chemische Zusammensetzung der Zellen dieses
verbreiteten Formelementes ist so verschieden, dass eine allgemein pas-
sende Bezeichnung derselben nur aussagen kann: die Zellen bestehen aus
einer dehnbaren, porösen Haut, welche einen kleinen, Flüssigkeit ent-
haltenden Binnenraum umgrenzt, dessen verschiedene Durchmesser nicht
gar zu beträchtlich voneinander abweichen*). — Die Anatomen geben
an, beobachtet zu haben, dass an den Orten, an welchen sich Zellen
entwickeln, eine grosse Reihe verschiedener Einrichtungen vorhanden sind,
welche in innigster Beziehung zu jenem Bildungsakte stehen. 1) In einer
Flüssigkeit schwimmen feine Tröpfchen einer andern; ein häutiger Nie-
derschlag an der Berührungsstelle beider Flüssigkeiten führe zur Zellen-
bildung. — 2) Eine grössere oder kleinere Menge von Körnchen ballt
sich zu einem Häufchen; es erfolge in die Unebenheiten der äussern
Begrenzung ein zusammenhängender Niederschlag, und damit würde eine
Zelle gebildet sein. — 3) Einige Körnchen lagern sich in der Art zu-

*) Um diese noch immerhin vage, aber einzig mögliche Definition zu zertrümmern, hat man neuer-
lichst angefangen, noch das Bläschen und die Zelle zu trennen. Man setzt den Unterschied
dieser beiden in die Eigenschaft, dass das Bläschen ein in der Zeit unveränderliches, die Zelle
ein veränderliches, entwicklungsfähiges Gebilde sei. Mit diesem Kennzeichen ist aber nichts ge-
than, wenn nicht zugleich bewiesen wird, dass der Grund für dieses verschiedene Verhalten in
der Zelle selbst gelegen sei. Denn dann könnte man auch zwei Stücke reinen Eisens für verschie-
den erklären wollen, wenn man die Absicht hegte, das eine in luftfreies Wasser und das andere
in Salpetersäure zu werfen.
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[160/0176] Körner, Fasern, Platten. sammengesetzten Flüssigkeiten durchtränkt ist. Nun lehrt aber zu dem noch die anatomische Beobachtung, dass ausser diesen einfachsten Mög- lichkeiten für die bezeichneten Massenanordnungen andere complizirtere bestehen müssen. Denn es sollen plötzlich da Platten oder Fasern auf- treten, wo kurz vorher noch Körnchen vorhanden waren; diese müssen also, indem sie aneinander lagerten, Eigenschaften angenommen haben, die ihr Zusammenkleben ermöglichten; oder umgekehrt, es sollen Platten in Fasern und diese wieder in Körnchen zerfallen, ein Vorgang, der ein Lösungsmittel irgend welcher Art verlangt, welches entweder partiell wirkt, oder welches in der Platte oder Faser einen mit ihrem Ort wech- selnden Widerstand findet, sodass die Auflösung der Faser oder Platte nicht gleichmässig und gleichzeitig vor sich gehen kann. Die thierischen Elementarformen sind nun aber, wie bekannt, meist eigenthümlich angeordnete Platten, Fasern und Körnchen; denn die Platte stellt den Mantel eines kugelartigen, röhrenförmigen u. dergl. Gebildes vor, die Fasern sind zu Bündeln und Netzen zusammengebracht u. s. w. Demnach müssen auch Veranstaltungen getroffen sein, um die Platte und Faser in diese Formen zu prägen. Da es uns hier offenbar zu ermü- denden, breiten und ausserdem auch noch wenig fruchtbringenden Erör- terungen führen würde, wenn wir alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen wollten, so ziehen wir es vor, nur einen Fall, der bis dahin die Anato- men am meisten beschäftigt hat, zu erörtern. Wir meinen die Zellen- bildung. Die Gestalt und die chemische Zusammensetzung der Zellen dieses verbreiteten Formelementes ist so verschieden, dass eine allgemein pas- sende Bezeichnung derselben nur aussagen kann: die Zellen bestehen aus einer dehnbaren, porösen Haut, welche einen kleinen, Flüssigkeit ent- haltenden Binnenraum umgrenzt, dessen verschiedene Durchmesser nicht gar zu beträchtlich voneinander abweichen *). — Die Anatomen geben an, beobachtet zu haben, dass an den Orten, an welchen sich Zellen entwickeln, eine grosse Reihe verschiedener Einrichtungen vorhanden sind, welche in innigster Beziehung zu jenem Bildungsakte stehen. 1) In einer Flüssigkeit schwimmen feine Tröpfchen einer andern; ein häutiger Nie- derschlag an der Berührungsstelle beider Flüssigkeiten führe zur Zellen- bildung. — 2) Eine grössere oder kleinere Menge von Körnchen ballt sich zu einem Häufchen; es erfolge in die Unebenheiten der äussern Begrenzung ein zusammenhängender Niederschlag, und damit würde eine Zelle gebildet sein. — 3) Einige Körnchen lagern sich in der Art zu- *) Um diese noch immerhin vage, aber einzig mögliche Definition zu zertrümmern, hat man neuer- lichst angefangen, noch das Bläschen und die Zelle zu trennen. Man setzt den Unterschied dieser beiden in die Eigenschaft, dass das Bläschen ein in der Zeit unveränderliches, die Zelle ein veränderliches, entwicklungsfähiges Gebilde sei. Mit diesem Kennzeichen ist aber nichts ge- than, wenn nicht zugleich bewiesen wird, dass der Grund für dieses verschiedene Verhalten in der Zelle selbst gelegen sei. Denn dann könnte man auch zwei Stücke reinen Eisens für verschie- den erklären wollen, wenn man die Absicht hegte, das eine in luftfreies Wasser und das andere in Salpetersäure zu werfen.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/176>, abgerufen am 24.11.2024.