sie umspülenden Flüssigkeiten geschieht. Diese Veränderungen, worin sie auch bestehen mögen, lassen sich, so weit sie die Zellenhaut angehen, zurückführen auf einfaches Aufquellen, auf eine totale oder partielle Auf- legung neuer Stoffe oder auf eine partielle oder totale Auflösung derselben. Im Inhalt dagegen können neue Formbestandtheile entstehen, früher be- standene untergehen, oder es kann der flüssig gebliebene Inhalt sich meh- ren oder mindern.
So bemerkenswerth, um nicht zu sagen sonderbar, die Umwande- lungen oft genug ausfallen, so stellt sich doch nirgends einer Erklä- rung derselben aus den gewöhnlichen Molekularkräften eine prinzipielle Schwierigkeit entgegen. Man weiss allgemein, dass die Wandungen nie- mals aus einer einzigen stabilen chemischen Verbindung aufgebaut sind, sondern dass sie jedesmal ein Gemenge aus festen und flüssigen Massen zugleich darstellen; ihre festen Massen sind von Flüssigkeit durchtränkt. Warum soll also eine Zelle sich nicht ausdehnen können, wenn in ihren Flüssigkeiten Niederschläge erfolgen? In der That lag diese Hypothese für die Erklärung der einfachen und allseitigen Vergrösserung der Zellenhaut so nahe, dass Schwann, dem wir so viele anatomische Entdeckungen über die thierischen Elementartheile verdanken, nicht allein sogleich auf sie verfiel, sondern sie auch zugleich so wahrschein- lich zu machen wusste, dass dieselbe allseitig Eingang gewann. -- Für die Erklärung der partiellen Lösungen oder Auflagerungen ist uns frei- lich keine Hypothese von ähnlicher Tragweite und Einfachheit bekannt, aber jedenfalls ist doch einzusehen, dass die chemische Natur der Haut, wenn sie auch ursprünglich überall dieselbe war, doch mit der Zeit von Ort zu Ort variabel werden kann. Denn die Haut hat doch immer- hin eine endliche Ausdehnung, mag dieselbe auch sehr klein sein; dazu ist sie in allen uns bekannten Fällen, in denen sie eine theilweise Veränderung erfährt, so gelagert, dass die Einflüsse, welche die eine oder andere Stelle erfahren müssen, nothwendig verschieden sind von denjenigen auf alle übrigen. Denn sie sitzen, durch Adhäsion ver- bunden, in anderen Geweben fest und kehren verschiedenen Flächen Ge- webstheile von untereinander abweichender Zusammensetzung zu.
Diese Darlegung zeigt uns zur Genüge, wie nothwendig neue Unter- suchungen über die Entstehung und Weiterbildung der Zelle sind. Sollen diese aber mit Erfolg angestellt werden, so müssen Beobachtung und Versuch sich die Hand reichen. Die Beobachtung der Anatomen muss vor Allem darauf ausgehen, noch schärfer als bisher die Formfolge fest- zustellen, indem sie einmal die Zahl der zeitlichen Beobachtungen, welche ein und dasselbe Gebilde betreffen, vervielfältigt, so dass man in Wahr- heit sicher sein kann, alle Uebergangsstufen gesehen zu haben, welche bei der Umformung der einen in die andre Gestalt zum Vorschein kom- men, dann aber muss sie aus der Lage oder irgendwelchen andern Umstän-
Veränderung der fertigen Zelle.
sie umspülenden Flüssigkeiten geschieht. Diese Veränderungen, worin sie auch bestehen mögen, lassen sich, so weit sie die Zellenhaut angehen, zurückführen auf einfaches Aufquellen, auf eine totale oder partielle Auf- legung neuer Stoffe oder auf eine partielle oder totale Auflösung derselben. Im Inhalt dagegen können neue Formbestandtheile entstehen, früher be- standene untergehen, oder es kann der flüssig gebliebene Inhalt sich meh- ren oder mindern.
So bemerkenswerth, um nicht zu sagen sonderbar, die Umwande- lungen oft genug ausfallen, so stellt sich doch nirgends einer Erklä- rung derselben aus den gewöhnlichen Molekularkräften eine prinzipielle Schwierigkeit entgegen. Man weiss allgemein, dass die Wandungen nie- mals aus einer einzigen stabilen chemischen Verbindung aufgebaut sind, sondern dass sie jedesmal ein Gemenge aus festen und flüssigen Massen zugleich darstellen; ihre festen Massen sind von Flüssigkeit durchtränkt. Warum soll also eine Zelle sich nicht ausdehnen können, wenn in ihren Flüssigkeiten Niederschläge erfolgen? In der That lag diese Hypothese für die Erklärung der einfachen und allseitigen Vergrösserung der Zellenhaut so nahe, dass Schwann, dem wir so viele anatomische Entdeckungen über die thierischen Elementartheile verdanken, nicht allein sogleich auf sie verfiel, sondern sie auch zugleich so wahrschein- lich zu machen wusste, dass dieselbe allseitig Eingang gewann. — Für die Erklärung der partiellen Lösungen oder Auflagerungen ist uns frei- lich keine Hypothese von ähnlicher Tragweite und Einfachheit bekannt, aber jedenfalls ist doch einzusehen, dass die chemische Natur der Haut, wenn sie auch ursprünglich überall dieselbe war, doch mit der Zeit von Ort zu Ort variabel werden kann. Denn die Haut hat doch immer- hin eine endliche Ausdehnung, mag dieselbe auch sehr klein sein; dazu ist sie in allen uns bekannten Fällen, in denen sie eine theilweise Veränderung erfährt, so gelagert, dass die Einflüsse, welche die eine oder andere Stelle erfahren müssen, nothwendig verschieden sind von denjenigen auf alle übrigen. Denn sie sitzen, durch Adhäsion ver- bunden, in anderen Geweben fest und kehren verschiedenen Flächen Ge- webstheile von untereinander abweichender Zusammensetzung zu.
Diese Darlegung zeigt uns zur Genüge, wie nothwendig neue Unter- suchungen über die Entstehung und Weiterbildung der Zelle sind. Sollen diese aber mit Erfolg angestellt werden, so müssen Beobachtung und Versuch sich die Hand reichen. Die Beobachtung der Anatomen muss vor Allem darauf ausgehen, noch schärfer als bisher die Formfolge fest- zustellen, indem sie einmal die Zahl der zeitlichen Beobachtungen, welche ein und dasselbe Gebilde betreffen, vervielfältigt, so dass man in Wahr- heit sicher sein kann, alle Uebergangsstufen gesehen zu haben, welche bei der Umformung der einen in die andre Gestalt zum Vorschein kom- men, dann aber muss sie aus der Lage oder irgendwelchen andern Umstän-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0178"n="162"/><fwplace="top"type="header">Veränderung der fertigen Zelle.</fw><lb/>
sie umspülenden Flüssigkeiten geschieht. Diese Veränderungen, worin sie<lb/>
auch bestehen mögen, lassen sich, so weit sie die Zellenhaut angehen,<lb/>
zurückführen auf einfaches Aufquellen, auf eine totale oder partielle Auf-<lb/>
legung neuer Stoffe oder auf eine partielle oder totale Auflösung derselben.<lb/>
Im Inhalt dagegen können neue Formbestandtheile entstehen, früher be-<lb/>
standene untergehen, oder es kann der flüssig gebliebene Inhalt sich meh-<lb/>
ren oder mindern.</p><lb/><p>So bemerkenswerth, um nicht zu sagen sonderbar, die Umwande-<lb/>
lungen oft genug ausfallen, so stellt sich doch nirgends einer Erklä-<lb/>
rung derselben aus den gewöhnlichen Molekularkräften eine prinzipielle<lb/>
Schwierigkeit entgegen. Man weiss allgemein, dass die Wandungen nie-<lb/>
mals aus einer einzigen stabilen chemischen Verbindung aufgebaut sind,<lb/>
sondern dass sie jedesmal ein Gemenge aus festen und flüssigen Massen<lb/>
zugleich darstellen; ihre festen Massen sind von Flüssigkeit durchtränkt.<lb/>
Warum soll also eine Zelle sich nicht ausdehnen können, wenn in ihren<lb/>
Flüssigkeiten Niederschläge erfolgen? In der That lag diese Hypothese<lb/>
für die Erklärung der einfachen und allseitigen Vergrösserung der<lb/>
Zellenhaut so nahe, dass <hirendition="#g">Schwann</hi>, dem wir so viele anatomische<lb/>
Entdeckungen über die thierischen Elementartheile verdanken, nicht<lb/>
allein sogleich auf sie verfiel, sondern sie auch zugleich so wahrschein-<lb/>
lich zu machen wusste, dass dieselbe allseitig Eingang gewann. — Für<lb/>
die Erklärung der partiellen Lösungen oder Auflagerungen ist uns frei-<lb/>
lich keine Hypothese von ähnlicher Tragweite und Einfachheit bekannt,<lb/>
aber jedenfalls ist doch einzusehen, dass die chemische Natur der Haut,<lb/>
wenn sie auch ursprünglich überall dieselbe war, doch mit der Zeit<lb/>
von Ort zu Ort variabel werden <choice><sic>kaun</sic><corr>kann</corr></choice>. Denn die Haut hat doch immer-<lb/>
hin eine endliche Ausdehnung, mag dieselbe auch sehr klein sein; dazu<lb/>
ist sie in allen uns bekannten Fällen, in denen sie eine theilweise<lb/>
Veränderung erfährt, so gelagert, dass die Einflüsse, welche die eine<lb/>
oder andere Stelle erfahren müssen, nothwendig verschieden sind von<lb/>
denjenigen auf alle übrigen. Denn sie sitzen, durch Adhäsion ver-<lb/>
bunden, in anderen Geweben fest und kehren verschiedenen Flächen Ge-<lb/>
webstheile von untereinander abweichender Zusammensetzung zu.</p><lb/><p>Diese Darlegung zeigt uns zur Genüge, wie nothwendig neue Unter-<lb/>
suchungen über die Entstehung und Weiterbildung der Zelle sind. Sollen<lb/>
diese aber mit Erfolg angestellt werden, so müssen Beobachtung und<lb/>
Versuch sich die Hand reichen. Die Beobachtung der Anatomen muss<lb/>
vor Allem darauf ausgehen, noch schärfer als bisher die Formfolge fest-<lb/>
zustellen, indem sie einmal die Zahl der zeitlichen Beobachtungen, welche<lb/>
ein und dasselbe Gebilde betreffen, vervielfältigt, so dass man in Wahr-<lb/>
heit sicher sein kann, alle Uebergangsstufen gesehen zu haben, welche<lb/>
bei der Umformung der einen in die andre Gestalt zum Vorschein kom-<lb/>
men, dann aber muss sie aus der Lage oder irgendwelchen andern Umstän-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[162/0178]
Veränderung der fertigen Zelle.
sie umspülenden Flüssigkeiten geschieht. Diese Veränderungen, worin sie
auch bestehen mögen, lassen sich, so weit sie die Zellenhaut angehen,
zurückführen auf einfaches Aufquellen, auf eine totale oder partielle Auf-
legung neuer Stoffe oder auf eine partielle oder totale Auflösung derselben.
Im Inhalt dagegen können neue Formbestandtheile entstehen, früher be-
standene untergehen, oder es kann der flüssig gebliebene Inhalt sich meh-
ren oder mindern.
So bemerkenswerth, um nicht zu sagen sonderbar, die Umwande-
lungen oft genug ausfallen, so stellt sich doch nirgends einer Erklä-
rung derselben aus den gewöhnlichen Molekularkräften eine prinzipielle
Schwierigkeit entgegen. Man weiss allgemein, dass die Wandungen nie-
mals aus einer einzigen stabilen chemischen Verbindung aufgebaut sind,
sondern dass sie jedesmal ein Gemenge aus festen und flüssigen Massen
zugleich darstellen; ihre festen Massen sind von Flüssigkeit durchtränkt.
Warum soll also eine Zelle sich nicht ausdehnen können, wenn in ihren
Flüssigkeiten Niederschläge erfolgen? In der That lag diese Hypothese
für die Erklärung der einfachen und allseitigen Vergrösserung der
Zellenhaut so nahe, dass Schwann, dem wir so viele anatomische
Entdeckungen über die thierischen Elementartheile verdanken, nicht
allein sogleich auf sie verfiel, sondern sie auch zugleich so wahrschein-
lich zu machen wusste, dass dieselbe allseitig Eingang gewann. — Für
die Erklärung der partiellen Lösungen oder Auflagerungen ist uns frei-
lich keine Hypothese von ähnlicher Tragweite und Einfachheit bekannt,
aber jedenfalls ist doch einzusehen, dass die chemische Natur der Haut,
wenn sie auch ursprünglich überall dieselbe war, doch mit der Zeit
von Ort zu Ort variabel werden kann. Denn die Haut hat doch immer-
hin eine endliche Ausdehnung, mag dieselbe auch sehr klein sein; dazu
ist sie in allen uns bekannten Fällen, in denen sie eine theilweise
Veränderung erfährt, so gelagert, dass die Einflüsse, welche die eine
oder andere Stelle erfahren müssen, nothwendig verschieden sind von
denjenigen auf alle übrigen. Denn sie sitzen, durch Adhäsion ver-
bunden, in anderen Geweben fest und kehren verschiedenen Flächen Ge-
webstheile von untereinander abweichender Zusammensetzung zu.
Diese Darlegung zeigt uns zur Genüge, wie nothwendig neue Unter-
suchungen über die Entstehung und Weiterbildung der Zelle sind. Sollen
diese aber mit Erfolg angestellt werden, so müssen Beobachtung und
Versuch sich die Hand reichen. Die Beobachtung der Anatomen muss
vor Allem darauf ausgehen, noch schärfer als bisher die Formfolge fest-
zustellen, indem sie einmal die Zahl der zeitlichen Beobachtungen, welche
ein und dasselbe Gebilde betreffen, vervielfältigt, so dass man in Wahr-
heit sicher sein kann, alle Uebergangsstufen gesehen zu haben, welche
bei der Umformung der einen in die andre Gestalt zum Vorschein kom-
men, dann aber muss sie aus der Lage oder irgendwelchen andern Umstän-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/178>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.