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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Ernährung des Haars.
sind, vertrocknen, so dass sich in den Epithelialfortsatz die mumifi-
zirten Zellen der Schleimschicht hinein erstrecken. -- Aus den Eigen-
schaften der Warze ist es begreiflich, dass das Haar, gleich ihr, an sei-
nem natürlichen Ende zugespitzt ist; aus dem für die Blutflüssigkeit un-
durchdringlichen Epithelialübergang des Haarbalgs, im Gegensatz zu der
für sie durchgängigen Warzenoberfläche, wird es erklärlich, dass das Haar
nur von der letzteren aus neue Zellen ansetzen kann, und endlich ist
einleuchtend, dass der Hals des Balges den am Knopfe breitern Quer-
schnitt des Haars beim Uebergang desselben in den Schaft zusammen-
presst, und soweit wenigstens mit dazu beiträgt, dass die Kugelzellen in
längliche Schüppchen umgewandelt werden. Die Stärke des Haarschaftes
muss darum bestimmt sein von dem Durchmesser des Hohlraums, wel-
chen der Balg umschliesst.

Die Geschwindigkeit des Haarwuchses ist, nach absolutem Maasse
bestimmt, immer gering; sie ist nach Berthold im Sommer, bei Tag
und in der Jugend grösser, als im Winter, bei Nacht und im Alter.
Der alltäglichen Erfahrung nach wachsen kurzgeschnittene Haare rascher
als längere. Lässt man sich die Haare, ohne sie zu schneiden, wachsen,
so erreichen sie schliesslich ein Maximum ihrer Länge. Alles dieses
bedeutet also, dass mit Haarlänge ein Widerstand für die Neubildung
von Zellen auf der Warze eingeführt wird. -- Bemerkenswerther Weise
ist die Haarlänge, bei welcher dem weitern Wachsthum ein Ziel gesetzt
wird, verschieden mit den Haarbälgen; so erzeugen sich in den Bälgen
der Schädeldecken und den männlichen Lippen sehr lange Haare, wäh-
rend sie auf der Haut der Extremitäten nur eine unbedeutende Länge
erreichen. Dieses Längenmaximum ist namentlich auch unabhängig von
dem Querschnitt des Schaftes oder Knopfes, indem feine Haare oft
lang und stark, wie z. B. die Augenbrauen und Wimpern nur kurz wer-
den. Als Regel scheint es jedoch gelten zu können, dass sehr feine
Haare auch immer sehr kurz sind.

Der Stoffwechsel in dem fertigen Haar ist gering, aber nicht immer
gänzlich fehlend. Einmal nemlich wird das Haar durch die Säfte, welche
aus den Fettdrüsen der Haarbälge austreten, eingeölt; dieses Oel muss
natürlich in dem der Luft ausgesetzten Schafte verwesen, und der daraus
erfolgenden Abgang wird wenigstens in allen fetten Haaren durch neues
aus dem Balge nachdringendes ersetzt. -- Auf eine Umwandlung der
Stoffe des fertigen Haares deutet das Ergrauen derselben; dieses kommt
durch eine Vermehrung seines Luftgehaltes zu Stande, indem sich der-
selbe nicht mehr auf das Mark beschränkt, sondern auch auf die Rinde
ausdehnt. Diese merkwürdige Lückenbildung in der Rinde tritt häufig
auch in den Theilen des Haares ein, welche den Balg schon verlassen
haben (Ergrauen der Spitzen).

Ernährung des Haars.
sind, vertrocknen, so dass sich in den Epithelialfortsatz die mumifi-
zirten Zellen der Schleimschicht hinein erstrecken. — Aus den Eigen-
schaften der Warze ist es begreiflich, dass das Haar, gleich ihr, an sei-
nem natürlichen Ende zugespitzt ist; aus dem für die Blutflüssigkeit un-
durchdringlichen Epithelialübergang des Haarbalgs, im Gegensatz zu der
für sie durchgängigen Warzenoberfläche, wird es erklärlich, dass das Haar
nur von der letzteren aus neue Zellen ansetzen kann, und endlich ist
einleuchtend, dass der Hals des Balges den am Knopfe breitern Quer-
schnitt des Haars beim Uebergang desselben in den Schaft zusammen-
presst, und soweit wenigstens mit dazu beiträgt, dass die Kugelzellen in
längliche Schüppchen umgewandelt werden. Die Stärke des Haarschaftes
muss darum bestimmt sein von dem Durchmesser des Hohlraums, wel-
chen der Balg umschliesst.

Die Geschwindigkeit des Haarwuchses ist, nach absolutem Maasse
bestimmt, immer gering; sie ist nach Berthold im Sommer, bei Tag
und in der Jugend grösser, als im Winter, bei Nacht und im Alter.
Der alltäglichen Erfahrung nach wachsen kurzgeschnittene Haare rascher
als längere. Lässt man sich die Haare, ohne sie zu schneiden, wachsen,
so erreichen sie schliesslich ein Maximum ihrer Länge. Alles dieses
bedeutet also, dass mit Haarlänge ein Widerstand für die Neubildung
von Zellen auf der Warze eingeführt wird. — Bemerkenswerther Weise
ist die Haarlänge, bei welcher dem weitern Wachsthum ein Ziel gesetzt
wird, verschieden mit den Haarbälgen; so erzeugen sich in den Bälgen
der Schädeldecken und den männlichen Lippen sehr lange Haare, wäh-
rend sie auf der Haut der Extremitäten nur eine unbedeutende Länge
erreichen. Dieses Längenmaximum ist namentlich auch unabhängig von
dem Querschnitt des Schaftes oder Knopfes, indem feine Haare oft
lang und stark, wie z. B. die Augenbrauen und Wimpern nur kurz wer-
den. Als Regel scheint es jedoch gelten zu können, dass sehr feine
Haare auch immer sehr kurz sind.

Der Stoffwechsel in dem fertigen Haar ist gering, aber nicht immer
gänzlich fehlend. Einmal nemlich wird das Haar durch die Säfte, welche
aus den Fettdrüsen der Haarbälge austreten, eingeölt; dieses Oel muss
natürlich in dem der Luft ausgesetzten Schafte verwesen, und der daraus
erfolgenden Abgang wird wenigstens in allen fetten Haaren durch neues
aus dem Balge nachdringendes ersetzt. — Auf eine Umwandlung der
Stoffe des fertigen Haares deutet das Ergrauen derselben; dieses kommt
durch eine Vermehrung seines Luftgehaltes zu Stande, indem sich der-
selbe nicht mehr auf das Mark beschränkt, sondern auch auf die Rinde
ausdehnt. Diese merkwürdige Lückenbildung in der Rinde tritt häufig
auch in den Theilen des Haares ein, welche den Balg schon verlassen
haben (Ergrauen der Spitzen).

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[176/0192] Ernährung des Haars. sind, vertrocknen, so dass sich in den Epithelialfortsatz die mumifi- zirten Zellen der Schleimschicht hinein erstrecken. — Aus den Eigen- schaften der Warze ist es begreiflich, dass das Haar, gleich ihr, an sei- nem natürlichen Ende zugespitzt ist; aus dem für die Blutflüssigkeit un- durchdringlichen Epithelialübergang des Haarbalgs, im Gegensatz zu der für sie durchgängigen Warzenoberfläche, wird es erklärlich, dass das Haar nur von der letzteren aus neue Zellen ansetzen kann, und endlich ist einleuchtend, dass der Hals des Balges den am Knopfe breitern Quer- schnitt des Haars beim Uebergang desselben in den Schaft zusammen- presst, und soweit wenigstens mit dazu beiträgt, dass die Kugelzellen in längliche Schüppchen umgewandelt werden. Die Stärke des Haarschaftes muss darum bestimmt sein von dem Durchmesser des Hohlraums, wel- chen der Balg umschliesst. Die Geschwindigkeit des Haarwuchses ist, nach absolutem Maasse bestimmt, immer gering; sie ist nach Berthold im Sommer, bei Tag und in der Jugend grösser, als im Winter, bei Nacht und im Alter. Der alltäglichen Erfahrung nach wachsen kurzgeschnittene Haare rascher als längere. Lässt man sich die Haare, ohne sie zu schneiden, wachsen, so erreichen sie schliesslich ein Maximum ihrer Länge. Alles dieses bedeutet also, dass mit Haarlänge ein Widerstand für die Neubildung von Zellen auf der Warze eingeführt wird. — Bemerkenswerther Weise ist die Haarlänge, bei welcher dem weitern Wachsthum ein Ziel gesetzt wird, verschieden mit den Haarbälgen; so erzeugen sich in den Bälgen der Schädeldecken und den männlichen Lippen sehr lange Haare, wäh- rend sie auf der Haut der Extremitäten nur eine unbedeutende Länge erreichen. Dieses Längenmaximum ist namentlich auch unabhängig von dem Querschnitt des Schaftes oder Knopfes, indem feine Haare oft lang und stark, wie z. B. die Augenbrauen und Wimpern nur kurz wer- den. Als Regel scheint es jedoch gelten zu können, dass sehr feine Haare auch immer sehr kurz sind. Der Stoffwechsel in dem fertigen Haar ist gering, aber nicht immer gänzlich fehlend. Einmal nemlich wird das Haar durch die Säfte, welche aus den Fettdrüsen der Haarbälge austreten, eingeölt; dieses Oel muss natürlich in dem der Luft ausgesetzten Schafte verwesen, und der daraus erfolgenden Abgang wird wenigstens in allen fetten Haaren durch neues aus dem Balge nachdringendes ersetzt. — Auf eine Umwandlung der Stoffe des fertigen Haares deutet das Ergrauen derselben; dieses kommt durch eine Vermehrung seines Luftgehaltes zu Stande, indem sich der- selbe nicht mehr auf das Mark beschränkt, sondern auch auf die Rinde ausdehnt. Diese merkwürdige Lückenbildung in der Rinde tritt häufig auch in den Theilen des Haares ein, welche den Balg schon verlassen haben (Ergrauen der Spitzen).

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/192>, abgerufen am 21.11.2024.