Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Speicheldrüsen; Ausstossung des Speichels.
selbst, die Erregbarkeit der Nerven vorausgesetzt, Speichel abgesondert
werden, wenn der Blutstrom vollkommen still steht (C. Ludwig). Dar-
aus geht hervor, dass der Blutdruck nicht die Ursache der Flüssigkeitsströ-
mung in die Drüsenanfänge sein kann. Man könnte sich nämlich die Vor-
stellung bilden, dass der erregte Nerv entweder die Muskeln der Speichel-
arterien erschlaffte oder diejenigen der Venen verkürzte, wodurch dann der
Druck des Blutstroms auf seine Gefässwandung in der Drüse erhöht
würde. In keinem Fall würde aber diese Erhöhung über den in der
a. carotis vorhandenen steigen können, und somit würde auch der Druck,
mit welchen die Flüssigkeit in die Drüse einströmt, nicht bedeutender
als dort sein dürfen. -- Eine genauere Darlegung der Beziehung der
Nerven zu den Speicheldrüsen lässt sich aber ohne weitergehende Unter-
suchungen nicht geben; bemerkenswerth ist es nur, dass sich das Gewebe
derselben gegen die Nerven analog der Muskelsubstanz verhält, wenn
man den Flüssigkeitsstrom statt der Zusammenziehung substituirt, indem
ausser andern schon erwähnten Aehnlichkeiten die bestehen, dass ein
elektrischer Strom von schwankender Dichtigkeit nothwendig ist, um den
Speichelnerv in die Absonderung erzeugende Erregung zu versetzen, und
dass mehrere Sekunden zwischen dem Beginn der Nervenerregung und
dem Eintritt der Absonderung verstreichen. -- Da nun in den Muskeln
die Zusammenziehung abhängig ist von einer besonderen Anordnung
elektrischer Molekeln, so könnte man auch eine solche in der Drüsen-
substanz voraussetzen und den Flüssigkeitsstrom abhängig denken von
einer elektrischen Strömung, die aus dem Blut in die Drüsenröhren geht,
und zwar um so mehr, als bekanntlich die strömende Elektrizität die
Flüssigkeitstheilchen, welche sie durchwandert, in Bewegung setzt. Diese
Hypothese muss aber so lange für eine gewagte gelten, als man damit
nicht einmal erklären kann, warum dieser vorausgesetzte elektrische
Strom nur einzelne, nicht aber alle flüssigen Bestandtheile des Bluts in
die Drüse überführt.

5. Die Austreibung des Speichels aus den Bläschen und Gängen
wird unzweifelhaft besorgt durch die Kräfte, welche ihn in erstere ein-
treiben; denn einmal fehlt den Drüsenelementen jede selbstständige Be-
weglichkeit, und dann genügt der Absonderungsdruck der Aufgabe voll-
kommen, da er unter Umständen einer Säule von mehr als 200 MM.
Hg druck das Gleichgewicht hält.

Nachdem der Speichel in die Mundhöhle getreten, wird er durch
Schlingbewegungen in den Magen niedergebracht, wo er grösstentheils
in das Blut zurücktritt. Wir werden ihm bei der Verdauungslehre auf
diesem Wege wieder aufsuchen.

6. Die Ernährungserscheinungen des fertigen Drüsengewebes bieten die
Aehnlichkeit mit denen der Muskeln, dass dasselbe bei einer dauernden Hem-
mung der Absonderung, wie sie z. B. in Folge der Unterbindung der Ausfüh-

Speicheldrüsen; Ausstossung des Speichels.
selbst, die Erregbarkeit der Nerven vorausgesetzt, Speichel abgesondert
werden, wenn der Blutstrom vollkommen still steht (C. Ludwig). Dar-
aus geht hervor, dass der Blutdruck nicht die Ursache der Flüssigkeitsströ-
mung in die Drüsenanfänge sein kann. Man könnte sich nämlich die Vor-
stellung bilden, dass der erregte Nerv entweder die Muskeln der Speichel-
arterien erschlaffte oder diejenigen der Venen verkürzte, wodurch dann der
Druck des Blutstroms auf seine Gefässwandung in der Drüse erhöht
würde. In keinem Fall würde aber diese Erhöhung über den in der
a. carotis vorhandenen steigen können, und somit würde auch der Druck,
mit welchen die Flüssigkeit in die Drüse einströmt, nicht bedeutender
als dort sein dürfen. — Eine genauere Darlegung der Beziehung der
Nerven zu den Speicheldrüsen lässt sich aber ohne weitergehende Unter-
suchungen nicht geben; bemerkenswerth ist es nur, dass sich das Gewebe
derselben gegen die Nerven analog der Muskelsubstanz verhält, wenn
man den Flüssigkeitsstrom statt der Zusammenziehung substituirt, indem
ausser andern schon erwähnten Aehnlichkeiten die bestehen, dass ein
elektrischer Strom von schwankender Dichtigkeit nothwendig ist, um den
Speichelnerv in die Absonderung erzeugende Erregung zu versetzen, und
dass mehrere Sekunden zwischen dem Beginn der Nervenerregung und
dem Eintritt der Absonderung verstreichen. — Da nun in den Muskeln
die Zusammenziehung abhängig ist von einer besonderen Anordnung
elektrischer Molekeln, so könnte man auch eine solche in der Drüsen-
substanz voraussetzen und den Flüssigkeitsstrom abhängig denken von
einer elektrischen Strömung, die aus dem Blut in die Drüsenröhren geht,
und zwar um so mehr, als bekanntlich die strömende Elektrizität die
Flüssigkeitstheilchen, welche sie durchwandert, in Bewegung setzt. Diese
Hypothese muss aber so lange für eine gewagte gelten, als man damit
nicht einmal erklären kann, warum dieser vorausgesetzte elektrische
Strom nur einzelne, nicht aber alle flüssigen Bestandtheile des Bluts in
die Drüse überführt.

5. Die Austreibung des Speichels aus den Bläschen und Gängen
wird unzweifelhaft besorgt durch die Kräfte, welche ihn in erstere ein-
treiben; denn einmal fehlt den Drüsenelementen jede selbstständige Be-
weglichkeit, und dann genügt der Absonderungsdruck der Aufgabe voll-
kommen, da er unter Umständen einer Säule von mehr als 200 MM.
Hg druck das Gleichgewicht hält.

Nachdem der Speichel in die Mundhöhle getreten, wird er durch
Schlingbewegungen in den Magen niedergebracht, wo er grösstentheils
in das Blut zurücktritt. Wir werden ihm bei der Verdauungslehre auf
diesem Wege wieder aufsuchen.

6. Die Ernährungserscheinungen des fertigen Drüsengewebes bieten die
Aehnlichkeit mit denen der Muskeln, dass dasselbe bei einer dauernden Hem-
mung der Absonderung, wie sie z. B. in Folge der Unterbindung der Ausfüh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0255" n="239"/><fw place="top" type="header">Speicheldrüsen; Ausstossung des Speichels.</fw><lb/>
selbst, die Erregbarkeit der Nerven vorausgesetzt, Speichel abgesondert<lb/>
werden, wenn der Blutstrom vollkommen still steht (C. <hi rendition="#g">Ludwig</hi>). Dar-<lb/>
aus geht hervor, dass der Blutdruck nicht die Ursache der Flüssigkeitsströ-<lb/>
mung in die Drüsenanfänge sein kann. Man könnte sich nämlich die Vor-<lb/>
stellung bilden, dass der erregte Nerv entweder die Muskeln der Speichel-<lb/>
arterien erschlaffte oder diejenigen der Venen verkürzte, wodurch dann der<lb/>
Druck des Blutstroms auf seine Gefässwandung in der Drüse erhöht<lb/>
würde. In keinem Fall würde aber diese Erhöhung über den in der<lb/>
a. carotis vorhandenen steigen können, und somit würde auch der Druck,<lb/>
mit welchen die Flüssigkeit in die Drüse einströmt, nicht bedeutender<lb/>
als dort sein dürfen. &#x2014; Eine genauere Darlegung der Beziehung der<lb/>
Nerven zu den Speicheldrüsen lässt sich aber ohne weitergehende Unter-<lb/>
suchungen nicht geben; bemerkenswerth ist es nur, dass sich das Gewebe<lb/>
derselben gegen die Nerven analog der Muskelsubstanz verhält, wenn<lb/>
man den Flüssigkeitsstrom statt der Zusammenziehung substituirt, indem<lb/>
ausser andern schon erwähnten Aehnlichkeiten die bestehen, dass ein<lb/>
elektrischer Strom von schwankender Dichtigkeit nothwendig ist, um den<lb/>
Speichelnerv in die Absonderung erzeugende Erregung zu versetzen, und<lb/>
dass mehrere Sekunden zwischen dem Beginn der Nervenerregung und<lb/>
dem Eintritt der Absonderung verstreichen. &#x2014; Da nun in den Muskeln<lb/>
die Zusammenziehung abhängig ist von einer besonderen Anordnung<lb/>
elektrischer Molekeln, so könnte man auch eine solche in der Drüsen-<lb/>
substanz voraussetzen und den Flüssigkeitsstrom abhängig denken von<lb/>
einer elektrischen Strömung, die aus dem Blut in die Drüsenröhren geht,<lb/>
und zwar um so mehr, als bekanntlich die strömende Elektrizität die<lb/>
Flüssigkeitstheilchen, welche sie durchwandert, in Bewegung setzt. Diese<lb/>
Hypothese muss aber so lange für eine gewagte gelten, als man damit<lb/>
nicht einmal erklären kann, warum dieser vorausgesetzte elektrische<lb/>
Strom nur einzelne, nicht aber alle flüssigen Bestandtheile des Bluts in<lb/>
die Drüse überführt.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#b">5.</hi> Die Austreibung des Speichels aus den Bläschen und Gängen<lb/>
wird unzweifelhaft besorgt durch die Kräfte, welche ihn in erstere ein-<lb/>
treiben; denn einmal fehlt den Drüsenelementen jede selbstständige Be-<lb/>
weglichkeit, und dann genügt der Absonderungsdruck der Aufgabe voll-<lb/>
kommen, da er unter Umständen einer Säule von mehr als <hi rendition="#b">200</hi> MM.<lb/>
Hg druck das Gleichgewicht hält.</p><lb/>
            <p>Nachdem der Speichel in die Mundhöhle getreten, wird er durch<lb/>
Schlingbewegungen in den Magen niedergebracht, wo er grösstentheils<lb/>
in das Blut zurücktritt. Wir werden ihm bei der Verdauungslehre auf<lb/>
diesem Wege wieder aufsuchen.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#b">6.</hi> Die Ernährungserscheinungen des fertigen Drüsengewebes bieten die<lb/>
Aehnlichkeit mit denen der Muskeln, dass dasselbe bei einer dauernden Hem-<lb/>
mung der Absonderung, wie sie z. B. in Folge der Unterbindung der Ausfüh-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0255] Speicheldrüsen; Ausstossung des Speichels. selbst, die Erregbarkeit der Nerven vorausgesetzt, Speichel abgesondert werden, wenn der Blutstrom vollkommen still steht (C. Ludwig). Dar- aus geht hervor, dass der Blutdruck nicht die Ursache der Flüssigkeitsströ- mung in die Drüsenanfänge sein kann. Man könnte sich nämlich die Vor- stellung bilden, dass der erregte Nerv entweder die Muskeln der Speichel- arterien erschlaffte oder diejenigen der Venen verkürzte, wodurch dann der Druck des Blutstroms auf seine Gefässwandung in der Drüse erhöht würde. In keinem Fall würde aber diese Erhöhung über den in der a. carotis vorhandenen steigen können, und somit würde auch der Druck, mit welchen die Flüssigkeit in die Drüse einströmt, nicht bedeutender als dort sein dürfen. — Eine genauere Darlegung der Beziehung der Nerven zu den Speicheldrüsen lässt sich aber ohne weitergehende Unter- suchungen nicht geben; bemerkenswerth ist es nur, dass sich das Gewebe derselben gegen die Nerven analog der Muskelsubstanz verhält, wenn man den Flüssigkeitsstrom statt der Zusammenziehung substituirt, indem ausser andern schon erwähnten Aehnlichkeiten die bestehen, dass ein elektrischer Strom von schwankender Dichtigkeit nothwendig ist, um den Speichelnerv in die Absonderung erzeugende Erregung zu versetzen, und dass mehrere Sekunden zwischen dem Beginn der Nervenerregung und dem Eintritt der Absonderung verstreichen. — Da nun in den Muskeln die Zusammenziehung abhängig ist von einer besonderen Anordnung elektrischer Molekeln, so könnte man auch eine solche in der Drüsen- substanz voraussetzen und den Flüssigkeitsstrom abhängig denken von einer elektrischen Strömung, die aus dem Blut in die Drüsenröhren geht, und zwar um so mehr, als bekanntlich die strömende Elektrizität die Flüssigkeitstheilchen, welche sie durchwandert, in Bewegung setzt. Diese Hypothese muss aber so lange für eine gewagte gelten, als man damit nicht einmal erklären kann, warum dieser vorausgesetzte elektrische Strom nur einzelne, nicht aber alle flüssigen Bestandtheile des Bluts in die Drüse überführt. 5. Die Austreibung des Speichels aus den Bläschen und Gängen wird unzweifelhaft besorgt durch die Kräfte, welche ihn in erstere ein- treiben; denn einmal fehlt den Drüsenelementen jede selbstständige Be- weglichkeit, und dann genügt der Absonderungsdruck der Aufgabe voll- kommen, da er unter Umständen einer Säule von mehr als 200 MM. Hg druck das Gleichgewicht hält. Nachdem der Speichel in die Mundhöhle getreten, wird er durch Schlingbewegungen in den Magen niedergebracht, wo er grösstentheils in das Blut zurücktritt. Wir werden ihm bei der Verdauungslehre auf diesem Wege wieder aufsuchen. 6. Die Ernährungserscheinungen des fertigen Drüsengewebes bieten die Aehnlichkeit mit denen der Muskeln, dass dasselbe bei einer dauernden Hem- mung der Absonderung, wie sie z. B. in Folge der Unterbindung der Ausfüh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/255
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/255>, abgerufen am 21.11.2024.