nebenher das sogenannte Gesetz der Trägheit gefunden hat. Ein Körper, auf welchen, wie man zu sagen pflegt, keine Kraft wirkt, behält seine Richtung und Geschwindigkeit unverändert bei. Mit diesem Gesetz der Trägheit ist es sonderbar zugegangen. Bei Galilei scheint es nie eine besondere Rolle gespielt zu haben. Die Nachfolger aber, namentlich Huyghens und Newton haben es als ein besonderes Gesetz formulirt. Ja man hat sogar aus der Trägheit eine allgemeine Eigenschaft der Materie gemacht. Man erkennt aber leicht, dass das Trägheitsgesetz gar kein besonderes Gesetz ist, sondern in der Galilei'schen Anschauung, dass alle be- wegungsbestimmenden Umstände (Kräfte) Beschleuni- gungen setzen, schon mit enthalten ist.
In der That, wenn eine Kraft keine Lage und keine Geschwindigkeit, sondern eine Beschleunigung, eine Geschwindigkeitsänderung bestimmt, so versteht es sich, dass wo keine Kraft ist, auch keine Aenderung der Geschwindigkeit stattfindet. Man hat nicht nöthig das besonders auszusprechen. Nur die Befangenheit des Anfängers, die sich auch der grossen Forscher der Fülle des neuen Stoffes gegenüber bemächtigte, konnte bewirken, dass sie sich dieselbe Thatsache als zwei ver- schiedene Thatsachen vorstellten und dieselbe zwei- mal formulirten.
Die Trägheit als selbstverständlich darzustellen, oder sie aus dem allgemeinen Satze "die Wirkung einer Ursache verharrt" abzuleiten, ist jedenfalls durchaus verfehlt. Nur ein falsches Streben nach Strenge kann auf solche Abwege führen. Mit scholastischen Sätzen, wie mit dem angeführten, ist auf diesem Gebiete nichts zu verrichten. Man überzeugt sich leicht, dass auch der entgegengesetzte Satz, "cessante causa cessat effectus", ebenso gut passt. Nennt man die erlangte Geschwin- digkeit "Wirkung", so ist der erste Satz richtig, nennt man die Beschleunigung "Wirkung", so gilt der zweite Satz.
12. Wir wollen nun die Galilei'schen Untersuchungen
9*
Die Entwickelung der Principien der Dynamik.
nebenher das sogenannte Gesetz der Trägheit gefunden hat. Ein Körper, auf welchen, wie man zu sagen pflegt, keine Kraft wirkt, behält seine Richtung und Geschwindigkeit unverändert bei. Mit diesem Gesetz der Trägheit ist es sonderbar zugegangen. Bei Galilei scheint es nie eine besondere Rolle gespielt zu haben. Die Nachfolger aber, namentlich Huyghens und Newton haben es als ein besonderes Gesetz formulirt. Ja man hat sogar aus der Trägheit eine allgemeine Eigenschaft der Materie gemacht. Man erkennt aber leicht, dass das Trägheitsgesetz gar kein besonderes Gesetz ist, sondern in der Galilei’schen Anschauung, dass alle be- wegungsbestimmenden Umstände (Kräfte) Beschleuni- gungen setzen, schon mit enthalten ist.
In der That, wenn eine Kraft keine Lage und keine Geschwindigkeit, sondern eine Beschleunigung, eine Geschwindigkeitsänderung bestimmt, so versteht es sich, dass wo keine Kraft ist, auch keine Aenderung der Geschwindigkeit stattfindet. Man hat nicht nöthig das besonders auszusprechen. Nur die Befangenheit des Anfängers, die sich auch der grossen Forscher der Fülle des neuen Stoffes gegenüber bemächtigte, konnte bewirken, dass sie sich dieselbe Thatsache als zwei ver- schiedene Thatsachen vorstellten und dieselbe zwei- mal formulirten.
Die Trägheit als selbstverständlich darzustellen, oder sie aus dem allgemeinen Satze „die Wirkung einer Ursache verharrt‟ abzuleiten, ist jedenfalls durchaus verfehlt. Nur ein falsches Streben nach Strenge kann auf solche Abwege führen. Mit scholastischen Sätzen, wie mit dem angeführten, ist auf diesem Gebiete nichts zu verrichten. Man überzeugt sich leicht, dass auch der entgegengesetzte Satz, „cessante causa cessat effectus‟, ebenso gut passt. Nennt man die erlangte Geschwin- digkeit „Wirkung‟, so ist der erste Satz richtig, nennt man die Beschleunigung „Wirkung‟, so gilt der zweite Satz.
12. Wir wollen nun die Galilei’schen Untersuchungen
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Die Entwickelung der Principien der Dynamik.
nebenher das sogenannte Gesetz der Trägheit gefunden
hat. Ein Körper, auf welchen, wie man zu sagen
pflegt, keine Kraft wirkt, behält seine Richtung und
Geschwindigkeit unverändert bei. Mit diesem Gesetz
der Trägheit ist es sonderbar zugegangen. Bei Galilei
scheint es nie eine besondere Rolle gespielt zu haben.
Die Nachfolger aber, namentlich Huyghens und Newton
haben es als ein besonderes Gesetz formulirt. Ja man
hat sogar aus der Trägheit eine allgemeine Eigenschaft
der Materie gemacht. Man erkennt aber leicht, dass
das Trägheitsgesetz gar kein besonderes Gesetz ist,
sondern in der Galilei’schen Anschauung, dass alle be-
wegungsbestimmenden Umstände (Kräfte) Beschleuni-
gungen setzen, schon mit enthalten ist.
In der That, wenn eine Kraft keine Lage und keine
Geschwindigkeit, sondern eine Beschleunigung, eine
Geschwindigkeitsänderung bestimmt, so versteht es sich,
dass wo keine Kraft ist, auch keine Aenderung der
Geschwindigkeit stattfindet. Man hat nicht nöthig das
besonders auszusprechen. Nur die Befangenheit des
Anfängers, die sich auch der grossen Forscher der
Fülle des neuen Stoffes gegenüber bemächtigte, konnte
bewirken, dass sie sich dieselbe Thatsache als zwei ver-
schiedene Thatsachen vorstellten und dieselbe zwei-
mal formulirten.
Die Trägheit als selbstverständlich darzustellen, oder
sie aus dem allgemeinen Satze „die Wirkung einer
Ursache verharrt‟ abzuleiten, ist jedenfalls durchaus
verfehlt. Nur ein falsches Streben nach Strenge kann
auf solche Abwege führen. Mit scholastischen Sätzen,
wie mit dem angeführten, ist auf diesem Gebiete nichts
zu verrichten. Man überzeugt sich leicht, dass auch
der entgegengesetzte Satz, „cessante causa cessat effectus‟,
ebenso gut passt. Nennt man die erlangte Geschwin-
digkeit „Wirkung‟, so ist der erste Satz richtig, nennt
man die Beschleunigung „Wirkung‟, so gilt der zweite
Satz.
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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/143>, abgerufen am 16.02.2025.
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