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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Zweites Kapitel.
5. Kritik des Gegenwirkungsprincipes und des
Massenbegriffes.

1. Nachdem wir uns nun mit den Newton'schen An-
schauungen vertraut gemacht haben, sind wir hinreichend
vorbereitet, dieselben kritisch zu untersuchen. Wir
beschränken uns hierbei zunächst auf den Massenbegriff
und das Gegenwirkungsprincip. Beide können bei der
Untersuchung nicht getrennt werden, und in beiden liegt
das Hauptgewicht der Newton'schen Leistung.

2. Zunächst erkennen wir in der "Menge der Materie"
keine Vorstellung, welche geeignet wäre den Begriff
Masse zu erklären und zu erläutern, da sie selbst keine
genügende Klarheit hat. Dies gilt auch dann, wenn
wir, wie es manche Autoren gethan haben, bis auf die
Zählung der hypothetischen Atome zurückgehen. Wir
häufen hiermit nur die Vorstellungen, welche selbst
einer Rechtfertigung bedürfen. Bei Zusammenlegung
mehrerer gleicher chemisch gleichartiger Körper können
wir mit der "Menge der Materie" allerdings noch eine
klare Vorstellung verbinden, und auch erkennen, dass der
Bewegungswiderstand mit dieser Menge wächst. Lassen
wir aber die chemische Gleichartigkeit fallen, so ist die
Annahme, dass von verschiedenen Körpern noch etwas
mit demselben Maasse Messbares übrig bleibt, welches
wir Menge der Materie nennen könnten, zwar nach den
mechanischen Erfahrungen nahe liegend, aber doch erst
zu rechtfertigen. Wenn wir also mit Newton in Bezug
auf den Gewichtsdruck die Annahmen machen p=mg,
p'=m'·g
und hiernach setzen [Formel 1] , so liegt
hierin schon die erst zu rechtfertigende Voraussetzung
der Messbarkeit verschiedener Körper mit demselben
Maass.

Wir könnten auch willkürlich festsetzen [Formel 2] ,
d. h. das Massenverhältniss definiren als das Verhältniss
des Gewichtsdruckes bei gleichem g. Dann bliebe aber der

Zweites Kapitel.
5. Kritik des Gegenwirkungsprincipes und des
Massenbegriffes.

1. Nachdem wir uns nun mit den Newton’schen An-
schauungen vertraut gemacht haben, sind wir hinreichend
vorbereitet, dieselben kritisch zu untersuchen. Wir
beschränken uns hierbei zunächst auf den Massenbegriff
und das Gegenwirkungsprincip. Beide können bei der
Untersuchung nicht getrennt werden, und in beiden liegt
das Hauptgewicht der Newton’schen Leistung.

2. Zunächst erkennen wir in der „Menge der Materie‟
keine Vorstellung, welche geeignet wäre den Begriff
Masse zu erklären und zu erläutern, da sie selbst keine
genügende Klarheit hat. Dies gilt auch dann, wenn
wir, wie es manche Autoren gethan haben, bis auf die
Zählung der hypothetischen Atome zurückgehen. Wir
häufen hiermit nur die Vorstellungen, welche selbst
einer Rechtfertigung bedürfen. Bei Zusammenlegung
mehrerer gleicher chemisch gleichartiger Körper können
wir mit der „Menge der Materie‟ allerdings noch eine
klare Vorstellung verbinden, und auch erkennen, dass der
Bewegungswiderstand mit dieser Menge wächst. Lassen
wir aber die chemische Gleichartigkeit fallen, so ist die
Annahme, dass von verschiedenen Körpern noch etwas
mit demselben Maasse Messbares übrig bleibt, welches
wir Menge der Materie nennen könnten, zwar nach den
mechanischen Erfahrungen nahe liegend, aber doch erst
zu rechtfertigen. Wenn wir also mit Newton in Bezug
auf den Gewichtsdruck die Annahmen machen p=mg,
p′=m′·g
und hiernach setzen [Formel 1] , so liegt
hierin schon die erst zu rechtfertigende Voraussetzung
der Messbarkeit verschiedener Körper mit demselben
Maass.

Wir könnten auch willkürlich festsetzen [Formel 2] ,
d. h. das Massenverhältniss definiren als das Verhältniss
des Gewichtsdruckes bei gleichem g. Dann bliebe aber der

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[202/0214] Zweites Kapitel. 5. Kritik des Gegenwirkungsprincipes und des Massenbegriffes. 1. Nachdem wir uns nun mit den Newton’schen An- schauungen vertraut gemacht haben, sind wir hinreichend vorbereitet, dieselben kritisch zu untersuchen. Wir beschränken uns hierbei zunächst auf den Massenbegriff und das Gegenwirkungsprincip. Beide können bei der Untersuchung nicht getrennt werden, und in beiden liegt das Hauptgewicht der Newton’schen Leistung. 2. Zunächst erkennen wir in der „Menge der Materie‟ keine Vorstellung, welche geeignet wäre den Begriff Masse zu erklären und zu erläutern, da sie selbst keine genügende Klarheit hat. Dies gilt auch dann, wenn wir, wie es manche Autoren gethan haben, bis auf die Zählung der hypothetischen Atome zurückgehen. Wir häufen hiermit nur die Vorstellungen, welche selbst einer Rechtfertigung bedürfen. Bei Zusammenlegung mehrerer gleicher chemisch gleichartiger Körper können wir mit der „Menge der Materie‟ allerdings noch eine klare Vorstellung verbinden, und auch erkennen, dass der Bewegungswiderstand mit dieser Menge wächst. Lassen wir aber die chemische Gleichartigkeit fallen, so ist die Annahme, dass von verschiedenen Körpern noch etwas mit demselben Maasse Messbares übrig bleibt, welches wir Menge der Materie nennen könnten, zwar nach den mechanischen Erfahrungen nahe liegend, aber doch erst zu rechtfertigen. Wenn wir also mit Newton in Bezug auf den Gewichtsdruck die Annahmen machen p=mg, p′=m′·g und hiernach setzen [FORMEL], so liegt hierin schon die erst zu rechtfertigende Voraussetzung der Messbarkeit verschiedener Körper mit demselben Maass. Wir könnten auch willkürlich festsetzen [FORMEL], d. h. das Massenverhältniss definiren als das Verhältniss des Gewichtsdruckes bei gleichem g. Dann bliebe aber der

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/214>, abgerufen am 23.11.2024.