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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Zweites Kapitel.
eine Gruppe derselben Veränderungen erfährt, ohne dass
die übrigen davon berührt werden. Die Natur verhält
sich ähnlich wie eine Maschine. Die einzelnen Theile
bestimmen einander gegenseitig. Während aber bei
einer Maschine durch die Lage eines Theiles die Lagen
aller übrigen Theile bestimmt sind, bestehen in der
Natur complicirtere Beziehungen. Diese Beziehungen
lassen sich am besten unter dem Bilde einer Anzahl
n von Grössen darstellen, welche einer geringern An-
zahl n' von Gleichungen genügen. Wäre n=n', so
wäre die Natur unveränderlich. Für n'=n--1 ist
mit einer Grösse über alle übrigen verfügt. Bestünde
dies Verhältniss in der Natur, so könnte die Zeit rück-
gängig gemacht werden, sobald dies nur mit einer ein-
zigen Bewegung gelänge. Der wahre Sachverhalt wird
durch eine andere Differenz von n und n' dargestellt.
Die Grössen sind durch einander theilweise bestimmt,
sie behalten aber eine grössere Unbestimmtheit oder
Freiheit als in dem letztern Fall. Wir selbst fühlen
uns als ein solches theilweise bestimmtes, theilweise
unbestimmtes Naturelement. Insofern nur ein Theil der
Veränderungen in der Natur von uns abhängt, und von
uns wieder rückgängig gemacht werden kann, erscheint
uns die Zeit als nicht umkehrbar, die verflossene Zeit
als unwiederbringlich vorbei.

Zur Vorstellung der Zeit gelangen wir durch den
Zusammenhang des Inhalts unsers Erinnerungsfeldes
mit dem Inhalt unsers Wahrnehmungsfeldes, wie wir
kurz und allgemein verständlich sagen wollen. Wenn
wir sagen, dass die Zeit in einem bestimmten Sinn ab-
läuft, so bedeutet dies, dass die physikalischen (und
folglich auch die physiologischen) Vorgänge sich nur
in einem bestimmten Sinn vollziehen.1 Alle Temperatur-
differenzen, elektrischen Differenzen, Niveaudifferenzen
überhaupt werden sich selbst überlassen nicht grösser,
sondern kleiner. Betrachten wir zwei sich selbst über-

1 Untersuchungen über die physiologische Natur der Zeit-
und Raumempfindung sollen hier ausgeschlossen bleiben.

Zweites Kapitel.
eine Gruppe derselben Veränderungen erfährt, ohne dass
die übrigen davon berührt werden. Die Natur verhält
sich ähnlich wie eine Maschine. Die einzelnen Theile
bestimmen einander gegenseitig. Während aber bei
einer Maschine durch die Lage eines Theiles die Lagen
aller übrigen Theile bestimmt sind, bestehen in der
Natur complicirtere Beziehungen. Diese Beziehungen
lassen sich am besten unter dem Bilde einer Anzahl
n von Grössen darstellen, welche einer geringern An-
zahl n′ von Gleichungen genügen. Wäre n=n′, so
wäre die Natur unveränderlich. Für n′=n—1 ist
mit einer Grösse über alle übrigen verfügt. Bestünde
dies Verhältniss in der Natur, so könnte die Zeit rück-
gängig gemacht werden, sobald dies nur mit einer ein-
zigen Bewegung gelänge. Der wahre Sachverhalt wird
durch eine andere Differenz von n und n′ dargestellt.
Die Grössen sind durch einander theilweise bestimmt,
sie behalten aber eine grössere Unbestimmtheit oder
Freiheit als in dem letztern Fall. Wir selbst fühlen
uns als ein solches theilweise bestimmtes, theilweise
unbestimmtes Naturelement. Insofern nur ein Theil der
Veränderungen in der Natur von uns abhängt, und von
uns wieder rückgängig gemacht werden kann, erscheint
uns die Zeit als nicht umkehrbar, die verflossene Zeit
als unwiederbringlich vorbei.

Zur Vorstellung der Zeit gelangen wir durch den
Zusammenhang des Inhalts unsers Erinnerungsfeldes
mit dem Inhalt unsers Wahrnehmungsfeldes, wie wir
kurz und allgemein verständlich sagen wollen. Wenn
wir sagen, dass die Zeit in einem bestimmten Sinn ab-
läuft, so bedeutet dies, dass die physikalischen (und
folglich auch die physiologischen) Vorgänge sich nur
in einem bestimmten Sinn vollziehen.1 Alle Temperatur-
differenzen, elektrischen Differenzen, Niveaudifferenzen
überhaupt werden sich selbst überlassen nicht grösser,
sondern kleiner. Betrachten wir zwei sich selbst über-

1 Untersuchungen über die physiologische Natur der Zeit-
und Raumempfindung sollen hier ausgeschlossen bleiben.
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[210/0222] Zweites Kapitel. eine Gruppe derselben Veränderungen erfährt, ohne dass die übrigen davon berührt werden. Die Natur verhält sich ähnlich wie eine Maschine. Die einzelnen Theile bestimmen einander gegenseitig. Während aber bei einer Maschine durch die Lage eines Theiles die Lagen aller übrigen Theile bestimmt sind, bestehen in der Natur complicirtere Beziehungen. Diese Beziehungen lassen sich am besten unter dem Bilde einer Anzahl n von Grössen darstellen, welche einer geringern An- zahl n′ von Gleichungen genügen. Wäre n=n′, so wäre die Natur unveränderlich. Für n′=n—1 ist mit einer Grösse über alle übrigen verfügt. Bestünde dies Verhältniss in der Natur, so könnte die Zeit rück- gängig gemacht werden, sobald dies nur mit einer ein- zigen Bewegung gelänge. Der wahre Sachverhalt wird durch eine andere Differenz von n und n′ dargestellt. Die Grössen sind durch einander theilweise bestimmt, sie behalten aber eine grössere Unbestimmtheit oder Freiheit als in dem letztern Fall. Wir selbst fühlen uns als ein solches theilweise bestimmtes, theilweise unbestimmtes Naturelement. Insofern nur ein Theil der Veränderungen in der Natur von uns abhängt, und von uns wieder rückgängig gemacht werden kann, erscheint uns die Zeit als nicht umkehrbar, die verflossene Zeit als unwiederbringlich vorbei. Zur Vorstellung der Zeit gelangen wir durch den Zusammenhang des Inhalts unsers Erinnerungsfeldes mit dem Inhalt unsers Wahrnehmungsfeldes, wie wir kurz und allgemein verständlich sagen wollen. Wenn wir sagen, dass die Zeit in einem bestimmten Sinn ab- läuft, so bedeutet dies, dass die physikalischen (und folglich auch die physiologischen) Vorgänge sich nur in einem bestimmten Sinn vollziehen. 1 Alle Temperatur- differenzen, elektrischen Differenzen, Niveaudifferenzen überhaupt werden sich selbst überlassen nicht grösser, sondern kleiner. Betrachten wir zwei sich selbst über- 1 Untersuchungen über die physiologische Natur der Zeit- und Raumempfindung sollen hier ausgeschlossen bleiben.

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/222>, abgerufen am 23.11.2024.