in einer (hohlen) Kante aneinanderstossen, so ist für die Flüssigkeitsoberfläche das Gesetz = const nicht mehr erfüllt, denn diese Summe hat für die ebenen Flächen den Werth Null, für die hohle Kante aber einen sehr grossen negativen Werth. Nach den bisher gewonnenen Anschauungen sollte also die Flüssigkeit aus den Platten, deren Dicke immer geringer würde, ausströmen und bei den Kanten austreten. Diese Be- wegung findet auch statt. Wenn aber die Dicke der Platten bis zu einer gewissen Grenze abgenommen hat, so tritt aus physikalischen Gründen, welche, wie es scheint, noch nicht vollkommen bekannt sind, ein Gleichgewichtszustand ein.
Wenn auch an diesen Figuren die Grundgleichung = const nicht mehr erfüllt ist, weil sehr dünne Flüssigkeitsplatten (namentlich zäher Flüssigkeiten) etwas andere physikalische Verhältnisse darbieten, als die- jenigen, von welchen wir ausgegangen sind, so zeigen auch diese Figuren noch immer ein Minimum der Ober- fläche. Die Flüssigkeitsplatten, welche mit den Drath- kanten und untereinander in Zusammenhang bleiben, stossen immer zu je dreien unter nahe gleichen Winkeln von 120° in einer Kante zusammen, und je 4 Kanten schneiden sich abermals unter nahe gleichen Winkeln in einer Ecke. Es lässt sich geometrisch nachweisen, dass diese Verhältnisse einem Minimum von Oberfläche entsprechen. In der ganzen Mannichfaltigkeit der hier besprochenen Erscheinungen drückt sich also immer nur die Thatsache aus, dass die Molecularkräfte durch Verminderung der Oberfläche (positive) Arbeit leisten.
7. Die Gleichgewichtsfiguren, welche Plateau durch Eintauchen der Kantengerüste von Polyedern in Seifen- lösung erhielt, bilden Systeme von Flüssigkeitsplatten, die eine wunderbare Symmetrie darbieten. Es drängt sich da die Frage auf: Was hat das Gleichgewicht über-
Drittes Kapitel.
in einer (hohlen) Kante aneinanderstossen, so ist für die Flüssigkeitsoberfläche das Gesetz = const nicht mehr erfüllt, denn diese Summe hat für die ebenen Flächen den Werth Null, für die hohle Kante aber einen sehr grossen negativen Werth. Nach den bisher gewonnenen Anschauungen sollte also die Flüssigkeit aus den Platten, deren Dicke immer geringer würde, ausströmen und bei den Kanten austreten. Diese Be- wegung findet auch statt. Wenn aber die Dicke der Platten bis zu einer gewissen Grenze abgenommen hat, so tritt aus physikalischen Gründen, welche, wie es scheint, noch nicht vollkommen bekannt sind, ein Gleichgewichtszustand ein.
Wenn auch an diesen Figuren die Grundgleichung = const nicht mehr erfüllt ist, weil sehr dünne Flüssigkeitsplatten (namentlich zäher Flüssigkeiten) etwas andere physikalische Verhältnisse darbieten, als die- jenigen, von welchen wir ausgegangen sind, so zeigen auch diese Figuren noch immer ein Minimum der Ober- fläche. Die Flüssigkeitsplatten, welche mit den Drath- kanten und untereinander in Zusammenhang bleiben, stossen immer zu je dreien unter nahe gleichen Winkeln von 120° in einer Kante zusammen, und je 4 Kanten schneiden sich abermals unter nahe gleichen Winkeln in einer Ecke. Es lässt sich geometrisch nachweisen, dass diese Verhältnisse einem Minimum von Oberfläche entsprechen. In der ganzen Mannichfaltigkeit der hier besprochenen Erscheinungen drückt sich also immer nur die Thatsache aus, dass die Molecularkräfte durch Verminderung der Oberfläche (positive) Arbeit leisten.
7. Die Gleichgewichtsfiguren, welche Plateau durch Eintauchen der Kantengerüste von Polyëdern in Seifen- lösung erhielt, bilden Systeme von Flüssigkeitsplatten, die eine wunderbare Symmetrie darbieten. Es drängt sich da die Frage auf: Was hat das Gleichgewicht über-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0382"n="370"/><fwplace="top"type="header">Drittes Kapitel.</fw><lb/>
in einer (hohlen) Kante aneinanderstossen, so ist für<lb/>
die Flüssigkeitsoberfläche das Gesetz <formulanotation="TeX">\frac {1}{r}+\frac {1}{r^\prime}</formula>= const<lb/>
nicht mehr erfüllt, denn diese Summe hat für die ebenen<lb/>
Flächen den Werth Null, für die hohle Kante aber<lb/>
einen sehr grossen negativen Werth. Nach den bisher<lb/>
gewonnenen Anschauungen sollte also die Flüssigkeit<lb/>
aus den Platten, deren Dicke immer geringer würde,<lb/>
ausströmen und bei den Kanten austreten. Diese Be-<lb/>
wegung findet auch statt. Wenn aber die Dicke der<lb/>
Platten bis zu einer gewissen Grenze abgenommen hat,<lb/>
so tritt aus <hirendition="#g">physikalischen</hi> Gründen, welche, wie es<lb/>
scheint, noch nicht vollkommen bekannt sind, ein<lb/><hirendition="#g">Gleichgewichtszustand</hi> ein.</p><lb/><p>Wenn auch an diesen Figuren die Grundgleichung<lb/><formulanotation="TeX">\frac {1}{r}+\frac {1}{r^\prime}</formula>= const nicht mehr erfüllt ist, weil sehr dünne<lb/>
Flüssigkeitsplatten (namentlich zäher Flüssigkeiten) etwas<lb/>
andere physikalische Verhältnisse darbieten, als die-<lb/>
jenigen, von welchen wir ausgegangen sind, so zeigen<lb/>
auch diese Figuren noch immer ein <hirendition="#g">Minimum</hi> der Ober-<lb/>
fläche. Die Flüssigkeitsplatten, welche mit den Drath-<lb/>
kanten und untereinander in Zusammenhang bleiben,<lb/>
stossen immer zu je dreien unter nahe gleichen Winkeln<lb/>
von 120° in einer Kante zusammen, und je 4 Kanten<lb/>
schneiden sich abermals unter nahe gleichen Winkeln<lb/>
in einer Ecke. Es lässt sich geometrisch nachweisen,<lb/>
dass diese Verhältnisse einem Minimum von Oberfläche<lb/>
entsprechen. In der ganzen Mannichfaltigkeit der hier<lb/>
besprochenen Erscheinungen drückt sich also immer<lb/>
nur die Thatsache aus, dass die Molecularkräfte durch<lb/>
Verminderung der Oberfläche (positive) Arbeit leisten.</p><lb/><p>7. Die Gleichgewichtsfiguren, welche Plateau durch<lb/>
Eintauchen der Kantengerüste von Polyëdern in Seifen-<lb/>
lösung erhielt, bilden Systeme von Flüssigkeitsplatten,<lb/>
die eine wunderbare <hirendition="#g">Symmetrie</hi> darbieten. Es drängt<lb/>
sich da die Frage auf: Was hat das <hirendition="#g">Gleichgewicht</hi> über-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[370/0382]
Drittes Kapitel.
in einer (hohlen) Kante aneinanderstossen, so ist für
die Flüssigkeitsoberfläche das Gesetz [FORMEL]= const
nicht mehr erfüllt, denn diese Summe hat für die ebenen
Flächen den Werth Null, für die hohle Kante aber
einen sehr grossen negativen Werth. Nach den bisher
gewonnenen Anschauungen sollte also die Flüssigkeit
aus den Platten, deren Dicke immer geringer würde,
ausströmen und bei den Kanten austreten. Diese Be-
wegung findet auch statt. Wenn aber die Dicke der
Platten bis zu einer gewissen Grenze abgenommen hat,
so tritt aus physikalischen Gründen, welche, wie es
scheint, noch nicht vollkommen bekannt sind, ein
Gleichgewichtszustand ein.
Wenn auch an diesen Figuren die Grundgleichung
[FORMEL]= const nicht mehr erfüllt ist, weil sehr dünne
Flüssigkeitsplatten (namentlich zäher Flüssigkeiten) etwas
andere physikalische Verhältnisse darbieten, als die-
jenigen, von welchen wir ausgegangen sind, so zeigen
auch diese Figuren noch immer ein Minimum der Ober-
fläche. Die Flüssigkeitsplatten, welche mit den Drath-
kanten und untereinander in Zusammenhang bleiben,
stossen immer zu je dreien unter nahe gleichen Winkeln
von 120° in einer Kante zusammen, und je 4 Kanten
schneiden sich abermals unter nahe gleichen Winkeln
in einer Ecke. Es lässt sich geometrisch nachweisen,
dass diese Verhältnisse einem Minimum von Oberfläche
entsprechen. In der ganzen Mannichfaltigkeit der hier
besprochenen Erscheinungen drückt sich also immer
nur die Thatsache aus, dass die Molecularkräfte durch
Verminderung der Oberfläche (positive) Arbeit leisten.
7. Die Gleichgewichtsfiguren, welche Plateau durch
Eintauchen der Kantengerüste von Polyëdern in Seifen-
lösung erhielt, bilden Systeme von Flüssigkeitsplatten,
die eine wunderbare Symmetrie darbieten. Es drängt
sich da die Frage auf: Was hat das Gleichgewicht über-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/382>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.